Wieso uns tiefe Seufzer gut tun
Eine Flüssigkeit auf der Lungenoberfl?che h?lt das Organ beweglich. Die gr?sste Wirkung entfaltet diese Flüssigkeit, wenn man ab und zu tief einatmet, wie Forschende der ETH Zürich mit ausgeklügelten Messverfahren im Labor herausgefunden haben.?
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In Kürze
Die Lunge dehnt sich beim Einatmen aus, beim Ausatmen zieht sie sich zusammen. Bei dieser Bewegung leistet das Gewebe und seine Oberfl?che einen Widerstand.
Die Flüssigkeit auf der Lungenoberfl?che verringert diesen Widerstand – insbesondere nach tiefen Atemzügen.
Durch das ausgepr?gte Dehnen und Stauchen der Lungenflüssigkeit ordnen sich deren Komponenten in idealer Weise an: Unter einer steifen Grenzschicht liegen weichere Schichten, was einen leichter atmen l?sst.
Mehr als die H?lfte aller Frühchen, die vor der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, entwickeln kurz nach der Geburt ein Atemnotsyndrom. Ihre Lungen sind noch nicht ausgereift. Deshalb produzieren sie zu wenig von der magisch anmutenden Flüssigkeit, die die Oberfl?chenspannung in der Lunge reduziert. In der Folge fallen einige Lungenbl?schen in sich zusammen – und die Lunge bekommt nicht genug Sauerstoff.
Lunge wird verformbarer
Bis vor 40 Jahren bedeutete das meist den Tod. Doch dann entwickelten gegen Ende der 1980er-Jahre Kinder?rzte ein lebensrettendes Verfahren: Sie extrahierten die Flüssigkeit aus Tierlungen – und spritzten sie in die Lunge der Frühchen ein. ?Bei Neugeborenen funktioniert das sehr gut?, sagt Jan Vermant, Professor für weiche Materialien an der ETH Zürich. ?Die Flüssigkeit benetzt die ganze Oberfl?che, die Lunge wird dadurch verformbarer – oder um es mit einem technischen Ausdruck zu sagen – nachgiebiger.?
Doch auch bei Erwachsenen k?nnen die Lungen versagen. So entwickelten w?hrend der Corona-Pandemie rund 3000 Personen in der Schweiz ein akutes Atemnotsyndrom. Erwachsenen hilft es allerdings nicht, wenn man oberfl?chenaktive Flüssigkeit aus Tierlungen in ihre Lunge spritzt. ?Das zeigt, dass es nicht nur um eine Verringerung der Oberfl?chenspannung geht?, sagt Vermant. ?Wir denken, dass auch mechanische Spannungen in der Flüssigkeit eine wichtige Rolle spielen.?
Seine Forschungsgruppe hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen aus Spanien, Belgien und den USA mit ausgeklügelten Messverfahren untersucht, wie sich die Lungenflüssigkeit verh?lt, wenn sie im Labor aufgespannt und wieder verdichtet wird. Vergleichbaren Bewegungen ist die Flüssigkeit auch in unseren K?rpern unterworfen, wenn sich die Lunge beim Einatmen ausdehnt und beim Ausatmen wieder zusammenzieht. Die Forschenden haben ihre Ergebnisse soeben in der Fachzeitschrift Science Advances ver?ffentlicht.
Erkl?rung für das befreiende Gefühl in der Brust
In ihren Versuchen haben die Forschenden die Bewegungen von normalen und von besonders tiefen Atemzügen simuliert – und dabei jeweils die Oberfl?chenspannung der Flüssigkeit gemessen. ?Diese Spannung beeinflusst, wie nachgiebig die Lunge ist?, erkl?rt Vermant. Dabei gilt: Je nachgiebiger die Lunge, desto weniger Widerstand beim Ein- und Ausdehnen – und desto einfacher das Atmen.
Mit ihren Messger?ten stellten die Forschenden fest, dass die Oberfl?chenspannung nach tiefen Atemzügen deutlich abnimmt. Offenbar gibt es eine physikalische Erkl?rung für das befreiende Gefühl in der Brust, das sich nach einem tiefen Seufzer oft einstellt. Die Erkl?rung gründet auf der Tatsache, dass der dünne Film, den die Lungenflüssigkeit auf der Lungenoberfl?che bildet, aus mehreren Schichten besteht.
?Direkt an der Grenze zur Luft gibt es eine etwas steifere Oberfl?chenschicht, darunter liegen mehrere Schichten, die im Vergleich zur Schicht an der Oberfl?che weicher und zarter sein sollten?, sagt Maria Novaes-Silva, Doktorandin in Vermants Forschungsgruppe und Erstautorin der Studie. Wie sie experimentell nachgewiesen hat, kehrt diese Schichtung mit der Zeit in einen Gleichgewichtszustand zurück, wenn sich die Flüssigkeit gar nicht oder bei einer flachen Atmung nur wenig bewegt.
Mehrschichtige Strukturen rekonstruieren
Es braucht ab und zu einen tiefen Atemzug, um diese ideale Schichtung wiederherzustellen. Mit ihren Analysen haben die Forschenden aufgedeckt, dass das ausgepr?gte Strecken und Stauchen der Lungenflüssigkeit dazu führt, dass sich die Zusammensetzung der ?usseren Schicht ver?ndert. ?Es reichern sich ges?ttigte Lipide an, dadurch wird die Grenzfl?che dichter bepackt?, sagt Novaes-Silva. Und Vermant erg?nzt: ?Das ist ein Zustand ausserhalb des thermodynamischen Gleichgewichts, der nur mit mechanischer Arbeit aufrechterhalten werden kann.?
Auch aus der klinischen Praxis ist bekannt, dass sich der Lungenwiderstand mit der Zeit allm?hlich ver?ndert – und dass das Atmen bei konstant flacher Atmung immer schwerer f?llt. Die Messungen im Labor scheinen also Beobachtungen aus der Klinik zu wiederspiegeln. Daraus schliesst Novaes-Silva: ?Diese ?bereinstimmungen sind Hinweise, dass wir in unserem Versuchsaufbau reale Eigenschaften erfasst haben.?
Lassen sich aus den neu gewonnenen Einsichten der Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auch nutzbringende Lehren für das Lungenversagen bei Erwachsenen ziehen? ?Ein vielversprechender Ansatz liegt darin, Komponenten zu identifizieren, die mehrschichtige Strukturen künstlich rekonstruieren k?nnen?, halten die Forschenden in ihrem Fachbeitrag fest. Im Gespr?ch weist Vermant auf Schaumtherapien hin, die von anderen Forschungsgruppen aktuell entwickelt und intensiv untersucht werden.
Literaturhinweis
Novaes-Silva MC, Rodríguez-Hakim M, Thompson BR, Wagner NJ, Hermans E, Dupont LJ, Vermant J. How sighing regulates pulmonary surfactant structure and its role in breathing mechanics. Sci. Adv. (2025). DOI: externe Seite 10.1126/sciadv.adx6034