Ein ETH-Spin-off will die Genschere in die Klinik bringen
Mithilfe der Crispr/Cas-Technologie k?nnen Forschende das Erbgut pr?zise editieren, um Erbkrankheiten zu therapieren. Dafür müssen sie jedoch ungewollte Schnitte im Genom frühzeitig erkennen. Pioneer Fellow Lilly van de Venn entwickelt solche Prüfverfahren.?
Sie sei eher introvertiert, erz?hlt Lilly van de Venn. W?hrend des Studiums habe sie zu den Schüchternen geh?rt. Dies, nachdem ihre Kolleg:innen am Gymnasium Rychenberg in Winterthur mutmassten, dass sie für ein Studium an der ETH Zürich zu wenig intelligent sei. ?Der Entscheid für ein Biochemiestudium an genau dieser Hochschule war auch eine Trotzreaktion?, sagt van de Venn. ?Ich wollte es den anderen zeigen.?
So begann sie 2012 an der ETH Zürich das Grundstudium in Biochemie mit 160 Studierenden, nach einer Woche waren es noch 60 und bis zum Bachelorabschluss war der Jahrgang auf 20 geschrumpft. ?Das Studium war schwierig und es blieb wenig Zeit für anderes?, erinnert sie sich. ?Aber wenn mich etwas wirklich interessiert, dann habe ich kein Problem, mich in ein Thema reinzuknien.?
Im Rampenlicht für die eigene Gesch?ftsidee
13 Jahre sp?ter ist Lilly van de Venn CEO eines Spin-offs, der noch keinen Namen tr?gt, aber bereits grosse Hoffnungen weckt. Von ihrer früheren Schüchternheit ist beim Gespr?ch am Institut für molekulare Gesundheitswissenschaften auf dem 365体育官网_365体育备用【手机在线】 H?nggerberg nichts mehr zu merken. Die heute 32-J?hrige erz?hlt begeistert und überzeugend von ihrer Forschung – egal, ob in Englisch oder Deutsch. Mittlerweile f?llt ihr auch das Pr?sentieren und Pitchen leicht, wenn sie an Start-up-Wettbewerben, an Forschungskonferenzen oder vor potenziellen Investor:innen über ihre Gesch?ftsidee spricht: eine pr?zise und effiziente Methode, mit welcher ungewollte Schnitte am Genom, sogenannte Off-target-Effekte, zuverl?ssig aufgespürt werden k?nnen. Das ist für Therapien, die auf Bearbeitung des Erbguts beruhen, zentral.
Mit der molekularbiologischen CRISPR/Cas-Technologie k?nnen Wissenschaftler:innen DNA gezielt schneiden, um Gene zu entfernen, auszuschalten oder einzufügen. Damit sind grosse Hoffnungen verbunden, zum Beispiel die Heilung der Sichelzellan?mie, eine erbliche Erkrankung der roten Blutzellen. Heute sind Patient:innen oft ein Leben lang auf Medikamente angewiesen, ohne Aussicht auf Heilung. In der Klinik k?nnte CRISPR/Cas wie folgt eingesetzt werden: Patient:innen werden Blutstammzellen entnommen. Im Labor entfernen und ersetzen Forschende die vererbte und krankmachende Sequenz im Genom der Zelle. Anschliessend wird die ver?nderte Zelle ins Knochenmark eingesetzt, wo sie sich selbst?ndig teilt und vermehrt – mitsamt dem reparierten Gen. ?Eine der gr?ssten Herausforderungen liegt darin, dass man mittels CRISPR/Cas wirklich nur an den beabsichtigten Stellen im Genom schneidet?, erkl?rt van de Venn. ?Unbeabsichtigte Schnitte k?nnen zum Beispiel Krebs verursachen.?
Die Schnittstellen im Auge behalten
Als die Biochemikerin w?hrend des Masterstudiums zum ersten Mal von Off-target-Effekten in Zellen h?rte, war sie beunruhigt. ?Doch je l?nger ich darüber nachdachte, desto interessanter fand ich die Frage, wie man diese unbeabsichtigten Schnittstellen findet.? In einer typischen menschlichen K?rperzelle befinden sich etwa sechs Milliarden DNA-Bausteine, also Basenpaare. Entsprechend schwierig ist es, Ver?nderungen mit CRISPR/Cas im Auge zu behalten. Forschende suchen deshalb seit Jahren nach Methoden, wie sie unbeabsichtigte Schnittstellen finden und sie beschreiben k?nnen. Einer der leitenden Experten auf diesem Gebiet ist Jacob Corn, Professor für Genombiologie am Institut für molekulare Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich. Er ist Mitautor eines 2019 im Fachmagazin Science erschienenen Artikels, der ein Protokoll namens ?DISCOVER Seq? pr?sentierte; eine Art Bedienungsanleitung zum Detektieren von Off-target-Effekten.
?DISCOVER Seq? nutzt das Prinzip, dass s?mtliche Schnitte, beabsichtigte wie unbeabsichtigte, in einer Zelle repariert werden müssen, damit diese gesund bleibt. An diesem Reparaturprozess sind bestimmte Proteine beteiligt. Wenn es gelingt, diese Proteine zu finden, so die Idee der Autor:innen, dann sollte man auch alle Stellen finden, an denen eine Reparatur stattfindet. Daraus l?sst sich folgern, wo die DNA zuvor geschnitten wurde. Dazu fixierten die Forschenden Millionen von Zellen, indem sie die DNA und die spezifischen Proteine (MRE11), die an der DNA-Reparatur beteiligt sind, mit Formaldehyd ?zusammenklebten?. Mithilfe eines passenden Antik?rpers, der an MRE11 bindet, und bestimmter Reagenzien konnten sie anschliessend die Proteine mit Schnittstellen aus der zuvor zerkleinerten DNA aus der L?sung ziehen und detektieren.
Schon w?hrend ihres Masterstudiums meldete sich Van de Venn bei Corn, der damals noch an der University of California in Berkeley arbeitete. Sie schlug ihm vor, im Rahmen ihrer Doktorarbeit ?DISCOVER Seq? weiterzuentwickeln und das Protokoll für medizinische Anwendungen zu optimieren. ?Ursprünglich ben?tigte man zum Detektieren der Off-target-Effekte sehr viele Zellen. Das ist in einem Spitalumfeld jedoch nicht praktikabel.? Zudem war die Aufarbeitung einer Probe langwierig und aufwendig.
Van de Venn wollte deshalb mit weniger Ausgangsmaterial bessere Analyseergebnisse erzielen. Was sie damals noch nicht wusste: Corn war gerade mit dem Umzug seiner Forschungsgruppe an die ETH Zürich besch?ftigt. Wenige Monate sp?ter begann die Masterabsolventin ihre Doktorarbeit im Corn Lab; gleich neben dem Labor, in dem sie bereits für ihre Masterarbeit mit CRISP/Cas gearbeitet hatte.
Nach monatelangen Versuchen gelang der Forscherin der Durchbruch. Sie nutzte erstmals einen Wirkstoff aus der Krebsforschung, um das MRE 11-Protein zu fixieren. Das ist entscheidend, denn je weiter das Protein sich von der Schnittstelle wegbewegt, desto schw?cher wird das Messsignal und desto schwieriger das Erkennen von Off-target-Effekten. ?Jacob war zuerst skeptisch, fand aber, ich solle es einfach ausprobieren?. Und tats?chlich passte das Wirkstoffmolekül perfekt. Es blockiert die Stelle, über welche sich das Protein normalerweise auf der DNA bewegt. Heute braucht van de Venn nur noch wenige Zellen aus einer Biopsie zum Detektieren von Off-target-Effekten. ?Das passt in den regul?ren Arbeitsablauf an der Klinik, wenn bei Patienten Abkl?rungen getroffen werden.?
Mit ?AutoDISCO? Risiken einsch?tzen
Anfang 2025 hat die Biochemikerin gemeinsam mit ihrem Doktoratskollegen Charles D. Yeh einen Spin-off gegründet. Das erste Produkt nennt sich ?AutoDISCO?, ein standardisiertes Vorgehen für die routinem?ssige Analyse von Off-target-Effekten bei der Entwicklung von Gentherapien. ?Wir k?nnen unseren Partnern sagen, wo ungewollte Schnitte im Genom sichtbar sind und eine erste Risikoeinsch?tzung durchführen.?
Van de Venn ist überzeugt, dass ihre Unternehmensidee zur richtigen Zeit kommt: Mehrere klinische Studien bei Patient:innen mit Blutkrankheiten mussten abgebrochen werden aufgrund von Nebenwirkungen, die durch Off-target-Effekte hervorgerufen wurden. Die European Medicines Agency (EMA) und die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) haben daraufhin ihre Vorschriften für die Zulassung von Gentherapien versch?rft. Sie fordern, dass Off-target-Effekte routinem?ssig kontrolliert werden. 2023 wurde erstmals eine Therapie basierend auf CRISPR/Cas-editierten Stammzellen (Casgevy) in den USA und Grossbritannien zugelassen, in der EU ein Jahr sp?ter.
Noch kosten solche Therapien zwischen zwei und drei Millionen US-Dollar und sind nur wenigen Patient:innen in reichen L?ndern zug?nglich. Sie ben?tigen eine hochspezialisierte Labor- und Spitalinfrastruktur und bergen weiterhin biologische Risiken. Van de Venn hofft, dass die Kosten in Zukunft stark sinken und die Therapien breiter verfügbar werden, ?hnlich wie heute Chemotherapien gegen Krebs. Marktforschungsunternehmen prognostizieren der Geneditierung bis 2033 einen Markt von 40 Milliarden US-Dollar. Forschende gehen davon aus, dass Gentherapien künftig auch bei muskeldegenerativen Krankheiten oder genetischen Nieren- oder Lebersch?den eingesetzt werden k?nnen.
Derzeit wird van de Venns Spin-off durch einen Pioneer-Fellowship der ETH Foundation und einen Bridge Discovery-Grant des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt. Der erste Angestellte Dominic Mailaender kümmert sich um die Automatisierung des Protokolls. Bereits heute übernimmt ein Roboter das Pipettieren im Rahmen des AutoDISCO-Verfahrens. Für die kommenden zwei Jahre kann das dreik?pfige Team in den Laboren von Jacob Corns Forschungsgruppe weiterarbeiten. Der Professor selbst steht dem Spin-off als Berater zur Verfügung.
Das Team arbeitet unter anderem mit dem Zürcher Start-up Nerai Bio zusammen, das neue CRISPR/Cas-Proteine entwickelt. Zudem bestehen erste Kooperationen mit zwei Unternehmen, die ungenannt bleiben wollen. Van de Venn sagt lediglich: ?Die Pharmaindustrie ist sehr an unserer Arbeit interessiert.? Sie erachtet es als realistisch, dass ihr Spin-off in einigen Jahren von einem Pharmaunternehmen übernommen wird. Und was würde sie nach einer erfolgreichen Integration des Start-ups in einen Konzern tun? ?Wahrscheinlich würde ich dann einfach nochmals neu gründen?, sagt die frischgebackene CEO selbstbewusst.
Pioneer Fellowship Programm
Das Pioneer Fellowship ist ein umfassendes Unterstützungsprogramm, das innovativen Denker:innen ideale Bedingungen für den Beginn ihrer unternehmerischen T?tigkeit bietet. Das Programm richtet sich prim?r an Doktorierende, steht aber auch Masterstudierenden und Postdocs offen. Pioneer Fellows erhalten ein Stipendium von 180'000 Franken über 12 bis 18 Monate, zus?tzlich zu umfassendem Mentoring und Ausbildung. Die Pioneer Fellowships werden gemeinsam von der ETH Foundation und der ETH Zürich finanziert.