Wie sich ein neuer Waffenstillstand in der Ukraine überwachen liesse

Valerie Sticher und ihr Co-Autor Aly Verjee argumentieren, dass eine internationale Mission einen m?glichen Waffenstillstand in der Ukraine überwachen k?nnte. Doch eine Waffenruhe bleibe herausfordernd und werde nur dann halten, wenn alle Parteien die Lehren aus den bisherigen ?berwachungseins?tzen in der Ostukraine ziehen. ?
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
Bei dem berüchtigten Treffen zwischen Wolodimir Selenski und Donald Trump am 28. Februar im Weissen Haus wies der ukrainische Pr?sident darauf hin, dass Russland bereits früher wiederholt gegen vereinbarte Waffenruhen verstossen habe. Selenski bezog sich dabei auf die Waffenstillst?nde in den Minsker Abkommen von 2014 und 2015, die den damaligen Konflikt zwischen der Ukraine und den von Russland unterstützten Separatisten in der Donbass-Region beenden sollten. Die Rolle der internationalen Beobachtermission, welche die Minsker Waffenstillst?nde in der Ostukraine überwacht hatte, kam im Oval Office allerdings nicht zur Sprache.
Zur Autorin
Valerie Sticher ist Senior Researcher am Center for Securities Studies (CSS) der ETH Zürich. Sie setzt qualitative und computergestützte Forschungsmethoden ein, um die Dynamik bewaffneter Konflikte zu untersuchen. Ihre Dissertation schrieb sie über die Rolle von Waffenstillst?nden in Friedensprozessen.
Dabei sind die Erfahrungen der Beobachtermission für die aktuellen Diskussionen über die Einführung von Waffenruhen und die Beendigung des russisch-ukrainischen Krieges von entscheidender Bedeutung.1, 2 Eine glaubwürdige ?berwachung kann zu besser eingehaltenen Waffenstillst?nden führen – allerdings nur, wenn das Monitoring-Design den politischen Realit?ten eines Konflikts Rechnung tr?gt.3, 4
Bislang ist kaum Konkretes über eine potenzielle ?berwachungsmission bekannt. Selenski forderte wiederholt Sicherheitsgarantien, einschliesslich pr?senter Friedenstruppen.5 Wladimir Putin wollte seinerseits wissen, welcher Mechanismus in einem m?glichen Waffenstillstand über Verletzungen der Waffenruhe entscheiden würde.6 Diese Frage ist angesichts der jüngsten Erfahrungen mit dem von Russland für Ostern angekündigten Waffenstillstand besonders aktuell: Ohne vereinbarten ?berwachungsmechanismus beschuldigten sich die beide Seiten gegenseitig, den Osterfriede tausendfach verletzt zu haben.7
Basierend auf unserer Forschung über die internationale Sonderbeobachtermission in der Ukraine (Special Monitoring Mission, SMM) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sehen wir drei wichtige Anforderungen an einen zukünftigen ?berwachungsmechanismus: Erstens eine klare Monitoring-Strategie. Zweitens der Anspruch, Waffenstillstandsverletzungen zu ahnden, anstatt sie nur zu z?hlen. Und drittens ein gezielter Einsatz moderner Fernerkundungstechnologie.8
Die ?berwachungsstrategie
Im Jahr 2015 wurde die rein zivile Special Monitoring Mission angesichts der sich rasch verschlechternden Sicherheitslage in der Ukraine neu organisiert und mit der ?berwachung des Minsker Waffenstillstands beauftragt. In den folgenden sieben Jahren wurde die Mission auf das Monitoring von Kampfhandlungen auf beiden Seiten ausgeweitet.

Verst?sse waren weit verbreitet. Es gab, wenn überhaupt, nur geringfügige Konsequenzen für die T?ter. Die SMM erzielte zwar einige lokale Erfolge – so erreichte sie eine vorübergehende Feuerpause, erleichterte humanit?re Massnahmen und unterstützte die Reaktion auf den Abschuss von Flug MH17 –, doch verfügte sie nur über begrenzte Mittel, um bei schwerwiegenden Waffenstillstandsverletzungen wirksam zu reagieren. Als Russland 2022 seine Invasion startete, zog sich die SMM hastig zurück.
?Wenn das Ziel einer ?berwachungsmission darin besteht, Verst?sse m?glichst zu verhindern, braucht es konkrete Pl?ne, wie man auf Verst?sse reagieren kann, wenn sie auftreten.?Valerie Sticher, Aly Verjee
Neue Friedens- oder Beobachtertruppen brauchen einen klaren Daseinszweck und eine Gesamtstrategie. Das erfordert einen Konsens über die Ziele und Mittel einer m?glichen Mission, zumindest unter den beteiligten Staaten.9 Wie bei fast allen Waffenstillst?nden kann es auch dann immer noch zu Verst?ssen kommen.10
Wenn das Ziel einer Beobachtermission also darin besteht, Verst?sse m?glichst zu verhindern, dann braucht es klare Vorgaben, wie auf Verst?sse reagiert werden soll – man muss wissen, unter welchen Bedingungen eine Eskalation angebracht ist. Ist das Ziel jedoch vor allem, den Konflikt zu deeskalieren und dazu auch ein gewisses Mass an Gewalt zu tolerieren, wird sich eine Mission in Umfang, Einsatzgebiet und Personal erheblich unterscheiden.
In der Diskussion um die Gr?sse einer allf?lligen (milit?rischen) ?berwachungstruppe ist es unserer Ansicht nach wichtig, dass zumindest ein Teil des Monitorings durch zivile Kr?fte erfolgen sollte. Wie bei der SMM bringen zivile Monitoring-Fachleute verschiedene F?higkeiten und damit mehr Vorteile in die Mission ein als rein milit?risches Personal.
Bei Verst?ssen die Verantwortlichen nennen
Die SMM verfolgte bei der ?berwachung einen quantitativen Ansatz: Sie war gut darin, Verst?sse zu z?hlen – manchmal Hunderte bis sogar Tausende pro Tag. Doch letztlich trugen die gesammelten Daten nur wenig zur Einhaltung des Waffenstillstands bei. Eine grundlegende Schw?che der SMM war, dass sie es vers?umte, Verletzungen des Waffenstillstands einer verantwortlichen Partei zuzuordnen, selbst wenn dies m?glich war. Das machte das Monitoring zahnlos.
Mit ein Grund dafür war, dass ein hinreichend robustes Mandat fehlte. Die SMM musste stets die Fortführung der Mission gew?hrleisten, was die Zustimmung aller Parteien einschliesslich Russlands erforderte, und gleichzeitig aussagekr?ftige Berichte erstellen – eine überaus heikle Gratwanderung. Um sie zu meistern, vermied es die Mission, Verantwortung direkt zuzuweisen.
?In einem zukünftigen Waffenstillstand würden unklar zugeordnete Verst?sse die Konfliktparteien nur dazu ermutigen, ihre Verpflichtungen zu brechen.?Valerie Sticher, Aly Verjee
Diese Unsch?rfe erschwerte es, Konsequenzen aus den Vertragsbrüchen zu ziehen. Zudem erlaubte sie es Drittstaaten, selektiv zu reagieren: W?hrend westliche L?nder die Verst?sse der von Russland unterstützten Separatisten weitgehend verurteilten, prangerten Russland und seine Verbündeten ukrainische Verst?sse an. So verhinderte das schwache Monitoring einen wirksamen internationalen Druck.
Das ohnehin schon begrenzte Vertrauen zwischen den Konfliktparteien ist seit der SMM noch weiter gesunken. In einem künftigen Waffenstillstand würden unklar zugeordnete Verst?sse nur dazu ermutigen, die Verpflichtungen zu brechen.
Eine neue, effektive ?berwachungsmission in der Ukraine müsste die organisatorischen Defizite ihrer Vorg?ngerin überwinden und ausdrücklich befugt sein, wenn immer m?glich auch die Verantwortlichen ?ffentlich zu benennen.
Darüber hinaus k?nnte eine gemeinsame Kommission beiden Seiten erm?glichen, Vorf?lle rasch und niederschwellig anzusprechen. Dazu br?uchte es direkte Kommunikationslinien sowohl zwischen den Führungsebenen als auch unter den jeweiligen Streitkr?ften, um Zwischenf?lle früh aufzufangen und Eskalationen zu verhindern.
Die Rolle von Technologie
Eine der St?rken der SMM war der umfangreiche Einsatz von Fernerkundungstechnologie: Mehr als jede andere ?berwachungsmission zuvor setzte die SMM auf kamerabestückte Drohnen, station?re Kameras, Satellitenbilder und akustische Sensoren.11

Diese Instrumente haben die M?glichkeiten der Mission zur Beobachtung erheblich erweitert. Insbesondere Drohnen erlaubten es, unsichere oder unzug?ngliche Gebiete zu überwachen und Verst?sse auch bei Nacht zu beobachten.
Die Mission in der Ostukraine zeigt allerdings auch, dass ein robusteres Monitoring nicht zwangsl?ufig zu einer besseren Einhaltung von Waffenstillst?nden führt.8 Technologien zur Fernerkundung k?nnen die herk?mmliche ?berwachung daher bestenfalls erg?nzen. Beachtenswert: Sind technische Mittel verfügbar, k?nnen sie dazu verleiten, jeden Schuss in die Wildnis zu dokumentieren. Ein solcher Ansatz sagt jedoch wenig über die Relevanz und Tragweite eines Verstosses aus. Insofern kann Fernerkundung eine ?berwachungsmission am besten unterstützen, wenn sie dabei hilft, die wichtigen Verst?sse zu erfassen, anstatt jede einzelne Kugel eines Konflikts zu z?hlen.
Valerie Sticher verfasste diesen Text gemeinsam mit externe Seite Aly Verjee, Doktorand an der School of Global Studies der Universit?t G?teborg. Der Beitrag erschien zuerst bei externe Seite The Loop, einem Blog des European Consortium for Political Research (ECPR), und wurde hier leicht angepasst übernommen.
Die Rolle von Waffenstillst?nden in Friedensprozessen

Valerie Sticher ist Mitautorin des neu erschienenen Buches ?Waffenstillst?nde – Gewalt beenden und Frieden aushandeln?. Darin er?rtern Verhandlungsführende und Forschende, wie Waffenstillst?nde und politische Verhandlungen zusammenspielen und zur F?rderung von Frieden beitragen. Fallstudien befassen sich mit Konflikten in Bosnien, Burundi, Kolumbien, Darfur, El Salvador, Myanmar, den Philippinen, Nord- und Südsudan sowie Syrien.
1 Aly Verjee. externe Seite Ceasefire monitoring under fire: The OSCE, technology, and the 2022 war in Ukraine. Policy Insights (2022).
2 US Department of State: externe Seite Joint Statement on the United States-Ukraine Meeting in Jeddah. (March 11, 2025)
3 Center for Security Studies (2025): Ceasefires - Stopping the Violence and Negotiating Peace.
4 Govinda Clayton, Valerie Sticher: externe Seite The Logic of Ceasefires in Civil War. International Studies Quarterly (2021)
5 Euronews: externe Seite Zelenskyy repeats security guarantees demands after Oval Office spat with Trump.
6 BBC: externe Seite Putin sets out conditions for Ukraine ceasefire.
7 BBC: externe Seite Ukraine and Russia report fighting as 'Easter truce' ends.
8 Valerie Sticher, Aly Verjee: externe Seite Do Eyes in the Sky Ensure Peace on the Ground? The Uncertain Contributions of Remote Sensing to Ceasefire Compliance. International Studies Review (2023)
9 Geneva Centre for Security Policy (March 2025): externe Seite Drawing a line: A Swiss army knife of options for achieving a sustainable ceasefire in Ukraine.
10 Valerie Sticher: externe Seite Ceasefire Violations: Why They Occur and How They Relate to Strategic Decision-Making Processes. International Studies Review (2022)
11 Center for Security Studies (2024): Ceasefire Monitoring and Verification and the Use of Technology: Insights from Ukraine 2014–2022.