Smarte Socken, die Schmerzen lindern

Bei jeder zweiten betroffenen Person führt Diabetes zu Nervensch?den – beginnend in den Füssen. Die intelligente Socke des Spin-offs Mynerva hilft Erkrankten, beim Gehen den Boden wieder zu spüren, und lindert ihre chronischen Schmerzen.?

Eine Person trägt die Mynerva Socken und hält ein Telefon in der Hand. Auf dem Telefon ist eine App offen, welche das Druckprofil des Fusses darstellt.
Die intelligente Socke erzeugt verlorene Empfindungen an der Fusssohle künstlich: W?hrend des Gehens erstellen unsichtbare Drucksensoren an der Fussfl?che der Socke ein Abbild der Druckverteilung. Elektroden stimulieren die Nerven entsprechend.  (Bild: Michel Büchel / ETH Zürich)

In Kürze

  • Menschen mit diabetischer Neuropathie leiden an Gefühlsverlust in den Extremit?ten und an chronischen Schmerzen. 

  • Das ETH-Spin-off Mynerva hat eine Socke mit künstlicher Intelligenz entwickelt, die die Druckverteilung beim Gehen erfasst und in Echtzeit an gesunde Teile der Nerven übermittelt. 

  • Betroffene k?nnen damit nicht nur sicherer gehen, sie haben dank der elektrischen Nervenstimulation auch weniger Schmerzen und ben?tigen m?glicherweise seltener Medikamente. 

Paradoxerweise beginnt die Erfolgsgeschichte von Mynerva mit Menschen, die keine Socken tragen k?nnen. Sie beginnt mit einem M?dchen, das in ihrer Freizeit Bücher über Therapiemethoden bei Amputierten verschlingt: ?Seit meiner Kindheit fasziniert mich die Entstehung von Phantomschmerzen?, erz?hlt Mynerva-Gründerin und CEO Greta Preatoni. Sie wirkt selbstbewusst und erfolgreich, in ihren Augen schimmert die kindliche Neugier, die sie bis heute antreibt. Um die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen, studierte Preatoni Psychologie und Neurowissenschaften. Nach dem Abschluss holte sie jedoch Orientierungslosigkeit ein: ?Ich wollte mein eigenes Unternehmen gründen, aber hatte kein Geld, kein Team und keine Idee?, berichtet sie. 

Vom Phantomschmerz zur Volkskrankheit

Doch Preatoni ist eine Macherin, die sich Gelegenheiten selbst erschafft. So besann sie sich auf ihr Interesse zurück und wurde an der ETH Zürich fündig. Ohne einen Hintergrund in Ingenieurswissenschaften erarbeitete sie sich eine Doktorandenstelle im Labor von Neuroingenieur Stanisa Raspopovic. Dort forschte sie an Beinprothesen, mit denen Amputierte den Boden spüren k?nnen und die zugleich Phantomschmerzen verringern. Das Potenzial dieser Neuroprothesen weckte Preatonis Gesch?ftssinn: Gemeinsam mit Postdoc und Mitgründer Giacomo Valle suchte sie nach einer breiteren Anwendungsm?glichkeit der Technologie. Dabei entdeckten sie, dass diabetische Neuropathie – Nervensch?digungen durch Diabetes – die gleichen Symptome von Gefühlsverlust und chronischen Schmerzen ausl?st.

Rund die H?lfte der 560 Millionen Diabeteskranken weltweit entwickelt im Laufe ihrer Erkrankung Neuropathie. Dabei sch?digt der erh?hte Blutzuckerspiegel die Nerven sowie die Blutgef?sse, welche die Nerven versorgen. Besonders h?ufig ist der Wadennerv betroffen, der die Empfindungen der Fusssohle an das Gehirn weiterleitet. Erkrankte haben Schwierigkeiten beim Gehen und dadurch ein erh?htes Sturzrisiko. Die Gefühlslosigkeit führt dazu, dass sie Druckstellen und daraus resultierende Fussgeschwüre und Wunden erst sp?t erkennen. Im schlimmsten Fall entstehen dadurch schwere Infektionen, die in einer Amputation enden. 

Alternative zu Schmerzmitteln

Das Spin-off Mynerva m?chte diese Abw?rtsspirale m?glichst früh durchbrechen. Seine intelligente Socke ?Leia? kann die Empfindungen an der Fusssohle künstlich wiederherstellen. Unsichtbare Drucksensoren an der Fussfl?che der Socke erstellen w?hrend dem Laufen ein Abbild der Druckverteilung. Ein kleiner Computer im Sockenschaft wandelt diese Informationen anschliessend in elektrische Signale um. Indem eingen?hte Elektroden die Signale direkt an gesunde Teile der Nerven übermitteln, werden die gesch?digten Nervenabschnitte wortw?rtlich übersprungen.

 

Eine Socke an der ein kleines Gerät ist. Eine Person bedient dieses Gerät.
Der kleine Computer im Sockenschaft wandelt die Informationen der Drucksensoren an der Fussfl?che in elektrische Signale um. Dadurch werden die gesch?digten Nervenabschnitte wortw?rtlich übersprungen. (Bild: Michel Büchel / ETH Zürich)

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz passt das System die Nervenstimulation auf das Individuum sowie auf ?ussere Bedingungen an. Dank dieser Feinabstimmung ist die Behandlung auf die spezifischen Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten personalisiert und lindert die mit der Neuropathie einhergehenden Schmerzen. Indem die Stimulation gezielt bestimmte Nervenstr?nge anregt, sorgt sie dafür, dass der K?rper chemische Botenstoffe aussendet, die die Schmerzübertragung hemmen. Die Socke hat das Potenzial, die bisher übliche Therapie mit starken Schmerzmitteln abzul?sen. ?Viele Betroffene wünschen sich eine Alternative, die keine Nebenwirkungen oder Abh?ngigkeiten ausl?st?, weiss Preatoni.

Geschichte in drei Plastikboxen

An dieser Alternative tüftelt die Italienerin und ihr Team nun seit fünf Jahren. Die Geschichte von Mynerva passt in drei Plastikboxen – unscheinbar im Büroregal stehend. Sie enthalten s?mtliche Prototypen vom vollst?ndig verkabelten, steifen ?berschuh über Versionen mit Klett-, Reissverschluss oder Schnürung bis hin zum aktuellen schlanken Design, das sich kaum von einer üblichen Socke unterscheidet. Das mittlerweile zehnk?pfige Team scheute keinen Aufwand, das System so simpel wie m?glich zu gestalten. Bedient wird die Socke bequem über ein App auf dem Smartphone.

Ganz unten in einer Kiste liegt auch Leia, die Namensgeberin der smarten Socke. Der frühe Prototyp erinnert mit seinen zwei eingen?hten Kissen an die Frisur der StarWars-Prinzessin. ?Ein Fun Fact, der unser Team zusammenh?lt?, erz?hlt Preatoni und lacht. Energiegeladen und ein bisschen verrückt gehe es bei ihnen zu und her, sagt die Unternehmerin. Sie liebt ihr Team und lebt für das Startup. Ihr Engagement zahlt sich aus: 2023 erhielt sie nicht nur die ETH-Medaille für ihre Doktorarbeit, sie schaffte es auch auf die Forbes-Liste der 30 herausragendsten Pers?nlichkeiten unter 30 Jahren im Bereich Science and Healthcare. 

Im Landeanflug

Seit 2023 ist Mynerva auch Teil von Wyss Zurich. Das F?rderprogramm von Philanthrop Hansj?rg Wyss unterstützt Start-ups beim Sprung von der wissenschaftlichen Entdeckung zur angewandten Therapie. Mynerva befindet sich bereits im Landeanflug: Im vergangenen Juni hat sich das Team den Grand Prize beim Venture Award geholt und konnte damit die Ausgaben für Patente und die Zulassung für die U.S. Food and Drug Admission (FDA) decken. L?uft alles rund, steht 2027 bereits der Soft Launch in den USA an. Danach m?chte das Team die M?rkte Schweiz, Grossbritannien und diejenigen des Mittleren Ostens erobern.

Sechs Personen stehen in einem Büro, die Frau in der Mitte hält einen Hund in die Kamera.
Spin-off-Gründerin Greta Preatoni (rechts) mit einem Teil ihres elfk?pfigen Teams (inklusive Teamhund Ari). (Bild: Michel Büchel / ETH Zürich)

Im Herbst startet das Team zudem die erste Langzeitstudie, um herauszufinden, ob die Socke Leia durch das verbesserte Gangmuster Folgeerkrankungen wie Fussgeschwüre verhindern kann. Die wissenschaftliche Literatur liefert sogar Hinweise darauf, dass kontinuierliche elektrische Stimulation die Versorgung der Nerven verbessern und ihre Funktion teilweise wiederherstellen kann. ?Es w?re ein Traum, wenn wir nachweisen k?nnten, dass Leia das leisten kann?, sagt Preatoni mit gl?nzenden Augen. 

ETH Spin-offs

Seit 1973 wurden an der ETH Zürich mehr als 615 Spin-offs lizensiert. Die Gruppe ETH Entrepreneurship unterstützt sie im Gründungsprozess und begleitet Start-ups auf ihrem Weg zum Erfolg.

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