
Julia Vogt, was haben wir davon, wenn Ärztinnen und Ärzte KI nutzen?
Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Medizin bereits eingesetzt. Die Informatikerin Julia Vogt zeigt auf, wie KI ?rztinnen und ?rzte unterstützen kann und wo Menschen unersetzbar bleiben.?
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?Wir alle k?nnen davon profitieren, wenn KI in der Medizin am richtigen Ort eingesetzt wird. Dabei kann eine KI nicht die Erfahrung und das Urteilsverm?gen von ?rztinnen und ?rzten ersetzen, ebenso wenig die ?rztliche Verantwortung oder das pers?nliche Patientengespr?ch.
Neulich hat ein Mediziner mir gegenüber die Befürchtung ge?ussert, dass KI überall dort zum Einsatz kommen wird, wo er als Arzt keine Zeit hat. KI als zweitrangige Gesundheitsversorgung sozusagen. Ich habe ihm widersprochen, denn es gibt gute Beispiele, wo KI schon heute eine wertvolle Erg?nzung in der Medizin ist – zum Beispiel in der Radiologie.
Die Expertin
Julia Vogt ist Professorin für Informatik am Departement Informatik der ETH Zürich. Um ein Haar h?tte sie Medizin studiert, sich dann aber doch für Mathematik entschieden und arbeitet jetzt an der Schnittstelle zwischen KI und Medizin.
Eine KI kann gut mit grossen Datenmengen umgehen und erkennt in Bildern Auff?lligkeiten, die dem menschlichen Auge wom?glich entgehen. Wenn die KI transparent macht, wo etwas abweicht, kann eine ?rztin oder ein Arzt an dieser Stelle gezielt hinschauen und eine eigene Beurteilung machen. Das spart Zeit, ohne dass die medizinische Qualit?t darunter leidet.
Meine Forschungsgruppe hat beispielsweise eine KI entwickelt, die bei der Diagnose von Herzfehlern bei Neugeborenen helfen kann. W?hrend des Ultraschalls am Baby analysiert die KI die Bilddaten und meldet Abweichungen vom Normalfall. So genutzt ist KI ein sinnvolles Werkzeug für ?rztinnen und ?rzten und weit von einer Blackbox entfernt, die einen Wert ausspuckt, der nicht nachvollziehbar ist.
In einem anderen Forschungsprojekt haben wir ein Früherkennungssystem für Gelbsucht bei Neugeborenen entwickelt. Heute verlassen viele Mütter und ihre Babys das Spital bereits am Tag der Geburt, eine m?gliche Gelbsucht entwickelt sich aber oft erst danach. Mit unserem Modell l?sst sich das Risiko einer Gelbsucht zuverl?ssig voraussagen, dies anhand von vier Markern: Alter und Gewicht des Babys, in welcher Schwangerschaftswoche es geboren wurde und sein Bilirubin-Wert im Blut. Zeigt unser Modell ein erh?htes Gelbsuchtrisiko an, kann das Kind l?nger im Spital versorgt oder die Eltern entsprechend geschult werden.
Das Beispiel zeigt das Potenzial von KI in der Früherkennung. Eine KI kann anhand von komplexen Daten kombiniert mit bestimmten Markern ein Muster erkennen, das auf eine beginnende Erkrankung hindeutet, bevor Symptome spürbar sind. Insbesondere wenn die Marker aus verschiedenen Quellen – etwa Bilder, Laborwerte, Genetik – kommen, ist das Potenzial gross. Eine KI kann die heterogene Datenmenge zusammenführen, verst?ndlich darstellen und ganzheitlich analysieren. Die ?rztin oder der Arzt kann diese Analyse interpretieren und entscheiden, was zu tun ist.
In einem weiteren Forschungsprojekt zu Blinddarmerkrankungen bei Jugendlichen haben wir ein Webinterface entwickelt, in das ?rztinnen und ?rzte Ultraschallbilder, tabellarische klinische Daten oder Informationen zu K?rpertemperatur und Schmerzen eingeben k?nnen. Die KI analysiert, ob eine Blinddarmentzündung vorhanden ist und ob Komplikationen zu erwarten sind und empfiehlt gegebenenfalls eine Operation. Dabei begründet das Modell nachvollziehbar, wie es zu seinen Schlüssen kommt.
Die KI wurde mit Daten eines deutschen Spitals trainiert. Nun sind wir dabei, das Modell so zu generalisieren, dass es nicht nur lokal funktioniert, sondern sich generell übertragen l?sst. Bei der Validierung mit weiteren Datens?tzen kontrollieren wir immer wieder, dass die KI keine falschen Schlüsse zieht. Eine Garantie für eine komplett fehlerfreie KI kann natürlich niemand geben. Auch wir Menschen machen bekanntlich Fehler. Was eine KI den ?rztinnen und ?rzten aber immer voraushat: Sie wird niemals müde.?
Vom ?Zukunftsblog? zu ?Perspektiven?
Der Zukunftsblog erhielt ein Fresh-up und heisst neu Perspektiven. Auf der Autor:innen-Plattform der ETH Zürich beantworten Expertinnen und Experten der Hochschule gesellschaftsrelevante Fragen und ordnen aktuelle Themen ein.
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