Vertrauen: der unsichtbare Klebstoff
Für unser Miteinander ist zwischenmenschliches Vertrauen zentral. Doch so richtig fassen k?nnen wir es nicht. Vielleicht ein Trost: Das Vertrauen zwischen Personen stellt auch die Wissenschaft vor R?tsel.
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Ein verstauchter Kn?chel. Eine Beule am Hinterkopf. Eine Handgelenksprellung. Tanja Ulrich braucht ganz sch?n viel Vertrauen in ihr Gegenüber, damit sie sicher sein kann: Das wird nicht passieren. Schliesslich rollt sie beim Tanzen mal mit ihrem Rücken über den gebeugten ihres Partners. L?sst sich in Kontaktimprovisationen an der Hüfte hochheben oder auf den Schultern balancieren.
?Mit jemandem zu tanzen, ist eine riskante Sache?, sagt die Biomedizinerin. Wie viele Mitarbeitende von Embodiment-Forscherin Emily Cross, ETH-Professorin für Kognitive und Soziale Neurowissenschaften, forscht sie nicht nur. Sie tanzt auch. Mit dem Risiko meint Ulrich aber weit mehr als waghalsige Figuren: ?Man gibt so viel von sich. Wenn ich einer anderen Person und darauf vertraue, dass sie sich auf mich einl?sst, werde ich verletzlich.? Und dieses Sich-verletzlich-Machen ist auch für Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, ein wichtiger Bestandteil von Vertrauen. ?Wir erzeugen einen Raum der Verletzlichkeit.? Diesen Raum versuchen verschiedene Disziplinen zu vermessen. Philosophen, Psychologinnen, Neurowissenschaftler, Soziologinnen, Kulturwissenschaftler … Sie alle besch?ftigen sich mit dem Ph?nomen zwischenmenschlichen Vertrauens, das so schwer fassbar ist. Es ist ein bisschen wie mit der Liebe: Man kennt sie, hat ein intuitives Verst?ndnis von ihr, zieht sie für Erkl?rungen heran. Aber sie selbst definieren und in ihrer Ganzheit begreifen – das tun wir dann doch nicht.
Zwar komme man in der Forschung fast nicht um Vertrauen herum, sagt Grote. ?Vertrauen wird als Klebstoff postuliert, der Beziehungen zusammenh?lt.? Dies empirisch zu belegen, sei aber nicht so einfach, weil differenzierte Messmethoden fehlten. ?hnlich sieht es Denis Burdakov, Professor für Neurowissenschaften an der ETH: ?Ich denke, wir haben aktuell noch keine gute M?glichkeit, Vertrauen mit neuronaler Aktivit?t zu messen.?
Das liebe Geld
Einer aber will ?die Neurobiologie von Vertrauen? ergründet haben. Unter diesem Titel hatte der US-Neuro?konom Paul Zak vor über zwanzig Jahren die Ergebnisse eines Experiments ver?ffentlicht. Teilnehmende mussten via Computer Geld an Unbekannte schicken – im Wissen, dass sich die Summe auf deren Konto verdreifachen würde und dass sie wom?glich nichts mehr davon sehen k?nnten. Das Ergebnis: Je mehr Geld jemand erhielt, desto mehr Oxytocin liess sich in dessen Blut nachweisen – und je mehr von dem als Kuschelhormon bekannten Botenstoff vorhanden war, desto eher wurde Geld zurückgeschickt. In einem Folgeexperiment, das Zak mit Studenten in Zürich durchführen liess, zeigte sich, dass Teilnehmende, die zuvor drei Spritzer Oxytocin in die Nase bekommen hatten, vertrauensvoller investierten.
Also alles doch ganz einfach? Organisationspsychologin Grote l?chelt. Einige Forschende kritisieren Zaks Methodik. Viele finden seine Ansicht zu reduktionistisch. ?Wenn ich Alkohol trinke, vertraue ich Leuten auch eher?, gibt Grote etwa zu bedenken. ?Die Situation spielt eine entscheidende Rolle, ob ich vertraue oder nicht: Machen es mir andere leicht, weil sie integer und verl?sslich sind; stecke ich in einer Stresssituation, in der ich mich nicht noch zus?tzlich verletzlich machen will, indem ich anderen vertraue??
Hier knüpft Grote an das Vertrauensverst?ndnis von ?konominnen und ?konomen an, für die es vor allem um eine Wahrscheinlichkeitseinsch?tzung über eine Gegenleistung geht. Aus der Sicht von Doktorandin Ulrich ist es eine ?emotionale Gegenleistung?: Sich-Einlassen gegen Aufmerksamkeit, Verletzlichkeit gegen ?ffnung. Vertrauen also nicht nur als Klebstoff unserer Spezies, sondern als Werkzeug der Zusammenarbeit.
Hier geht es um mehr als nur um einen digitalen Geldtransfer in einem Labor. Und ein kurzzeitig wirkender Oxytocin-Spray ist auch nicht immer zur Hand, um ihn dem Gesch?ftspartner oder der Chefin in die Nase zu jagen. Oxytocin-Enthusiast Paul Zak musste bereits eingestehen, dass Vertrauen auch davon abh?ngt, wie sich jemand verh?lt oder aussieht. Grote erkl?rt: ?Leute, die zum Beispiel aus demselben Kulturkreis stammen, vertrauen einander leichter.? Die Funktion von Stereotypen sei es, Vertrauen in einer Gesellschaft zu skalieren.
?Globe? Vertraust du mir?

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/01 des ETH-????Magazins Globe erschienen.
Mit sanften Berührungen
Vertrauen hat eben auch einen gr?sseren Kontext, der sich darüber w?lbt. ?Es gibt kulturelle Unterschiede bei der Bereitschaft, Kontrolle abzugeben und Unsicherheit zuzulassen?, sagt Grote. Gleichzeitig spielen gesellschaftliche Regeln und Normen eine Rolle bei der Vertrauensbildung – etwa, dass sich zwei ETH-Mitarbeitende in einem Interview h?flich und wohlwollend begegnen.
Und w?re es nicht schon komplex genug, gibt es noch die ganz pers?nliche Ebene. ?Es gibt Menschen mit einer ?Offenheit für Erfahrung?, die anderen mehr vertrauen?, sagt Grote. Das hat auch etwas mit den bisher gemachten Erfahrungen zu tun. Doktorandin Ulrich umschreibt das mit dem Bild, ?wie die Hardware durch Erziehungspersonen und andere verkabelt wurde?. Man k?nnte von grossen, verinnerlichten Learnings und kleinen Vertrauenslernkurven sprechen. Solche beginnen bei Ulrich schon, bevor es mit dem Tanzpartner oder der -partnerin auf die Füsse geht. ?Eine Person liegt am Boden, die andere stellt mit sanften Berührungen Kontakt her?, erkl?rt Ulrich diese vertrauensbildende ?bung.
In ihrem kürzlich begonnenen Doktorat an den beiden ETH untersucht sie, was da genau zwischen und mit tanzenden Menschen passiert. Sie will Einblick in das Zusammenspiel von Vertrauen, Kreativit?t und Freude erlangen, indem sie etwa die Dynamik der T?nzerinnen und T?nzer mittels Motion-Tracking-Systemen untersuchen und modellieren wird. Frageb?gen sollen über Gefühle der Tanzenden Auskunft geben. Vielleicht werden zu einem sp?teren Zeitpunkt auch noch Oxytocin-Werte im Blut miteinbezogen. Sie selbst vertraue eher, wenn ihr jemand mit Mimik und Gestik zu verstehen gebe, dass er sich für sie interessiere und sie ein ?gutes Bauchgefühl? dabei habe. Digital geht es auch: Die schnelle Kommunikation vor dem Interview via ETH-Mailadresse habe sich positiv auf die Vertrauensbildung ausgewirkt, sagt die Doktorandin. ?Es gibt eben verschiedene Ebenen.?
Und diese br?ckeln in einer beschleunigten Welt, in der sich Krisen aufeinanderstapeln. ?Vertrauen nimmt in einer unsicheren Welt ab?, sagt Organisationspsychologin Grote, die aktuell eine Studie zu Unsicherheit, Einstellungen zu gesellschaftlicher Diversit?t und politischen Haltungen durchführt. Ulrich fühlt auch diese Erosion. ?Wenn Vertrauen und Verbindung verloren gehen?, sagt sie, ?dann wird es schwierig für die Welt.? Es sei wichtig, dass wir als Menschen aufeinander eingingen. Denn: ?Wenn Vertrauen da ist, kann die kollektive Kreativit?t florieren und ein wohliges Gefühl von Zusammensein entstehen.?
Zu den Personen

Gudela Grote ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie am Departement Management, Technologie und ?konomie der ETH Zürich.

Tanja Ulrich ist Doktorandin im ?ETH Zurich - EPFL Joint Doctoral Program in the Learning Sciences?, das durch die Jacobs Foundation gef?rdert wurde.

Denis Burdakov ist Professor für Neurowissenschaften am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich.