Klumpen als Zwischenlager

ETH-Forscher haben entdeckt, dass die Bildung von Protein-Aggregaten in Hefezellen umkehrbar ist. Das wirft auch ein neues Licht auf Krankheiten des Menschen, die auf solche Aggregate zurückgeführt werden.

Vergr?sserte Ansicht: Hefezellen ohne Proteinaggregate (links) und solche mit (hell leuchtende Punkte): In Hungerzeiten dienen solche Klumpen als Zwischenlager für Proteine. (Bild: Gruppe Matthias Peter / ETH Zürich)
Hefezellen ohne Proteinaggregate (links) und solche mit (hell leuchtende Punkte): In Hungerzeiten dienen solche Klumpen als Zwischenlager für Proteine. (Bild: Gruppe Matthias Peter / ETH Zürich)

Proteinaggregate haben einen schlechten Ruf: Etliche Krankheiten des Menschen, insbesondere solche des Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind darauf zurückzuführen, dass sich in den Nervenzellen entartete Proteine zusammenlagern und so Aggregate entstehen, welche die Zellen nicht aufl?sen k?nnen. Dadurch sterben die Zellen ab.

In einer Studie bei Hefezellen rücken Forscher um ETH-Professor Matthias Peter und Reinhard Dechant nun aber Proteinaggregate in ein neues Licht. Die entsprechende Arbeit ist soeben in der Fachzeitschrift ?Nature Cell Biology? erschienen. Die ETH-Wissenschaftler zeigen darin auf, dass sich solche Proteinklumpen in Hefezellen bei Stressfaktoren wie Nahrungsentzug oder Hitze bilden. Nach überstandenem Stress k?nnen die Zellen die Aggregate wieder aufl?sen und die einzelnen Bestandteile rasch rezyklieren und im Zellstoffwechsel einsetzen.

Bei Stress bilden sich Klumpen

Als Beispiel für ein Protein, das bei Stress zusammenklumpt, entdeckten die Forscher das Enzym Cdc19. Es stellt für die Zelle Energie bereit. Die Forscher fanden heraus, dass Cdc19 bei Entzug von Glucose in seine vier identischen Untereinheiten zerf?llt. Diese ver?ndern dann ihre ursprüngliche Form und lagern sich mit weiteren Molekülen wie Ribonukleins?uren oder anderen Enzymen in Aggregaten zusammen. Die Forscher nennen solche Klumpen Stressk?rperchen (engl. stress granules). Einmal in ein solches Aggregat eingebunden, wird Cdc19 inaktiv, und es ist nicht mehr in der Lage, Brennstoff für die Zelle zu erzeugen. W?hrend dieser Zeit kann die Zelle weder wachsen noch sich vermehren.

Der Vorgang ist jedoch umkehrbar. Sobald der Stress vorbei ist, l?sen sich die Stressk?rperchen auf, die vier Untereinheiten von Cdc19 lagern sich zusammen, sodass das Enzym seine Arbeit im Zuckerstoffwechsel wiederaufnehmen kann.

Die Klumpen haben also einen klaren Zweck, sagt Matthias Peter: ?Die Hefezelle benutzt Aggregate als eine Art Lagerst?tte für wichtige Enzyme, damit diese in Stresssituationen nicht abgebaut und nach überlebtem Stress sofort reaktiviert werden k?nnen.? Die Aggregate würden diese Moleküle vor dem Abbau durch die zelleigene Entsorgungsmaschinerie schützen. Müsste die Zelle diese Verbindungen nach jeder Stresssituation von neuem aufbauen, würde dies die Zelle viel Zeit und Energie kosten.

Einfache Sequenz reicht für Verklumpung aus

Die Forscher kl?rten zudem auf, wie und weshalb Cdc19 verklumpen kann. Sie identifizierten in der Struktur einer Cdc19-Untereinheite einen kurzen, ungefalteten und einfach aufgebauten Teilbereich. In der Fachsprache werden solche Bereiche ?Low Complexity Regions? (LCR) genannt. Sie kommen laut den Forschern auch in anderen aggregatbildenden Proteinen weiterer Organismen vor, unter anderem auch beim Menschen.

?Die LCR werden durch den Zerfall des Enzymkomplexes exponiert und l?sen die Aggregation aus?, weiss Peter. ?Für uns war es deshalb wichtig, eine solche Sequenz bei Cdc19 ausfindig zu machen. Das best?tigt einen allgemeinen Mechanismus.? Bei der Hefe ist die LCR von Cdc19 im Normalzustand versteckt oder tr?gt mehrere Phosphatgruppen, welche die LCR ?handlungsunf?hig? machen. Erst bei Ern?hrungsstress tritt die LCR hervor, und die Phosphatgruppen werden entfernt. Erst dann k?nnen sich Aggregate bilden.

Wichtige Erkenntnis

?Unsere Forschung hat in der Wissenschaftsgemeinschaft für eine Aufbruchstimmung gesorgt?, sagt Reinhard Dechant, Gruppenleiter am Institut für Biochemie, der die Studie zusammen mit Matthias Peter leitete. Bislang habe man vor allem Aggregate als krankmachende Partikel betrachtet, weil man in Patienten stets nur das Ergebnis des Vorgangs – unaufl?sbare Proteinplaques, welche eine Krankheit verursachen – sehe. ?Unsere Arbeit beleuchtet auch den Anfang der Aggregatbildung und deren Verlauf?, sagt Dechant. Proteinklumpen würden sich nicht ausschliesslich aufgrund einer Krankheit bilden, sondern weil die Zelle diese brauche, um eine Stresssituation zu überleben. ?Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass sowohl die Bildung als auch die Aufl?sung von Aggregaten ein wichtiger Mechanismus von Zellen ist.?

Zu ?hnlichen Erkenntnissen gelangten früher auch andere Forschungsgruppen der ETH Zürich, die solche Aggregate in Hefezellen untersuchen. So konnten andere ETH-Wissenschaftler aufzeigen, dass Klumpen aus entarteten Proteinen unter anderem wie ein Ged?chtnis funktionieren und den Zellen helfen, vergangene (negative) Erfahrungen abzuspeichern (ETH-News berichtete). Es scheint daher, dass die funktionelle Aggregation von bestimmten Proteinen ein weitverbreiteter Regulationsmechanismus darstellt.

Literaturhinweis

Saad S, Cereghetti G, Feng Y, Picotti P, Peter M, Dechant R. Reversible protein aggregation is a protective mechanism to ensure cell cycle restart after stress. Nat Cell Biol. 2017 Oct;19(10):1202-1213. doi: externe Seite 10.1038/ncb3600. Epub 2017 Aug 28.

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