«Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher»
Die Goldene Eule für besonders engagierte Lehrpersonen geht dieses Jahr an Johan Gaume, Professor für alpine Massenbewegungen an der ETH Zürich und am SLF Davos. In anschaulichen Experimenten, Herleitungen an der Tafel und Simulationen macht er die Physik granul?rer Materialien wie Sand oder Schnee erlebbar. Für ihn beruhen Lehre und Lernen auf Leidenschaft, Neugier und Spass.
Prof. Gaume, herzlichen Glückwunsch zur Goldenen Eule! Was macht für Sie gute Lehre aus?
Vielen Dank für die Glückwünsche. Der Preis ist eine grosse Ehre. Für mich beginnt gute Lehre mit Leidenschaft. Wenn ich mich für ein Thema begeistere, übertr?gt sich das hoffentlich auf die Studierenden – und das Lernen macht Spass. Ich lehre F?cher, die eng mit unserer Forschung verbunden sind. So kann ich durch einfache Experimente das überraschend komplexe Verhalten von Materialien wie Schnee oder Sand aufzeigen. Zu den erfüllendsten Momenten in meinem Job geh?rt, wenn pl?tzlich die Neugier im H?rsaal entflammt.
Gute Lehre bedeutet auch, Wissen ohne zu starke Vereinfachung zug?nglich zu machen. Ich erkl?re immer im Gesamtzusammenhang, nutze anschauliche Experimente und leite alles Schritt für Schritt an einem meiner Lieblingstools, der Tafel, her, damit Gleichungen nachvollziehbar werden. Die Studierenden arbeiten auch an numerischen Projekten, die Ereignisse in der echten Welt simulieren. Dabei sollen sie ein Bauchgefühl für diese mechanischen Vorg?nge entwickeln und begreifen, weshalb sie so entscheidend sind.
Zuh?ren ist auch wichtig. Unsere Kurse sind noch recht neu, weshalb wir sie nur mit dem Feedback der Studierenden verbessern k?nnen. Ich bin Wissenschaftler, kein P?dagoge. Daher bin ich für konstruktive Kritik immer offen. Dankbar bin ich auch unseren Lehrassistentinnen und -assistenten – und diese Auszeichnung gebührt auch ihnen. Wir haben die Kurse 2023 wirklich von Grund auf aufgebaut. Es gab keine ?bungen, keine Prüfungen, keine Pr?sentationen, keine Skripte. Die Lehrassistenten haben bei ihrer Ausarbeitung eine tragende Rolle gespielt.
Denken Sie, dass ein bestimmtes Experiment oder ein Moment im H?rsaal ausschlaggebend für Ihren Erfolg als Dozent war?
In der Lehrveranstaltung über granul?re Mechanik beispielsweise besch?ftigen wir uns mit Sand. Sand ist überall und die am zweith?ufigsten genutzte Ressource weltweit – und trotzdem wissen wir nicht alles darüber. Ist es ein Feststoff oder eine Flüssigkeit? Das wollen wir mit einfachen Experimenten herausfinden: Wir bauen Sandschl?sser, l?sen Sandlawinen auf Landschaften aus dem 3D-Drucker aus oder zaubern mit ?Sandmagie?. Wenn man beispielsweise einen Beh?lter mit einem dichten Sand-Wasser-Gemisch zusammendrückt, f?llt der Wasserpegel, statt zu steigen. In solchen Momenten wird komplexe Physik greifbar.
Was sollen Ihre Studierenden aus Ihrem Kurs mitnehmen – nicht nur rein wissenstechnisch, sondern was ihre Herangehensweise in Bezug auf Probleme angeht?
Sie sollen vor allem einen kritischen Blick bekommen: auf die echte Welt, die Modelle, mit denen wir sie beschreiben, und auch ihre Dozenten. Ich warne meine Studierenden, dass auch ich Fehler an die Tafel schreiben kann und dankbar bin, wenn sie jemand bemerkt.
Neben dem Verst?ndnis der grundlegenden Mechanik, mit der wir uns besch?ftigen, sollen sie auch lernen, wie man komplexe Aufgabenstellungen angeht: wie man solide Hypothesen aufstellt, physikalisch fundiert argumentiert und angemessen vereinfacht. Auf unserem Gebiet haben wir es mit hochkomplexen Naturvorg?ngen zu tun. Wer lebensnahe technische L?sungen dafür entwickeln will, muss das optimale Gleichgewicht zwischen Realit?t und Vereinfachung finden. In diesem Zusammenhang lasse ich mich oft von einem Zitat leiten, das Albert Einstein zugeschrieben wird: ?Man soll die Dinge so einfach wie m?glich machen, aber nicht einfacher.?