Wie ein weibliches X-Chromosom inaktiviert wird

Bei weiblichen S?ugetieren ist eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert. Genetiker der ETH Zürich liefern nun dank Untersuchungen in speziellen Stammzellen einer Maus einen detaillierteren Einblick in den molekularen Mechanismus dieses Abschaltvorgangs.

Vergr?sserte Ansicht: Chromosomensatz
Ein vollst?ndiger Chromosomensatz aus einer K?rperzelle einer Frau. (Bild: Serpil Borlu / iStock)

Chromosomen unterscheiden Frauen von M?nnern. W?hrend sich in K?rperzellen von Frauen zwei X-Chromosomen befinden, tragen M?nner nur eines davon. W?ren bei Frauen beide Chromosomen und alle sich darauf befindlichen Gene aktiv, h?tten Frauen von den daraus hergestellten Proteinen doppelt so viele Kopien als M?nner – ein Ungleichgewicht, das die fein ausbalancierte Biochemie des menschlichen K?rpers aus dem Lot bringen würde.

Vergr?sserte Ansicht: Chromosomen Maus
Chromosomen einer Mauszelle. Rot ist Xist-RNA auf einem inaktivierten X-Chromosom sichtbar (mikroskopische Aufnahme). (Bild: Ng K et al. EMBO Reports 2007, 8: 34)

Dass es nicht so weit kommt, dafür sorgt die Natur: Bei Frauen wird noch w?hrend ihrer frühen Entwicklung im Mutterleib eines der beiden X-Chromosomen komplett und für immer inaktiviert. Der dahinterliegende Mechanismus ist noch nicht im Detail entschlüsselt. Aus Untersuchungen bei M?usen ist jedoch klar, dass ein Ribonukleins?ure (RNA)-Molekül namens Xist dabei eine zentrale Rolle spielt. Mehrere hundert Kopien dieses Moleküls heften sich an eines der beiden X-Chromosomen. Wissenschaftler vermuten, dass diese RNA-Moleküle andere Moleküle anlocken, die das Chromosom letztlich inaktivieren. Einige dieser Inaktivierungs-Moleküle haben Forschende unter der Leitung von Anton Wutz, Professor für Genetik an der ETH Zürich, nun entdeckt.

Screening, um Zellen zu retten

Die Wissenschaftler benutzten dazu Maus-Stammzellen, die zwei Besonderheiten aufwiesen. Einerseits hatten diese wie unbefruchtete Eizellen (und anders als K?rperzellen) jedes Chromosom nur einmal. Andererseits waren diese Zellen so ver?ndert, dass die Wissenschaftler sie dazu bringen konnten, die Xist-RNA permanent herzustellen. Dies führte zur Inaktivierung des einzigen X-Chromosoms und zum Absterben der Zellen, weil die darauf liegenden, überlebenswichtigen Gene in der Folge nicht mehr abgelesen wurden.

In einem grossangelegten Screening-Experiment ermittelten die Wissenschaftler mithilfe dieser Stammzellen wichtige Gene für die X-Inaktivierung. Man kann sich das Experiment als ?Rettungsaktion? für die ?zum Sterben verurteilten? Stammzellen vorstellen. Konkret besch?digten die Forschenden mithilfe eines Virus im Erbgut vieler der Stammzellen zuf?llig einzelne Gene. Wurde dadurch ein Gen zerst?rt, welches zusammen mit der Xist-RNA für die Inaktivierung des X-Chromosoms n?tig ist, dann wurde das Chromosom nicht inaktiviert. Folglich überlebten die entsprechenden Zellen.

Den Wissenschaftlern gelang es auf diese Weise, überlebende Stammzellen zu isolieren und sieben Gene zu eruieren, welche für die X-Inaktivierung zentral sind. Eines davon tr?gt den Namen Spen. Von ihm war bekannt, dass das daraus hervorgehende Protein an RNA binden und grunds?tzlich das Ablesen von Genen hemmen kann. In weiteren Untersuchungen konnten die ETH-Forschenden nun zeigen: Fehlt in M?usezellen Spen, reichern sich Proteine, die die Chromosom-Struktur ver?ndern, weniger effizient am X-Chromosom an. Wie genau dieser Mechanismus funktioniere und in welcher Weise die weiteren nun gefundenen Gene daran beteiligt seien, müsse erst noch eingehend erforscht werden, sagt ETH-Professor Wutz.

M?glich dank Fortschritten der vergangenen Jahre

?Genetische Untersuchungen wie diese sind recht komplex?, erkl?rt Wutz. So sei denn auch ein Grossteil der Genetik bei S?ugetieren dank Rückschlüssen von Forschungsresultaten von Taufliegen bekannt, einem Modellorganismus der Biologie und insbesondere der genetischen Forschung. Taufliegen besitzen jedoch ein gegenüber S?ugetieren unterschiedliches Chromosomensystem und kennen keine X-Inaktivierung. Daher habe man sich in diesem Fall nicht der Taufliegen-Genetik bedienen k?nnen, um Gen-Kandidaten bei S?ugetieren zu finden.

Methodische Fortschritte der letzten Jahre h?tten diese Forschung nun erm?glicht, so Wutz. M?glich wurden sie  nun dank den Stammzellen mit dem einfachen Chromosomen-Satz, die Wutz vor fünf Jahren, damals noch an der Universit?t Cambridge, Grossbritannien, schuf.

Die ETH-Forschenden ver?ffentlichten ihre Arbeit in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins ?Cell Reports?. In derselben Ausgabe publizierte auch ein britisches Forscherteam eine Arbeit, in der sie mit einer anderen Methode, der RNA-Interferenz, ebenfalls eine Reihe von an der X-Inaktivierung beteiligten Genen finden. Darunter befindet sich – Spen.

Beim Menschen leicht unterschiedlich

Die Gene für Xist und Spen kommen auch beim Menschen vor. Daher k?nnten diese Forschungsarbeiten Hinweise für die Situation beim Menschen liefern – zumindest auf einer theoretischen Ebene, wie Wutz pr?zisiert. Denn die Maus-Genetik l?sst sich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen.

Ein franz?sisches Forscherteam hat vor wenigen Jahren bei Menschen zus?tzlich zu Xist ein System postuliert, welches das X-Chromosom bei M?nnern sowie eines der X-Chromosomen bei Frauen aktiv beh?lt. Dieses aktivierende System ist bei M?usen nicht bekannt. Die Regulierung der X-Chromosomen k?nnte beim Menschen also wegen eines Zusammenspiels von aktivierenden und inaktivierenden Faktoren noch komplexer sein als bisher angenommen. Genetikern, die dem auf den Grund gehen m?chten, dürfte die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

Literaturhinweis

Monfort A, Di Minin G, Postlmayr A, Freimann R, Arieti F, Thore S, Wutz A: Identification of Spen as a crucial factor for Xist function through forward genetic screening in haploid embryonic stem cells. Cell Reports 2015, 12: 554-561, doi: externe Seite 10.1016/j.celrep.2015.06.067

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