Peter Chen wird emeritiert und h?lt seine Abschiedsvorlesung. Der Professor für Physikalisch-Organische Chemie ist ein Mann mit einer aussergew?hnlichen Geschichte, der die ETH Zürich über drei Jahrzehnte mitgepr?gt hat.
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Ideen fallen nicht vom Himmel. Wer wirklich innovativ sein will, muss die Geschichte hinter einer Idee verstehen, davon ist Peter Chen überzeugt. Der Chemie-Professor, der über 30 Jahre an der ETH Zürich wirkte, erz?hlt selbst gerne Geschichten.
Sein spannendstes Forschungsergebnis? Das war so: Chen und sein Team untersuchten einen neuen Ansatz, bei dem bestimmte Stickstoffverbindungen neuartige Reaktionen erm?glichen k?nnten. Doch dann stellten sie mit grosser Entt?uschung fest, dass dieser Forschungsansatz bereits 1960 vom sp?teren Chemie-Nobelpreistr?ger Georg Wittig publiziert worden war. Warum aber war diese Arbeit in Vergessenheit geraten?
Chen sprach mit ehemaligen Mitgliedern der Wittig-Gruppe. Aufgrund ihrer Aussagen kam ?berraschendes zutage: Wittig hatte sich ungerechtfertigt als Co-Autor aufs Paper eines anderen Forschers setzen lassen und – als ihm danach Zweifel kamen – eine Doktorandin aus seiner Gruppe beauftragt, das Resultat zu überprüfen. Diese kam zum Schluss, dass das Experiment nicht reproduzierbar sei, worauf Wittig die Schuld auf den ursprünglichen Erstautor schob und die Publikation 1964 selbst desavouierte.
Die Beteiligten aus den 1960er-Jahren erz?hlten Chen zudem, dass die Doktorandin als ?usserst sorgf?ltig bekannt war, was die Durchführung ihrer Experimente betraf. Das brachte Chen zu einer neuen Hypothese: K?nnte es sein, dass der ursprüngliche Erstautor im Gegensatz zu ihr eine Verunreinigung im Experiment gehabt hatte, die katalytisch wirkte? Basierend auf dieser Geschichte konnte Chens Team 2015 nachweisen, dass man Nickel – eine der m?glichen Verunreinigungen – als kostengünstiger und vielseitiger Katalysator einsetzen kann, um gezielt die Reaktion zu erm?glichen. ?Die Intuition im Umgang mit Menschen wiegt manchmal ebenso schwer wie das Verst?ndnis von Molekülen?, meint Chen.
Als ?Wunderkind? an die ETH
Peter Chen wurde 1960 in Salt Lake City geboren, studierte Chemie in Chicago, machte schnell Karriere unter anderem in Yale und in Harvard. Er galt als eine Art ?Wunderkind? in der Chemie. Als er an die ETH eingeladen wurde, sah er etwas, was ihn bis heute überzeugt: ?Im Gegensatz zu den USA, bekommt man in der Schweiz was ich als ‘akademisches Risikokapital’ bezeichne – in Form der Grundausstattung einer Professur. Das erlaubt es, eine gute Idee sofort zu testen und erst danach ein Gesuch einzureichen, wenn die Machbarkeit bereits überprüft ist. Dies beschleunigt die Innovation, was viel zum Erfolg der Schweiz beitr?gt.?
1994 folgte Chen dem Ruf an die ETH. Seine Frau war mit dem ersten Kind schwanger, alles war neu: Land, Sprache und die Hochschule. Um sich besser zurechtzufinden, greift er zu Erz?hlungen aus dem Schweizer Kulturraum. Er lernte so intensiv Deutsch, dass er bald Frisch und Dürrenmatt im Original lesen konnte. Nur vier Jahre sp?ter unterrichtete er auch auf Deutsch: ?Meine Studierenden verstehen ausgezeichnet Englisch. Aber wenn ich Deutsch spreche, mache ich kürzere und weniger komplexe S?tze – das finden sie natürlich angenehmer.?
Ausbilden für die Schweiz
Peter Chen kommt sehr gut an bei den Studierenden. Gleich zweimal wird der Professor mit der ?Goldenen Eule? für exzellenten Unterricht ausgezeichnet – ein Preis, der ihm besonders viel bedeutet. In seinen drei Jahrzehnten an der ETH Zürich bildete er zahlreiche Chemiker:innen aus. Viele davon haben heute Schlüsselrollen in der Schweizer Chemieindustrie inne. ?Wenn man bedenkt, dass die chemische Industrie rund 50?% der Schweizer Exportleistung ausmacht, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Peter Chen einen entscheidenden Beitrag zur Volkswirtschaft geleistet hat?, sagt Helma Wennemers, ebenfalls Chemie-Professorin und eine langj?hrige Kollegin von Peter Chen.
Was ist so faszinierend an der Chemie? Der Professor muss nicht lange nachdenken: ?Die Chemie hat eine ganz eigene innere Logik. Wir beweisen, dass wir etwas verstehen, indem wir es synthetisieren. Der Reiz der Chemie liegt darin, dass wir Theorien und Ideen, in etwas Stoffliches übersetzen.?
Engagement in der Schulleitung – Highlights…
Sein Anspruch theoretische ?berlegungen auch umzusetzen, führte dazu, dass Peter Chen 2007 Vizepr?sident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen wurde. Chen erkl?rt: ?Ich war so lange in verschiedenen ETH-Gremien, dass ich begann, Ideen zu entwickeln, wie man eine Hochschule führen k?nnte. Irgendwann musste ich wissen, ob meine Ans?tze richtig sind.?
Vieles gelingt: Er konnte die Forschungsf?rderung ausdehnen und die Forschungsinfrastruktur der ETH weiter ausbauen. Chen schloss unter anderem eine Partnerschaft mit IBM ab und unterstützte den Informatikprofessor Markus Gross bei der Gründung des Disney Research Lab sehr aktiv. Zudem brachte er die Verhandlung für den ETH Create 365体育官网_365体育备用【手机在线】 in Singapore erfolgreich durch.
Chen sollte auch ein altes Desiderat endlich umsetzen: ein ETH-Standort in Basel. Nur leider wollte kein Departement nach Basel umziehen. ?Da kam mir ein Gesuch aus meiner Zeit in der Forschungskommission in den Sinn. Vier Professoren aus vier verschiedenen 365体育官网_365体育备用【手机在线】n hatten ein gemeinsames übergreifendes Vorhaben vorgestellt. Synthetic Biology - eine echte Vision, aber damals hatten wir kein Geld dafür. In Basel aber boten sich nun neue M?glichkeiten?, erz?hlt der Professor. Schnell waren die vier Professoren überzeugt und das heutige D-BSSE geboren.
…und dunkle Stunden
2009 trat Peter Chen überraschend aus der Schulleitung zurück. Er hatte den Verdacht, dass bei einer Publikation von 2000 aus seiner Gruppe wissenschaftliche Daten manipuliert worden waren. Als Mitautor zog er die Publikation zurück und bat die Schulleitung, eine wissenschaftliche Untersuchungskommission einzusetzen.
Heute sagt er: ?Wenn man erst einmal glaubt, dass etwas faul ist, ist die Welt von diesem Moment an eine andere. Es geht um pers?nliche Integrit?t. Wer an seinem Amt klebt, verliert die Eigenschaften, die es braucht, um eine Hochschule zu führen. Deshalb habe ich das Bestm?gliche getan und bin zurückgetreten.?
Mittlerweile ist klar, dass Peter Chen bewusst get?uscht wurde. Er musste erkennen, dass man jedes System austricksen kann. ?Ein gerechtes und richtiges Ergebnis ist letztlich immer auch eine Frage des Charakters. Fachliche Kompetenz allein genügt nicht – wir müssen uns immer fragen, ob eine Person vertrauenswürdig ist und sie Versuchungen widerstehen kann?, sinniert Chen.
Unterstützt alle mit Rat und Tat
Mit seinem integren und konsequenten Handeln hat sich Peter Chen innerhalb der ETH und im eigenen Departement viel Anerkennung erworben. Bis zu seiner Emeritierung ist er als Integrity Adviser des Departments t?tig. ?Peter Chen ist nicht nur blitzgescheit, hat ein verblüffendes Ged?chtnis und einen beeindruckenden intellektuellen Horizont – er hat auch einen ausgepr?gten Gerechtigkeitssinn. Er steht allen stets mit Rat und Tat zur Seite und ist dabei immer ein h?flicher Mensch voller guter, oft ‘Out-of-the-box’-Ideen. Wir werden ihn am Departement sehr vermissen?, so Kollegin Wennemers. Peter Chen erz?hlt nicht nur gerne Geschichten – er hat auch ETH-Geschichte geschrieben.
Abschiedsvorlesung
Peter Chens Abschiedsvorlesung mit dem Titel ?Chemical Stories? findet am 22. Oktober 2025 von 17.15 – 18.30 Uhr im Auditorium Maximum (HG F30) statt.