Warten auf den vollständigen Bruch

Nepal wurde 2015 von einem Beben der Magnitude 7,8 heimgesucht. Doch dem Land k?nnten noch weitaus st?rkere Erdbeben drohen. Das schliessen ETH-Forscher aus Simulationen mit einem neuen Modell, welches die Vorg?nge in der Bruchzone zwischen der Eurasischen und der Indischen Platte abbildet.

Kathmandu
Leben unter extremer Erdbebengef?hrdung: Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Gemüsemarkt in Kathmandu. (Bild: Colourbox)

Im April 2015 schüttelte es in Nepal und besonders in der Region um die Hauptstadt Kathmandu gewaltig. Ein Erdbeben von Magnitude 7,8 zerst?rte ganze D?rfer, Verkehrswege und Kulturdenkm?ler, t?tete insgesamt 9000 Menschen.

Doch dem Land k?nnten noch weitaus st?rkere Erdbeben von Magnitude 8 oder h?her drohen. Dies schliessen eine Gruppe von Erdwissenschaftlern der ETH Zürich anhand eines neuen Modells, das die Kollisionszone zwischen der Indischen und der Eurasischen Platte im Bereich des Himalajas beschreibt. Mit ihrem Modell konnten die ETH-Forscher um Doktorand Luca Dal Zilio aus der Gruppe von Professor Taras Gerya am Institut für Geophysik nun zum ersten Mal mit hoher Aufl?sung die Erdbebenzyklen an einem Querschnitt der Bruchzone simulieren.

Teilrisse bauen mehr Spannung auf

?Beim 2015er-Beben brach nur ein Teil des Bruchsystems, welches die beiden Kontinentalplatten abgrenzt. Der vorderste, oberfl?chennahe Teil der Bruchzone, wo die Indische unter die Eurasische Platte abtaucht, riss nicht und steht immer noch unter Spannung?, erkl?rt Luca Dal Zilio, Erstautor einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Communications erschienen ist.

Normalerweise l?st ein gr?sseres Beben in der n?heren Umgebung um den Bebenherd fast alle Spannungen, die sich durch die Verschiebung der Platten aufgebaut haben. ?Unser Modell zeigt, dass das Gorkha-Beben zwar Spannungen in einem Teil der Bruchzone abgebaut hat, dafür haben die Spannungen in ihrem frontalen Teil nahe dem Fuss des Himalaja sogar noch zugenommen. Das scheinbar Paradoxe ist, dass die ?mittelgrossen? Beben wie das Gorkha-Beben erst die Voraussetzungen für ein Mega-Beben schaffen?, sagt Dal Zilio.

Beben von der St?rke des Gorkha-Bebens k?nnen das Bruchsystem nur in den tieferen Teilbereichen auf L?ngen von 100 bis 200 Kilometern entspannen. Im Gegenzug baut sich neue und noch gr?ssere Spannung in oberfl?chennahen Bereichen der Bruchzone auf.

Vergr?sserte Ansicht: Querschnitt durch die Bruchzone (schwarze dicke Linie) zwischen der Indischen (graue Bereiche) und der Eurasischen Platte (grüne Bereiche). (aus Dal Zilio et al., Nat.Comm. 2019)
Querschnitt durch die Bruchzone (schwarze dicke Linie) zwischen der Indischen (graue Bereiche) und der Eurasischen Platte (grüne Bereiche). (aus Dal Zilio et al., Nat.Comm. 2019)

Gem?ss den Simulationen von Dal Zilio und Kollegen sind zwei bis drei weitere Gorkha-Beben n?tig, um genügend Spannung für ein Erdbeben der Magnitude 8,1 oder h?her aufzubauen. Bei einem solchen Beben reisst die Bruchzone auf einer L?nge von mindestens 200 Kilometern und über den gesamten Tiefenbereich bis an die Erdoberfl?che. Das führt schliesslich zu einer kompletten Entspannung auf diesem Segment des insgesamt etwa 2000 Kilometer langen Bruchsystems.

Historische Daten belegen, dass auch solche Mega-Events vorgekommen sind. 1950 etwa trat das sogenannte Assam-Beben mit einer Magnitude 8,6 auf, die Bruchzone riss auf mehreren hundert Kilometern L?nge und über den gesamten Tiefenbereich. 1505 entlud sich ein gigantisches Erdbeben so, dass die Bruchzone gar auf einer L?nge von rund 800 Kilometern brach.

Erdbebenzyklen überlagern sich

?Mit dem neuen Modell erkennen wir, dass es nicht nur eine Form von starken Erdbeben im Himalaja gibt sondern mindestens zwei, deren Zyklen sich teilweise überlagern?, sagt Edi Kissling, Professor für Seismologie und Geodynamik. Super-Beben k?nnten mit einer Periodizit?t von 400 bis 600 Jahren auftreten, ?mittelgrosse? Beben vom Gorkha-Typus hingegen mit einer Wiederkehrrate von bis zu wenigen hundert Jahren. Weil sich die Zyklen überlagern, rechnen die Forscher mit starken und gef?hrlichen Erdbeben in unregelm?ssigen Abst?nden.

Wann allerdings wieder ein extrem grosses Erdbeben auftreten wird, k?nnen die Forscher nicht voraussagen. ?Niemand kann Erdbeben voraussagen, auch nicht das neue Modell. Wir k?nnen jedoch die seismische Gef?hrdung in einem Gebiet besser verstehen und entsprechende Vorsorge treffen?, sagt der ETH-Professor.

Das Modell ist zweidimensional und hochaufl?send. Es bezieht teilweise auch Forschungsresultate mit ein, die nach dem Gorkha-Beben publiziert wurden. Gerechnet wurden die Simulationen auf dem Grossrechner Euler der ETH Zürich. ?Ein dreidimensionales Modell w?re zwar genauer und k?nnte auch für die westlichen und ?stlichen Randgebiete des Himalaja Aussagen erlauben. Will man jedoch die ganzen 2000 Kilometer der Bruchzone abbilden, erfordert dies enorme Rechenkapazit?ten, die nicht einmal die Hochleistungsrechner am CSCS bieten?, sagt Dal Zilio.

Gewaltige Kr?fte am Werk

Dort, wo Nepal liegt, treffen zwei Kontinente aufeinander: Indien und Eurasien. Dabei taucht die Indische Platte unter die Eurasische in den Erdmantel ab. Aufgrund der Sogwirkung, den die in den Mantel abtauchende Indische Platte ausübt, schiebt sich der Indische Subkontinent mit bis zu 4 Zentimetern j?hrlich nordw?rts.

Als Folge davon reiben sich die Platten entlang dem 2000 Kilometer langen Bruchsystem aneinander, wodurch grosse Spannungen entstehen. Bei einem Erdbeben entladen sich diese Spannungen schlagartig und die Platten werden dabei ruckartig zueinander versetzt. Deshalb treten in Nepal und am Südfuss des Himalajas immer wieder sehr starke Erdbeben auf.

Vergr?sserte Ansicht: Die Nahtstelle zwischen der Indischen und der Eurasischen Platte verläuft entlang des Himalaja-Südfusses. Die Kollision der beiden Kontinente hat zur Bildung des Gebirges mit den höchsten Gipfeln der Erde geführt. (Bild: Nasa Earth Observatory)
Die Nahtstelle zwischen der Indischen und der Eurasischen Platte verl?uft entlang des Himalaja-Südfusses. Die Kollision der beiden Kontinente hat zur Bildung des Gebirges mit den h?chsten Gipfeln der Erde geführt. (Bild: Nasa Earth Observatory)

Literaturhinweis

Dal Zilio L, van Dinther Y, Gerya T, Avouac JP (2019). Bimodal seismicity in the Himalaya controlled by fault friction and geometry. externe Seite Nature Communications, 10(1), 48.

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