Wie messen wir die Erderwärmung?

Die Frage scheint für den Klimawandel essentiell und denkbar einfach: Wie stark erw?rmt sich die Oberfl?che unseres Planeten? Wer sich damit besch?ftigt, landet schnell bei weiteren fundamentalen Fragen: Was ist überhaupt Temperatur, und wie misst man sie? Und was braucht es, um die globale Temperatur über die Zeit hinweg zu bestimmen?

Vergr?sserte Ansicht: Thermoter und Erdkugel
Montage: iStock.com / EduardHarkonen / sankai

Forscher der amerikanischen Wetterbeh?rde NOAA revidierten unl?ngst die globalen Temperaturdaten und kamen zum Schluss, dass sich die Erde in den letzten 15 bis 20 Jahren durchaus erw?rmt habe (siehe dazu meinen letzten Blogbeitrag). Frühere Studien zeigten hingegen, dass die Erderw?rmung stagnierte. ?ber diese sogenannte ?Klimapause? wurde und wird heftig debattiert. Die neue Temperaturkurve unterscheidet sich zwar nur geringfügig von früheren Daten, dennoch zeigt sie nun für die letzten paar Jahre einen ansteigenden Trend. Warum ist es so schwierig, die globale Temperatur zuverl?ssig zu bestimmen?

Nicht eine, sondern tausende Temperaturen

Physikalisch betrachtet ist Temperatur eine Zustandsgr?sse, die vereinfacht gesagt mit der Bewegung der Teilchen eines Stoffs zusammenh?ngt: Für ein ideales Gas charakterisiert sie die mittlere kinetische Energie der Moleküle, also wie intensiv sich die Teilchen bewegen. Aber ein ideales Gas ist auch nur eine Modellvorstellung, die uns alleine nicht viel weiter hilft. Deshalb bezeichnen Meteorologen Temperatur für praktische Zwecke als die Gr?sse, die ein Thermometer in der Luft am Schatten misst. Damit verlagert sich das Problem auf die Fragen, was ein Thermometer genau misst (zum Beispiel wie stark sich das Quecksilber ausdehnt, wenn es sich erw?rmt), wie man es baut und wie man es mit anderen Instrumenten abgleicht.

Die wirklichen Schwierigkeiten kommen aber erst. Die globale Oberfl?chentemperatur der Erde ist ein komplexes Konstrukt aus tausenden von Messungen zu Wasser und zu Land, die früher noch von Hand gemacht wurden, heute aber meist automatisiert durch verschiedenste Messstationen erfolgen. Die Krux dabei ist, dass sich die Messsysteme und Methoden stark voneinander unterscheiden. Und sie ver?ndern sich im Verlauf der Zeit. Darum müssen wir die verschiedenen Systeme und Datens?tze zuerst vergleichbar machen, um sie zu kombinieren. Wir vereinheitlichen (homogenisieren) die Daten also und stimmen sie aufeinander ab (kalibrieren). Ausgeklügelte Modelle und statistische Verfahren sind notwendig, um aus lückenhaften Daten von verschiedenen Instrumenten aus unterschiedlichen Zeiten überhaupt ein einheitliches Bild zu erzeugen.

Messungen über Land

Wetterstation
Eine Wetterstation an Land. (Bild: iStock.com / sierrarat)

Bei Temperaturmessungen über Land ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten, die illustrieren, wie heikel es ist, nur schon eine kontinentale Temperatur zu bestimmen: Erstens wird die Lufttemperatur meistens in der N?he von Geb?uden, Flugh?fen oder in St?dten gemessen. Auf einem Parkplatz ist es im Sommer heisser als auf einer Wiese. Nicht, dass man auf einem Parkplatz misst, aber der Effekt ist klar: In Stadtn?he ist es w?rmer, und diesen ?urban heat island effect? muss man korrigieren.

Zweitens verschieben sich Messstationen mit der Zeit: Neue werden errichtet, alte eliminiert. Hinzu kommt, dass die Meteorologen Messstationen früher nicht wegen dem Klima betrieben, sondern für das t?gliche Wetter. Ob man auf dem Flughafen hinter oder vor dem Haus oder am Pistenrand misst, ist für den Flugbetrieb nicht so wichtig, aber für langfristig konsistente Zeitreihen schon. Ein neues Geb?ude oder eine verschobene Station führen schnell zu Sprüngen in der Messreihe, die man korrigieren muss. Sind die Ver?nderungen dokumentiert, dann l?sst es sich relativ einfach korrigieren, aber bei vielen alten Messreihen fehlen solche Informationen.

Dirttens ?nderte sich die Art der Messung. Früher hat man zum Teil an Hausfassaden auf der Schattenseite von H?usern gemessen, heute misst man auf zwei Meter über Boden im Freien am Schatten. Früher hat man bei manuellen Thermometern von Auge das Quecksilber abgelesen und für das Tagesmittel einfach den Durchschnitt aus dem Minimum und Maximum des Tages genommen, heute misst man digital so oft wie man will.

Messungen im Meer

Vergr?sserte Ansicht: Boje
Wetterboje. (Bild: NOAA)

Temperaturdaten von den Weltmeeren liefern seit jeher Handelsschiffe und in jüngerer Zeit auch Wetterbojen. ?ber dem Ozean selbst gibt es nur wenige Messungen der Lufttemperatur, und sie sind nur in der Nacht brauchbar, weil sich die Schiffe über Tag durch die Sonne stark aufheizen. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Schiffe gr?sser werden, womit auch immer h?her über dem Wasser gemessen wird.

Zuverl?ssigere und l?ngere Messreihen haben wir von den Wassertemperaturen an der Meeresoberfl?che. Am Anfang des 20. Jahrhunderts warf man dazu Kessel an einem Seil vom Schiff, sp?ter sog man das Wasser direkt in den Maschinenraum. Wir wissen schon lange, dass die Kessel-Methode zu tiefe Werte liefert, weil das Wasser dabei verdunstet und sich abkühlt, w?hrend Messungen im warmen Maschinenraum wegen den Motoren zu hoch sind. Das alles versucht man zu korrigieren. Einfach ist das aber nicht, weil jedes Schiff anders ist.

Es gibt vermehrt auch Meeres-Bojen, die spezifisch für die Beobachtung des Klimas entwickelt wurden und sehr genau messen. Will man diese neuen, pr?ziseren Daten von Bojen mit den alten Schiffsdaten kombinieren, müssen auch sie kalibriert werden.

Messungen in der Erdumlaufbahn

Satelliten schliesslich messen nicht Temperatur, sondern Strahlung in bestimmten Wellenl?ngen, und es gibt sie erst seit 1979. Auch sie haben ihre Tücken: Satelliten gelangen wegen der Reibung über die Jahre in eine tiefere Umlaufbahn – eine ungenügende Korrektur dieses Effektes hat lange für übersch?tzte Trends in der oberen Troposph?re geführt.

Lückenhafte Abdeckung

Vergr?sserte Ansicht: Wartung einer Boje
Wartung einer Wetterboje. (Bild: NOAA)

Noch lange sind nicht alle Daten rekonstruiert, die je gemessen wurden. Von alten Schiffsrouten gibt es noch eine Fülle handgeschriebener Daten von Seefahrern, aber ihre Interpretation ist nicht einfach, und es ist aufw?ndig, sie zu digitalisieren. Jedes Schiff hat anders gemessen, Positionen von Schiffen sind nur ungenau bekannt, und beim Digitalisieren passieren Fehler: Zeilen werden übersprungen, Kommas versetzt. ?berhaupt ist der Faktor Mensch nicht zu vernachl?ssigen: Es gab F?lle, wo Temperaturmessungen immer dann seltsam erschienen, wenn es kalt war oder schneite, bis herauskam, dass der Beobachter bei schlechtem Wetter einfach etwas gesch?tzt hatte, statt nach draussen zur Station zu gehen.

Abseits von Schiffsrouten jedoch gibt es kaum Daten, insbesondere in der Arktis. Stationen auf dem Meereis haben die unangenehme Eigenschaft, ins Meer zu fallen, wenn das Eis im Sommer schmilzt. Die globale Temperatur ist also nicht global, und das l?sst sich gut visualisieren (siehe dazu unsere Animation der externe Seite globalen Temperatur). Das gilt umso mehr, je weiter wir in der Zeit zurückgehen – ausser man macht zus?tzliche statistische Annahmen über die Temperaturverteilung für die Orte, von denen es keine Daten gibt.

Die Erdtemperatur ist eine Sch?tzung

Um eine globale Durchschnitts-Temperatur  zu erhalten, machen wir also verschiedene Annahmen über Instrumente, Kalibrationen und r?umliche Muster der Temperaturverteilung. Deshalb ist die globale Temperaturkurve stets eine Sch?tzung und nie ganz exakt. Das bedeutet aber nicht, dass das Resultat unzuverl?ssig ist – immerhin stimmen verschiedene Temperatur-Rekonstruktionen sehr gut überein. Aber Details daran werden sich auch in Zukunft ?ndern, wenn neues Wissen dazukommt. Lange Beobachtungsdatens?tze kombinieren effektive Beobachtungen und Messungen mit Instrumentenverst?ndnis und Kalibrationen. Das bringt zwangsl?ufig Unsicherheiten mit sich. Aber wir haben gut gelernt, damit umzugehen.

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