«Schützen wir unser Wissen, schützen wir die Forschungsfreiheit»

Krieg in Europa, die wachsende Rivalit?t zwischen den USA und China – die sich rasch wandelnde geopolitische Lage rückt die Frage, wie Schweizer Hochschulen ihr Wissen schützen k?nnen, st?rker denn je in den Fokus.?

Portrait von Günther Dissertori
ETH-Rektor Günther Dissertori leitete die Arbeitsgruppe von swissuniversities zur Wissenssicherheit an Schweizer Hochschulen. (Bild: Markus Bertschi / ETH Zürich)

Im Auftrag der Schweizerischen Hochschulkonferenz (SHK) hat swissuniversities, die Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen, eine Arbeitsgruppe (AG) eingesetzt, die sich mit der Frage der Wissenssicherheit an Hochschulen befasst. Günther Dissertori, Rektor der ETH Zürich und Leiter der AG, erl?utert die zentralen Erkenntnisse und Empfehlungen des nun ver?ffentlichten Berichts. 

?Die Hochschulen stehen vor einem schwierigen Balanceakt: Sie müssen sensibles Wissen schützen, ohne die Offenheit der Wissenschaft unn?tig einzuschr?nken.?
Günther Dissertori

Gab es einen spezifischen Ausl?ser für den Bericht? Haben Spionagef?lle an Schweizer Hochschulen zugenommen? 
Günther Dissertori: Nein, mir ist keine H?ufung von Spionagef?llen bekannt. Das Risiko staatlich gestützter Spionage oder wirtschaftlicher Ausforschung hat aber zugenommen – vor allem im Bereich sensibler Schlüsseltechnologien. Angesichts der angespannten geopolitischen Lage stehen die Hochschulen vor einem schwierigen Balanceakt: Sie müssen sensibles Wissen und kritische Technologien schützen, ohne die Offenheit der Wissenschaft unn?tig einzuschr?nken. 

Ein Widerspruch. 
Ich sehe es vielmehr so: Wir müssen einen guten Rahmen schaffen, der unsere Forschungsfreiheit sichert. Gelingt es uns, ein koh?rentes System mit wirksamen Schutzmassnahmen zu etablieren, k?nnen wir uns innerhalb dieses Rahmens weiterhin frei und offen austauschen. Damit schützen wir nicht nur unsere Forschung und unser Wissen, sondern eben auch die internationale Anschlussf?higkeit und Vertrauenswürdigkeit der Schweiz als Innovationsstandort. Umgekehrt riskieren wir, wenn nichts unternommen wird, früher oder sp?ter gravierende Vorf?lle, die dann tats?chlich eine starke Einschr?nkung unserer Freiheiten zur Folge h?tten.  

Wie sieht ein solches System aus? 
Das System, das wir in unserem Bericht vorschlagen, basiert auf drei zentralen Pfeilern: mehr Sicherheitsbewusstsein und -kompetenz in den Hochschulen selbst, ein klarerer gesetzlicher Rahmen sowie eine nationale Koordinationsstelle.  

Zur Person 

Günther Dissertori ist seit Februar 2022 Rektor der ETH Zürich und damit für die Lehre verantwortlich. Der Physiker wuchs in Südtirol auf und studierte an der Universit?t Innsbruck. Von dort zog es ihn bereits als Doktorand ans Cern in Genf, wo er seine Forscherkarriere startete. 2001 erhielt er eine Assistenzprofessur an der ETH Zürich, sechs Jahre sp?ter wurde er zum ordentlichen Professor ernannt.

Die ETH verfügt seit L?ngerem über eine spezialisierte Exportkontrollstelle und führt systematisch Sicherheitsprüfungen für Studierende und Mitarbeitende durch. Sollen andere Hochschulen diesem Beispiel folgen?
Die ETH Zürich hat als stark international vernetzte Hochschule, die in Schlüsseltechnologien forscht und lehrt, bereits 2017 eine spezialisierte Exportkontrollstelle geschaffen, klare Prozesse etabliert und ist damit den Vorgaben des SECO nachgekommen. Unsere Erfahrungen teilen wir gern, und in letzter Zeit gibt es mehr und mehr Schweizer Hochschulen, die in diese Richtung aktiv werden und auch von unserem Know-how profitieren. Wichtig ist aber, dass eine solche Fachstelle in einem vernünftigen Verh?ltnis zur Gr?sse und zum Risikoprofil einer Institution steht. Es ist gut denkbar, dass mehrere kleinere, weniger technisch ausgerichtete Universit?ten eine gemeinsame Stelle betreiben oder die notwendige Expertise extern beziehen.

Wo sehen Sie hinsichtlich der Gesetzesgrundlage Verbesserungsbedarf? 
Die rechtlichen Grundlagen für die Ablehnung von Bewerbenden aus Gründen der Wissenssicherheit – also zum Schutz von sensibler Information und Know-how – müssen auf nationaler Ebene verbessert werden. Zudem braucht es klare rechtliche Vorgaben für einen sicheren und datenschutzkonformen Informationsaustausch zwischen Hochschulen, Beh?rden und Sicherheitsdiensten, die festhalten, welche Daten in welchen Situationen geteilt werden dürfen.

Diese Daten sollen über eine nationale Koordinationsstelle geteilt werden? 
Wir schlagen eine nationale Anlaufstelle nach niederl?ndischem Vorbild vor: eine zentrale Stelle, die Hochschulen und relevante Beh?rden vernetzt, den sicheren Informationsaustausch koordiniert, strategische Lagebeurteilungen bündelt und Massnahmen auf ver?nderte Sicherheitslagen abstimmt. Eine enge internationale Zusammenarbeit mit ausgew?hlten L?ndern w?re zus?tzlich wünschenswert.

Wo soll diese Stelle konkret angesiedelt werden? 
Das ist noch offen. 

?Entscheidend wird sein, das Zusammenspiel der Akteure und die Massnahmen in diesem dynamischen Umfeld laufend zu überprüfen und weiterzuentwickeln.?
Günther Dissertori

Wie geht es nun weiter? 
Die Schweizerische Hochschulkonferenz hat den Bericht der AG zur Kenntnis genommen. Er wird das weitere Vorgehen festlegen. Idealerweise k?nnte ab 2026 eine Arbeitsgruppe beginnen, die vorgeschlagenen Strukturen aufzubauen, sodass wir ab 2028 im neuen System arbeiten k?nnen. Entscheidend wird jedoch auch sein, das Zusammenspiel der Akteure und die Massnahmen in diesem dynamischen Umfeld laufend zu überprüfen und weiterzuentwickeln. 

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