Auch die Schweizer Landwirtschaft ist auf Fortschritt angewiesen

Um unsere Landwirtschaft ?kologischer und widerstandsf?higer zu machen, ist eine moderne und leistungsf?hige Züchtungsforschung unabdingbar, sagt Wilhelm Gruissem.

Wilhelm Gruissem

Trockenheit, Hitze, Ernteverluste, Milliardenforderungen der Landwirte. Der Hitzesommer 2018 war ein weiterer Warnschuss, dass der Klimawandel die Landwirtschaft vor immer neue Herausforderungen stellt. Nach Sch?tzungen der UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO leiden weltweit immer noch mehr als 800 Millionen Menschen an Hunger, obwohl die Nahrungsmittelproduktion eigentlich für alle ausreicht.

Weizen
Ertragreich, umweltschonend und robust müssen sie sein: Die Anforderungen an unsere Kulturpflanzen steigen. Im Bild: Weizen. (Bild: Byjeng / iStock)

Derweil erfreuen wir uns in der Schweiz eines vielf?ltigen, gesunden und günstigen Nahrungsangebots, auch gestützt durch die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten, die beinahe die H?lfte aller konsumierten Nahrungsmittel ausmachen. Mit der Initiative für Ern?hrungssouver?nit?t und der Fair-Food-Initiative stehen zwei Abstimmungsvorlagen an, die das Schweizer Agrarsystem umpflügen wollen. Sie verlangen die F?rderung einer biologisch und fair ausgerichteten nationalen Landwirtschaft, die gleichen Richtlinien bei importierten Agrarprodukten sowie die Erhaltung der Schweizer Lebensqualit?t, die sie in der Bundesverfassung reglementiert sehen wollen. Mit der Initiative zur Ern?hrungssouver?nit?t würde durch die Hintertür sogar ein absolutes Verbot von modernen Züchtungsmethoden für die Landwirtschaft eingeführt.

Drohender Rückschritt

Mit einem Ja zu den Vorlagen würde die Schweizer Landwirtschaft zurück ins 19. Jahrhundert katapultiert; sie würde der Chance beraubt, wissenschaftlich abgestützte Züchtungsmethoden zu nutzen. Nationale Abschottung hilft ebenfalls nicht. Denn ob wir wollen oder nicht: Unsere Landwirtschaft h?rt nicht an den Landesgrenzen auf. Wir teilen uns das Klima, die Kulturpflanzen und die Nahrungsmittelproduktion mit dem Rest der Welt. ?ber 50 Prozent des Kraftfutters für Tiere muss die Schweiz importieren. Wie kann man da von ?Ern?hrungssouver?nit?t? sprechen?

Die wahren Probleme liegen anderswo: Wir kommen nicht darum herum, auch die Schweizer Landwirtschaft fit zu machen für die Zukunft. Wir müssen zudem einen fairen Beitrag zur globalen Nahrungsmittelversorgung leisten und unseren Nachkommen eine intakte Umwelt hinterlassen. Dazu braucht es keine Technologieverbote. Sondern, erstens, ambitionierte und experimentierfreudige Landwirte. Und zweitens eine leistungs- und international konkurrenzf?hige Wissenschaft, die mit modernen Züchtungsmethoden landwirtschaftliche Forschung betreiben kann – aber: Wer m?chte schon an etwas forschen, das nie umgesetzt werden darf? Schliesslich braucht es eine weltoffene Gesellschaft, die ohne verkl?rte Vorstellungen von Lebensqualit?t auskommt.

Robuste Kulturpflanzen und ?kologische Nutztiere

Es ist absehbar, dass auch in der Schweiz das Frischwasser knapp werden wird. Schon jetzt ist es w?hrend langer Trockenperioden nicht immer ausreichend verfügbar. Schweizer Landwirte k?nnen durch den Einsatz von Düngemittel und Pestiziden zwar die notwendigen Ertr?ge liefern, aber das hat sch?digende Auswirkungen auf die Artenvielfalt, auf Oberfl?chengew?sser und für unser Trinkwasser. Der ?kologische Fussabdruck unserer Landwirtschaft – notabene auch der biologischen! – ist zu gross.

?Ohne moderne Züchtungs- und Entwicklungsmethoden sind Durchbrüche in der Landwirtschaft zum Nutzen der Gesellschaft und Umwelt nicht m?glich.?Wilhelm Gruissem

Wir sind deshalb künftig auf Kulturpflanzen angewiesen, die Trockenheit, Hitze, Sch?dlingen und Krankheitserregern trotzen k?nnen und mit weniger Dünger gleich hohe Ertr?ge bringen. In China wurde kürzlich eine genetisch ver?nderte Reissorte entwickelt, die weniger Stickstoffdünger im Boden ben?tigt, was der Trinkwasserqualit?t zunutze kommt. Die gleiche Technologie w?re auch für Getreide m?glich wie Weizen, Gerste und Mais, die in der Schweiz grossfl?chig angebaut werden. Dank neuster Methoden wie der sogenannten ?Genschere? (CRISPR-Cas) k?nnen heute sch?dlings- oder trockenheitsresistente Kulturpflanzensorten punktgenau gezüchtet werden ohne die bisher eingesetzten, unspezifischen ?Züchtungs-Keulen? wie Chemikalien oder Radioaktivit?t zu verwenden (siehe Blogbeitrag). Unter den Nutztieren kann das in Kanada und China entwickelte, genetisch ver?nderte Schwein ?Enviropig? Futterphosphat bis zu 50 Prozent besser verwerten und so die Gülle entlasten, was auch für die Schweizer Landwirtschaft von Vorteil w?re. Solche Erfolge mit modernen Züchtungsmethoden helfen, die Umwelt zu schonen und damit den ?kologischen Fussabdruck der Landwirtschaft zu verringern.

Gefahr für landwirtschaftliche Innovation

Ohne moderne Züchtungs- und Entwicklungsmethoden sind Durchbrüche in der Landwirtschaft zum Nutzen der Gesellschaft und Umwelt nicht m?glich. Ein Bann dieser Methoden – wie es die Initiativen explizit beziehungsweise implizit verlangen – würde unsere Landwirtschaft vom technologischen Fortschritt im Ausland abh?ngig machen und br?chte die einheimische Forschung an Kulturpflanzen faktisch zum Erliegen. Heute nimmt die Schweizer Agrarforschung weltweit einen Spitzenplatz ein. Forschende an Schweizer Hochschulen entwickeln L?sungen für Herausforderungen in der Landwirtschaft und der Ern?hrung, die überall auf der Welt Anwendung finden. Würde insbesondere die Initiative für Ern?hrungssouver?nit?t angenommen, w?re das ein verheerendes Zeichen für den gesamten Forschungsstandort und für die landwirtschaftliche Innovation in der Schweiz. Wir sind jedoch auf beides angewiesen, wenn wir die Zukunft meistern wollen.

Dieser Text ist in einer leicht gekürzten Version zuerst als Autorenbeitrag in der NZZ am Sonntag erschienen. Wilhelm Gruissem hat ihn gemeinsam mit externe Seite Beat Keller, Professor für Molekulare Pflanzenbiologie an der Universit?t Zürich, verfasst.
 

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert