Wer Unsicherheit positiv bewertet, wählt seltener Rechtspopulisten
Wie Menschen mit Unsicherheit umgehen, beeinflusst ihr politisches Verhalten – und damit die Stabilit?t der Demokratie. Eine neue Studie der ETH Zürich zeigt: Wird Unsicherheit als Chance bewertet, sinkt die Bereitschaft, rechtspopulistische Parteien wie die AfD zu w?hlen.?
In Kürze
Wie Menschen auf Unsicherheit reagieren, hat weitreichende gesellschaftspolitische Konsequenzen. Wird sie als Bedrohung wahrgenommen, neigen Menschen dazu, sich politischen Extremen zuzuwenden.
Psychologinnen der ETH Zürich haben nun untersucht, ob Unsicherheit auch als Chance wahrgenommen werden kann. Das Ergebnis: Personen, die dies tun, waren positiver gegenüber Diversit?t eingestellt, befürworteten gesellschaftlichen Wandel mehr und w?hlten seltener die rechtspopulistische Partei AfD.
Eine Ver?nderung der Art und Weise, wie Menschen Unsicherheit bewerten, kann demokratische Widerstandsf?higkeit st?rken.
Pandemie, Krieg, Energiekrise, Klimakatastrophe – unsere Gegenwart fühlt sich für viele Menschen an wie ein endloser Stresstest. Was gestern noch sicher schien, ist heute brüchig geworden: Arbeitspl?tze, Zukunftspl?ne, das Vertrauen in Politik und Medien. In dieser Atmosph?re w?chst das Bedürfnis nach Orientierung und nach einfachen Antworten. Rechtspopulistische Bewegungen haben daraus ein Erfolgsrezept gemacht und verwandeln Unsicherheit in Angst, Angst in Wut, und Wut schliesslich in Stimmen.
Unsicherheit als Chance betrachten
Ob Unsicherheit nicht auch ein Ausgangspunkt für positive Ver?nderungen sein kann, haben nun Forschende der ETH Zürich untersucht. In einer gerade erschienenen externe Seite Studie zeigen sie: Menschen, die Unsicherheit als Chance betrachten, sind gegenüber sozialer Vielfalt positiver eingestellt, unterstützen in st?rkerem Ausmass gesellschaftlichen Wandel und w?hlen mit geringerer Wahrscheinlichkeit rechtspopulistische Parteien. Die Bewertung von Unsicherheit l?sst sich also gezielt beeinflussen.
Um die entsprechenden Hypothesen zu überprüfen, führten die Forschenden ein Experiment mit einer Test- und einer Kontrollgruppe durch. Beide mussten dieselben Frageb?gen beantworten, jedoch bekam die Testgruppe zuvor eine Pr?sentation zu sehen: Auf elf Folien erhielten sie Texte, Grafiken und Fotos, die wissenschaftlich belegte Beispiele für positive Auswirkungen von Unsicherheit zeigten. Darunter waren auch Auszüge der Abschlussrede des Computerunternehmers Steve Jobs an der Stanford University, in der er erz?hlte, welche Bedeutung seine Entscheidung für einen unsicheren Lebensweg für ihn hatte. Die ?bung dauerte im Durchschnitt 7,5 Minuten und wurde nur einmal, zu Beginn des Experiments, durchgeführt
Ein Test in Zeiten grosser Unsicherheit
Die Untersuchung fand in Deutschland zwischen Dezember 2024 und M?rz 2025 statt. Als Testperiode haben sich die Forschenden bewusst für den Zeitraum der Bundestagswahlen entschieden, die im Februar 2025 durchgeführt wurden. Die Wahl war gepr?gt von Themen wie Einwanderung, Flüchtlingspolitik und der Integration von Minderheiten – ein Klima der politischen Unsicherheit, das dem Experiment einen realen Kontext bot. Insgesamt haben 391 Personen in der Versuchsgruppe und 354 in der Kontrollgruppe teilgenommen. Sie waren zwischen 18 und 80 Jahre alt und repr?sentierten in Bezug auf Bildung, Geschlecht, Einkommen und soziale sowie geografische Herkunft die gesamte Bundesrepublik Deutschland.
Die Verunsicherung ist gewichen
Die ausgefüllten Frageb?gen der Testgruppe unterscheiden sich signifikant von jenen der Kontrollgruppe. Alle aufgestellten Hypothesen konnten best?tigt werden: Die Versuchsgruppe hatte eine positivere Einstellung gegenüber Vielfalt, zeigte mehr Bereitschaft, gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen und besass eine geringere Wahrscheinlichkeit, AfD zu w?hlen.
Das ?berraschendste für Studienleiterin Ruri Takizawa war, dass diese Denkweise trotz der kurzen und einmaligen ?bung über einen Zeitraum von einem Monat stabil blieb. Takizawa ist Postdoc in der Gruppe von ETH-Professorin Gudela Grote und sagt: ?Die Studie k?nnte mit einem angepassten Design ebenso auf andere Bereiche angewendet werden. Man k?nnte genauso gut prüfen, ob sich Einstellungen gegenüber der Klimakrise oder neuen Technologien wie KI ?ndern würden?.
Die F?rderung einer Denkweise, die Unsicherheit als Chance betrachtet, sei für sie auf jeden Fall eine wichtige Ressource zur St?rkung der Demokratie. Die durchgeführte Studie legt dafür den Grundstein, indem sie aufzeigt, dass das Gefühl der Unsicherheit formbar ist und ebenso positiv ausgelegt werden kann. Mit diesem Konzept kann Verunsicherung in Zeiten der politischen und sozialen Instabilit?t den Zusammenhalt st?rken und die Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien wie der AfD schw?chen. Auch wenn die Mitautorin Grote als führende Forschende im Themenfeld Unsicherheit realistisch bleibt und sagt: ?Wir k?nnen die Welt nicht g?nzlich umkrempeln, aber wir haben es in der Hand, wie wir über sie denken und ihr begegnen.?
Literaturhinweis
Takizawa R, Marx-Fleck S, Gerlach A, Grote G: The Role of Uncertainty Mindsets in Shaping Diversity Attitudes and Their Downstream Effects on Commitment to Societal Change and Right-Wing Populist Voting. Personality and Social Psychology Bulletin, 11. November 2025, doi: externe Seite 10.1177/01461672251386487