
Daniel Möckli, wie kann die Schweiz Sicherheit und Wohlstand wahren?
Der Zerfall der regelbasierten Weltordnung gef?hrdet das Erfolgsmodell der Schweiz, sagt der Sicherheitsexperte Daniel M?ckli. Er sieht das Land vor schwierigen Positionierungsfragen.?
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?Die Welt durchlebt einen Epochenwechsel. Die liberale internationale Ordnung, die der Schweiz Sicherheit und Wohlstand gebracht hat, zerf?llt. Nach Russland und China tragen diese Ordnung heute auch die USA nicht mehr mit. Deren milit?rische und wirtschaftliche ?berlegenheit war einst Basis für ihre Rolle als Ordnungsmacht. Heute dient sie haupts?chlich als Mittel, um eng definierte Interessen gegenüber Freund und Feind durchzusetzen.
Mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem aussenpolitischen Kurswechsel der USA hat sich die Sicherheitslage für Europa deutlich verschlechtert. Das gilt auch für die Schweiz.
Der Experte
Daniel M?ckli leitet den Think ?Tank des Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Er befasst sich mit geopolitischen Entwicklungen und der europ?ischen und Schweizer Sicherheitspolitik. Davor leitete er die politische Planung im Aussendepartement EDA und beriet zwei Bundesr?te in sicherheitspolitischen Fragen. Im Geschichtsstudium an der Uni Zürich entdeckte er seine Leidenschaft für strategische Planung.
Wie eine neue Ordnung aussehen wird, ist noch unklar. Die ?bergangsperiode ist durch Machtpolitik, eskalierende Gewalt und Polykrisen gepr?gt. Das Machtgefüge verschiebt sich. Autorit?re Staaten erstarken. Die Welt wird multipolar, weniger westlich und weniger demokratisch.
Die geopolitischen Spannungen übertragen sich auch auf die Wirtschaft. Der Welthandel wird repolitisiert und fragmentiert. Die Grossm?chte ringen um die Kontrolle von Handels- und Investitionsstr?men, Lieferketten und Technologien. Kleinere Staaten sehen sich wieder st?rker den Launen internationaler Schwergewichte ausgesetzt.
In den letzten Jahrzehnten hat die Schweiz dank regelbasierter Ordnung und einer klugen Politik erfolgreich auf verschiedenen Klaviaturen gespielt. Heute sehe ich ihr Erfolgsmodell in Frage gestellt. Willkürliche Z?lle als Ausdruck einer neuen Machtlogik, die europ?ische Kritik an ihrer Neutralit?t sowie ihrem Kriegsmaterialgesetz und die Abqualifizierung durch Russland als ?unfreundlicher Staat? – die Schweiz steht im Kreuzfeuer der Weltpolitik und ger?t unter Druck, sich zu positionieren.
Bisher hat sie verhalten auf die Zeitenwende reagiert. Für den Bundesrat als Vielparteienregierung ist es herausfordernd, eine koh?rente Antwort auf den Wandel zu formulieren. Auch das Parlament tut sich schwer. Zudem war in Bern – anders als etwa in Brüssel – lange wenig Dringlichkeit zu spüren. Statt Strategiedebatten dominierten Finanzdebatten – die Schuldenbremse setzt dem Verteidigungsbudget enge Grenzen.
Der Zollschock hat gezeigt, wie verwundbar die Schweiz als kleines, wohlhabendes Land ist. Die Frage, wie sie ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben kann, wird virulent. Jenseits politischer Einzelentscheide identifiziere ich vier Massnahmen, mit denen die Schweiz dem Handlungsdruck begegnen kann:
Erstens braucht die Schweiz mehr Klarheit darüber, was sie in dieser neuen Welt will. Sicherheits-, Wirtschafts- und Aussenpolitik sind st?rker zu verschr?nken. Dies erfordert auch innerhalb der einzelnen Politikbereiche mehr Koh?renz: zwischen der Sicherheits-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik, aber auch zwischen der Aussenwirtschafts- und der Standortpolitik.
Zweitens werden Antizipation und die Planung mit Szenarien wichtiger – dies gilt auch für die geo?konomische Risiken, denen die Schweiz als offene und exportorientierte Wirtschaft immer st?rker ausgesetzt ist. Die Wissenschaft kann hierzu beitragen.
Drittens muss die Schweiz widerstandsf?higer werden – sowohl sicherheitspolitisch als auch wirtschaftlich. Die St?rkung der Resilienz gegenüber hybrider Konfliktführung, Krisen, Naturgefahren und externen Schocks sollte dabei gesamtheitlich konzipiert werden. Auch hier kann die Forschung helfen.
Viertens braucht die Schweiz Partner. Ihre eigenst?ndige, global ausgerichtete Politik bleibt dann zukunftsf?hig, wenn sie st?rker im europ?ischen Sicherheits-, Wirtschafts- und Forschungsraum verankert ist. Auch für die angestrebte Verteidigungsf?higkeit braucht die Schweiz Kooperationen.
Dank ihrer Innovationskraft und Glaubwürdigkeit hat die Schweiz aber auch viel zu bieten. Und für den Erhalt von Wohlstand sind verl?ssliche, regelbasierte Partnerschaften wichtiger denn je.?
Vom ?Zukunftsblog? zu ?Perspektiven?
Der Zukunftsblog erhielt ein Fresh-up und heisst neu Perspektiven. Auf der Autor:innen-Plattform der ETH Zürich beantworten Expertinnen und Experten der Hochschule gesellschaftsrelevante Fragen und ordnen aktuelle Themen ein.
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