Ein Studium für die Quantenzukunft
Die ETH Zürich lancierte 2019 einen der weltweit ersten Masterstudieng?nge in Quantum Engineering. Seither ist das Interesse daran stark gewachsen – und die ersten Absolventinnen und Absolventen haben ihre Arbeit in der Industrie begonnen.
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Vor hundert Jahren begann eine Reihe von weltbekannten Physikern wie Werner Heisenberg, Erwin Schr?dinger, Max Born und Wolfgang Pauli damit, ihre Disziplin auf den Kopf zu stellen: Sie entwickelten die Grundlagen der Quantenmechanik. Eine Theorie, die sich grundlegend von der klassischen Physik unterscheidet und Konzepte verwendet, die für Laien nur schwer nachvollziehbar sind. Sie widerspricht sogar einigen Prinzipien, die in der klassischen Physik selbstverst?ndlich sind.
?Ein Grossteil unseres modernen Verst?ndnisses der Welt beruht auf Quantenmechanik?, sagt Martin Frimmer, Professor für Photonik am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik. ?Die moderne Mikroelektronik zum Beispiel w?re undenkbar, wenn wir nicht verstünden, dass sich Elektronen in Halbleitern wie Wellen verhalten.? Einerseits sei die Quantenmechanik die Basis für konkrete Anwendungen, andererseits mache sie auch Voraussagen über Dinge, die in der Natur noch nie jemand beobachtet habe. Zum Beispiel zur Verschr?nkung von Quantenobjekten wie Elektronen, Photonen und Atomen oder zur Teleportation von Quanten.
W?hrend Jahrzehnten waren dies reine Gedankenexperimente. Erst ab der Jahrtausendwende waren die Experimentatoren in den Labors so weit, dass sie diese Effekte auch routinem?ssig zeigen konnten. ?Heute sind wir sogar so weit, dass wir sie auch technisch nutzen k?nnen – und dafür braucht es eine neue Klasse von Ingenieurinnen und Ingenieuren.? Diese zeichnen sich laut Frimmer durch zweierlei aus: Sie sind Cracks in den klassischen Ingenieurswissenschaften und gleichzeitig auf dem neusten Stand der Quantenwissenschaften.
?Globe? Erfolgreich in die Zukunft

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.
Pionierin im Studiengang
Frimmer hat den zweij?hrigen Master of Science in Quantum Engineering mitentwickelt und ist heute der Programmleiter. Beim Start 2019 geh?rte der Studiengang zu den ersten weltweit, die ein Ingenieursdiplom mit einer Spezialisierung in den Quantenwissenschaften verbanden. Der Master ist bei den Elektroingenieuren angesiedelt, wird aber gemeinsam mit dem Departement Physik organisiert. Studierende k?nnen aus dem Kurskatalog der beiden 365体育官网_365体育备用【手机在线】 frei Vorlesungen ausw?hlen und so ihren Pr?ferenzen folgen.
Ein Fokus liegt von Beginn an auf Praxis und Anwendungen: Bereits im zweiten Semester arbeiten die Studierenden an einem mehrw?chigen Semesterprojekt. Dieses kann in einer Forschungsgruppe der ETH Zürich, einer anderen Hochschule oder bei einem Industriepartner erfolgen. Im zweiten Jahr entwickeln die Studierenden in Vierergruppen bereits erste Quantenanwendungen in einem ETH-Labor oder bei Industriepartnern. Heute beginnen j?hrlich gut dreissig Studierende, wobei der Frauenanteil zwischen zwanzig und dreissig Prozent liegt.
Sophie Cavallini ist eine von ihnen. Sie hat ursprünglich Physik und Ingenieurwesen in Mailand studiert und den Master an der ETH letztes Jahr abgeschlossen. ?Was mir gefiel, war die Praxisn?he, das kenne ich so aus Italien nicht?, sagt sie. ?Die Projektarbeiten waren sehr ambitioniert und teils auch etwas futuristisch.? Sie hat den praktischen Teil in der Gruppe von Jonathan Home am Departement Physik absolviert.
Nach Abschluss begann sie dort gleich ein Doktorat. ?Wir fangen Ionen mit elektromagnetischen Feldern und schiessen mit Lasern auf sie, um ihren Energiezustand zu ?ndern?, fasst sie ihre Arbeit zusammen. L?ngerfristiges Ziel sei die Entwicklung von integrierten photonischen Chips, die mit Licht anstelle von elektrischem Strom funktionieren. ?Wir arbeiten an einer Technologie, die nicht nur für Quantencomputing zentral ist, sondern zum Beispiel auch für eine neue Generation von Biosensoren eingesetzt werden k?nnte.?
Die heute 24-J?hrige hat sich w?hrend des Studiums stark in der Quantum Engineering Commission engagiert. Der Studierendenverband organisiert Barbecues im Sommer, Fondues in der Weihnachtszeit, einen w?chentlichen Journal Club, bei dem G?ste ihre neusten Forschungsarbeiten pr?sentieren, Austausche mit anderen Universit?ten und Unternehmensbesuche. ?Ich hatte nicht erwartet, dass wir unter den Studierenden dermassen viel Spass haben würden?, erinnert sich Cavallini.
Sie hat unter anderem zwei Quanten-Hackathons auf dem H?nggerberg mitorganisiert. Hundert Studierende aus ganz Europa nahmen teil und ?hackten? 48 Stunden lang, um eine bestimmte Quantum-Engineering-Aufgabe zu l?sen. Dabei wurden sie von Tutorinnen und Tutoren aus Industrie und Forschung begleitet. ?Das Grossartige ist, dass man Freundschaften schliesst und Studierende von anderen Unis kennenlernt?, sagt die Doktorandin. ?Manche sieht man sp?ter wieder auf Konferenzen oder bei Weiterbildungen im Ausland.? Und weil der Anlass von Industriepartnern mitgetragen werde, sei der Hackathon auch eine niederschwellige Gelegenheit, um mit zukünftigen Arbeitgebern in Kontakt zu kommen.
Von Island an die ETH
Bj?rn Josteinsson geh?rt zu den ersten Studienabg?ngern. Seit 2022 arbeitet er bei QZabre, einem ETH-Spin-off, das Quantenmikroskope entwickelt. Anhand von Stickstoff-Fehlstellen in Diamanten misst das Unternehmen magnetische und elektrische Felder, Stromdichten und Temperaturen auf einer Skala von Nanometern. ?Ich kann an vorderster Front an bahnbrechenden Technologien mitarbeiten?, sagt Josteinsson. ?Wir entwickeln Messtechniken, die komplett neue M?glichkeiten er?ffnen.?
Josteinsson ist in Island aufgewachsen, hat dort Physik studiert und kam im Bachelorstudium erstmals mit der Quantenmechanik in Kontakt. ?Ich wollte einerseits tiefer in die Quantentheorie eintauchen, sie aber gleichzeitig auch praktisch anwenden?, erz?hlt er. Einen entsprechenden Studiengang gab es in Island nicht; er fand ihn in Zürich. W?hrend des Studiums habe er sich oft gefühlt, als sei er in einem Gesch?ft voller Schleckwaren gelandet.
?An der ETH gibt es so viele Labors, in denen an interessanten Quantenexperimenten gearbeitet wird. Und wir durften praktisch überall mitarbeiten. Das war fantastisch.? Den Kontakt zu QZabre hat der heute 28-J?hrige w?hrend seines Praktikums im Studium etabliert. Mittlerweile sei ein weiterer Studienabg?nger angestellt worden; zudem k?men die meisten Praktikantinnen und Praktikanten vom Quantenstudiengang der ETH Zürich.
Laut Frimmer bietet der Masterstudiengang heute beste Berufschancen. ?Es gibt praktisch keinen grossen Technologiekonzern mehr, der nicht an Quantenanwendungen forscht.? Google, Microsoft, Amazon, aber auch die Chemie- und Pharmaindustrie – sie alle h?tten heute eigene Teams auf dem Gebiet. Obschon es erst wenige Produkte gebe, die auf Quantenengineering beruhten und auch der Quantencomputer noch auf sich warten liesse, werde das Interesse aus der Industrie immer gr?sser, sagt Frimmer.
Internationaler Hub
?Wir haben bei der Studiengangentwicklung bald gemerkt, dass wir nicht alles selbst machen müssen, sondern auf Unterstützung aus der Praxis z?hlen k?nnen.? Viele Lern- und Projektveranstaltungen finden mittlerweile in enger Kooperation mit Industriepartnern statt. ?Zürich ist heute ein internationaler Quantum Hub, mit grossen Konzernen und kleinen Start-ups.?
Seit drei Jahren beobachte Frimmer, dass Studienabg?ngerinnen und -abg?nger zunehmend direkt in die Industrie gingen und nicht mehr automatisch ein Doktorat beginnen würden. Das best?tige: ?Die Quantenmechanik ist l?ngst nicht mehr nur reine Grundlagenforschung, sondern eine echte Ingenieursdisziplin geworden.? Werner Heisenberg, Erwin Schr?dinger und ihre Physikerkollegen h?tten darüber wohl nicht schlecht gestaunt.
Neues Physikgeb?ude
Auf dem 365体育官网_365体育备用【手机在线】 H?nggerberg entsteht derzeit ein zukunftsweisender Neubau. Auf einem Drittel oberirdischer und zwei Dritteln unterirdischer Fl?che entstehen Büro- und Lehrr?ume sowie auf über 5400 m2 hochsensible Labore für rund 500 Forschende und Studierende. In den Hochleistungs?laboren werden für Physikexperimente ohne jegliche Umwelteinflüsse hochempfindliche Forschungsinfrastrukturen eingerichtet. Temperaturabweichungen dürfen nicht gr?sser als 0,01 Grad Celsius sein, die Luftfeuchtigkeit muss konstant sein und Vibrationen sollten unter 0,1 Mikrometer pro Sekunde liegen. Mit dem Neubau will die ETH Zürich ihre Stellung in den Quantentech?nologien weiter ausbauen. Erm?glicht wird der Bau durch eine Donation des ETH-Alumnus und -Ehrenrats Martin Haefner.
