Warum manche Vulkane nicht explodieren
Ein internationales Forschungsteam mit ETH-Beteiligung zeigt, dass sich durch Reibung im Magma Blasen bilden, die beeinflussen, ob ein Vulkan explosiv ausbricht – oder ruhig ausfliesst.
In Kürze
Eine neue Studie zeigt, dass sich Gasblasen im aufsteigenden Magma nicht nur durch Druckabfall, sondern auch durch Scherkr?fte bilden k?nnen.
Wenn diese Gasblasen früh im Vulkanschlot wachsen und sich miteinander verbinden, k?nnen Entlüftungskan?le entstehen. Dies k?nnte erkl?ren, warum einige Vulkane manchmal nicht explodieren.
Mit ihrer Arbeit liefern die Forschenden einen neuen Schlüssel, um Prozesse im Inneren aktiver Vulkane besser zu verstehen und pr?ziser einsch?tzen zu k?nnen, wie Vulkane ausbrechen.
Wie explosiv ein Vulkan ausbricht, h?ngt davon ab, wie viele Gasblasen sich im Magma bilden – und wann. Bisher galt: Gasblasen entstehen vor allem dann, wenn beim Aufstieg des Magmas der Umgebungsdruck sinkt. Gase, die auf Grund des hohen Drucks in tieferen Erdschichten im Magma gel?st waren, entweichen bei geringerem Druck und bilden Blasen. Je mehr Gasblasen sich im Magma befinden, desto leichter wird es und desto schneller steigt es nach oben. Dadurch kann das Magma auseinandergerissen werden, was zu einem explosiven Ausbruch führen kann.
Dieser Vorgang l?sst sich mit einer Sektflasche vergleichen: Solange diese geschlossen und damit unter Druck ist, ist das Kohlendioxid gel?st. ?ffnet man nun den Korken der Flasche, sinkt der Druck und das Kohlendioxid bildet Blasen. Diese ziehen die Flüssigkeit nach oben und lassen sie explosiv aus der Flasche spritzen.
Doch diese Erkl?rung ist unvollst?ndig: Denn manche Vulkane wie der Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington oder der chilenische Vulkan Quizapu sind trotz hochexplosivem Magma mit hohem Gasanteil manchmal auch ruhig ausgeflossen. Für dieses R?tsel, das Vulkanolog:innen seit Langem besch?ftigt, liefert ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der ETH Zürich nun eine neue Erkl?rung.
Scherung als neuer Faktor
In einem kürzlich in der Fachzeitschrift externe Seite Science erschienenen Artikel zeigen die Forschenden, dass sich Gasblasen im aufsteigenden Magma nicht nur durch Druckabfall, sondern auch durch Scherkr?fte bilden k?nnen. Wenn diese Gasblasen tief im Vulkanschlot wachsen, k?nnen sie sich miteinander verbinden, wodurch Entlüftungskan?le entstehen. Gas kann dann schon frühzeitig entweichen, und das Magma fliesst beim Ausbruch ruhig aus.
Man kann sich die Scherkr?fte im Magma wie das Rühren in einem Glas Honig vorstellen: Der Honig bewegt sich dort schneller, wo man mit dem L?ffel rührt. Am Rand des Glases, wo die Reibung h?her ist, bewegt er sich langsamer. Im Vulkanschlot passiert etwas ?hnliches: Das Magma bewegt sich am Rande des Schlots, wo die Reibung am gr?ssten ist, langsamer als im Inneren. Dadurch wird die Gesteinsschmelze regelrecht geknetet, wodurch Glasblasen entstehen.
?Wir konnten experimentell nachweisen, dass die durch Scherkr?fte erzeugte Bewegung im Magma ausreicht, um Gasblasen zu bilden – selbst ohne Druckabfall?, erkl?rt Olivier Bachmann, ETH-Professor für Vulkanologie und magmatische Petrologie und einer der Autoren der Studie. Die Experimente der Forschenden zeigen, dass Blasen vor allem in der N?he der R?nder eines Vulkanschlots entstehen, wo die Scherkr?fte am st?rksten sind. Bereits vorhandene Blasen verst?rken diesen Effekt zus?tzlich. ?Je mehr Gas im Magma enthalten ist, desto weniger Scherkraft ist für die Blasenbildung und das Blasenwachstum erforderlich?, sagt Bachmann.
Warum explosive Vulkane doch nicht explodieren
Gem?ss den neuen Erkenntnissen k?nnte ein Magma mit geringem Gasgehalt, das scheinbar nicht explosiv ist, dennoch zu einer heftigen Eruption führen, wenn sich durch eine starke Scherung viele Blasen bilden und das Magma dadurch schnell nach oben schiesst.
Umgekehrt k?nnen Scherkr?fte aber auch dazu führen, dass sich Blasen in einem gasreichen und potenziell explosiven Magma frühzeitig bilden und miteinander verbinden. Dadurch entstehen im Magma Entlüftungskan?le, die den Gasdruck senken. ?Damit k?nnen wir erkl?ren, warum manche z?hflüssige Magmen trotz ihres hohen Gasgehalts ruhig ausfliessen, anstatt zu explodieren – ein R?tsel, das uns seit Langem besch?ftigt?, sagt ETH-Professor Bachmann.
Ein Beispiel dafür ist der Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980. Obwohl das Magma reich an Gas und damit potenziell explosiv war, begann dieser mit der Bildung eines sehr langsamen Lavastroms innerhalb des Vulkankegels. Die starken Scherkr?fte, die auf das Magma wirkten, erzeugten zus?tzliche Gasblasen, die anf?nglich eine Entlüftung erm?glichten. Erst als ein Erdrutsch den Vulkanschlot weiter ?ffnete und es zu einem rapiden Druckabfall kam, explodierte der Vulkan. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass viele Vulkane mit z?hflüssigen Magmen Gase effizienter entweichen lassen als bisher gedacht.
Spezielles Laborexperiment durchgeführt
Um die Prozesse im Inneren eines Vulkans sichtbar zu machen, entwickelten die Forschenden ein spezielles Experiment: Sie verwendeten eine z?he Flüssigkeit, die geschmolzenem Gestein gleicht, und s?ttigten sie mit dem Gas Kohlendioxid.
Anschliessend beobachteten sie, was passiert, wenn die lava?hnliche Flüssigkeit durch Scherung in Bewegung gesetzt wird. Sobald die Scherkr?fte einen bestimmten Schwellenwert überschritten, entstanden in der Flüssigkeit pl?tzlich Gasblasen. Je h?her die anf?ngliche Gasübers?ttigung, desto geringer war die ben?tigte Scherung, um weitere Gasblasen zu bilden. Die Forschenden stellten ausserdem fest, dass die Anwesenheit bereits vorhandener Blasen die Bildung weiterer Blasen in ihrer unmittelbaren Umgebung begünstigte.
Die Forschenden kombinierten diese Beobachtungen mit Computersimulationen von Vulkanausbrüchen. So konnten sie zeigen, dass dieser Effekt besonders in jenen Bereichen auftreten dürfte, in denen z?hflüssige Magma an den W?nden eines Vulkanschlots entlangfliesst und dabei stark geschert wird.
Mit ihrer Arbeit liefern die Forschenden einen neuen Schlüssel, um Prozesse im Inneren aktiver Vulkane besser zu verstehen und pr?ziser einsch?tzen zu k?nnen, wie Vulkane ausbrechen. ?Um zu besseren Vorhersagen über das Gefahrenpotenzial von Vulkanen zu gelangen, müssen wir unsere Vulkanmodelle aktualisieren und Scherkr?fte berücksichtigen?, sagt Olivier Bachmann, Professor für Vulkanologie an der ETH Zürich und Mitautor der Studie.
Literaturhinweis
Roche O, Andanson J, Dequidt A, Huber C, Bachmann O, Pinel D: Shear-induced bubble nucleation in magmas, Science, 6. November 2025, doi: externe Seite 10.1126/science.adw8543