Das Enzym, das Zucker an Eiweiss klebt

ETH-Forschenden ist es gelungen, die 3D-Struktur jenes Enzyms aufzukl?ren, das Zuckerketten an Proteinen anbringt – ein Durchbruch, den sie kürzlich im Wissenschaftsjournal ?Science? publiziert haben.

Vergr?sserte Ansicht: OST
Das Enzym Oligosaccharyltransferase sitzt in der Membran (grau) und besteht aus acht Untereinheiten. (Grafik: ETH Zürich / Julia Kowal)

Wenn Zellen Signale empfangen, mit anderen Zellen interagieren oder Viren und Bakterien erkennen, sind stets nicht nur Proteine beteiligt, sondern auch Zuckerketten, die auf deren Oberfl?che befestigt sind. Diese bisher weniger beachteten, ganz unterschiedlich zusammengesetzten und verzweigten Gebilde tragen offenbar dazu bei, dass Proteine sich richtig falten und ihre spezifischen Aufgaben erfüllen k?nnen.

Verschiedene Beobachtungen zeigen, wie wichtig die Zuckeranh?ngsel sind: Gleiche Proteine mit verschiedenen Zuckerketten haben unterschiedliche Funktionen. Kranke und gesunde Zellen tragen andere Zusammensetzungen der Zucker auf ihrer Oberfl?che. Und Medikamente, die damit versehen sind, werden offenbar besser vertragen.

Wie kommt der Zucker aufs Protein?

Rund um diese sogenannten Glykane wird heute intensiv geforscht. Nach Genomik und Proteomik gibt es nun auch Glykomik. Das aufstrebende Forschungsgebiet der Glykobiologie befasst sich mit Biosynthese, Struktur und den vielf?ltigen Funktionen der Zuckeranh?ngsel. Eine zentrale Frage ist dabei, wie die vielf?ltigen Zuckermoleküle überhaupt auf die Proteine gelangen.

ETH-Forschende der Gruppen von Kaspar Locher, Institut für Molekularbiologie und Biophysik, und Markus Aebi, Institut für Mikrobiologie, haben nun die Forschung in diesem Punkt einen entscheidenden Schritt weitergebracht: Sie kl?rten die dreidimensionale Struktur der Oligosaccharyltransferase (OST) in Hefe auf. ?Das ist das Enzym, das Proteine und ?Zuckerb?ume? verknüpft?, erkl?rt Rebekka Wild, eine der drei Erstautorinnen der ?externe Seite Science?-Publikation, in der die ETH-Forschenden ihre Erkenntnisse vorstellen.

Kryo-Elektronenmikroskopie macht’s m?glich

Vergr?sserte Ansicht: "Elektronenwolken", aus denen die Forscherinnen schliesslich die Struktur des Enzyms berechnen. (Bild: ETH Zürich / Rebekka Wild)
"Elektronenwolken", aus denen die Forscherinnen schliesslich die Struktur des Enzyms berechnen. (Bild: ETH Zürich / Rebekka Wild)

Die Struktur der OST aufzukl?ren, war nicht einfach: Zuerst ver?nderte Jilliane Eyring, dritte Erstautorin der Publikation, die Hefezellen derart, dass das Enzym gezielt gereinigt werden konnte. Rebekka Wild musste das Enzym, das in der Zelle in eine Membran eingebettet ist, dann aus grossen Mengen dieser Hefezellen extrahieren und danach aufw?ndig reinigen. ?Neun Liter Hefe ergaben rund 0,2 Milligramm Enzym?, sagt sie. Danach wurden die OST-Moleküle als einzelne, separate Partikel schockgefroren und mit Hilfe eines hochaufl?senden Kryo-Elektronenmikroskops abgebildet.

Dabei entstanden tausende Bilder, die den Enymkomplex aus allen m?glichen Blickwinkeln zeigen. Daraus errechnete Julia Kowal, die zweite Erstautorin der Science-Publikation, die dreidimensionale Struktur der OST. Dafür rechnete der Computer sechs Wochen lang. Das Ergebnis: eine sogenannte Elektronenmikroskopiekarte, auf der das Enzym als eine Art Elektronenwolke dargestellt wird.

Günstiger Zeitpunkt

?Wir haben einen glücklichen Moment erwischt?, erkl?rt Wild. Sie konnte bei ihrer Arbeit n?mlich von der derzeitigen ?Resolution Revolution? in der Kryo-Elektronenmikroskopie profitieren und ein hochmodernes Ger?t mit fast atomarer Aufl?sung nutzen. Die Entwicklung dieser Technologie wurde 2017 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet.

Um die Elektronenmikroskopie-Daten zu interpretieren, musste Wild die Aminos?uresequenz der OST ?von Hand? in die ?W?lkchen? der dreidimensionalen Karte einpassen. Auf diese Weise gelang es der Forscherin, die 3D-Struktur der OST mit allen Details abzubilden – ein Durchbruch, der nach der Online-Ver?ffentlichung unter Forschenden Entzücken ausl?ste.

Passendes Puzzleteil

Vergr?sserte Ansicht: Das Schema zeigt, wo die Glykosyltransferase sitzt, welchen Weg die veränderten Proteine nehmen und welche Interaktionen sie eingehen. (Schema: R.Wild / ETH Zürich)
Das Schema zeigt, wo die Glykosyltransferase sitzt, welchen Weg die ver?nderten Proteine nehmen und welche Interaktionen sie eingehen. (Schema: R.Wild / ETH Zürich)

OST ist ein Membranprotein-Komplex und besteht aus acht Untereinheiten. Diese erkennen beispielsweise den Zucker respektive das Protein oder stabilisieren die katalytische Einheit. Letztere ist jene Untereinheit des Enzyms, in der das sogenannte aktive Zentrum liegt, wo Proteine und Zucker zusammengebracht und fusioniert werden. ?Wir hatten erwartet, dass die katalytische Einheit sich in der Mitte des Enzyms befinden würde?, erkl?rt Wild. ??berraschenderweise liegt sie aber an dessen Aussenseite. Und ihre Form erinnert an einen weit aufgerissenen Mund.?

Was die Forschenden zun?chst irritierte, machte pl?tzlich Sinn, als die Forscherin die Struktur dort einpasste, wo die OST tats?chlich zum Einsatz kommt: Das Enzym ist in vivo n?mlich in die Membran des Endoplasmatischen Retikulums (ER) eingebettet. Das ist der Ort in der Zelle, wo Proteine gefertigt, gefaltet, kontrolliert und modifiziert werden.

Der direkte Nachbar der OST ist dort – so viel war bereits bekannt – ein Tunnelprotein. Dieses schleust entstehende Proteine ins Innere vom Endoplasmatische Retikulum – und dort direkt in den aufgesperrten Mund der OST. Dort erhalten die Jungproteine ihre Zuckerb?umchen.

Gutes Modell für menschliches Enzym

?Die Hefe-OST ist ein gutes Modell für die Vorg?nge im Menschen?, erkl?rt Wild. Das schliessen die Forschenden aus der Tatsache, dass das aktive Zentrum, wo die Proteine mit Zuckern bestückt werden, bei der Hefe-OST dem entsprechenden Bereich in Bakterien sehr ?hnelt. ?Das aktive Zentrum hat sich also im Laufe der Evolution kaum ver?ndert?, erkl?rt die Forscherin, ?was bedeutet, dass es sehr wahrscheinlich auch bei S?ugetieren, und somit auch beim Menschen, immer noch sehr ?hnlich funktioniert.?

Literaturhinweis

Wild R, Kowal J, Eyring J, Ngwa EM, Aebi M, Locher KP. Structure of the yeast oligosaccharyltransferase complex gives insight into eukaryotic N-glycosylation. Science 04 Jan 2018: eaar5140. DOI: externe Seite 10.1126/science.aar5140

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