Wenn aus einer Vision Realität wird
Aldo Steinfeld, Pionier der synthetischen Treibstoffe, wird Ende Juli 2025 emeritiert. Ein Grund, den Ingenieur zu portr?tieren, um zu erfahren, wie man die Sonne in den Tank schütten kann.
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?Als wir vor 20 Jahren unsere erste Arbeit über die Abscheidung von CO? aus der Luft ver?ffentlicht haben, interessierte sich niemand dafür. Heute ist es ein Schwerpunkt an weltweit führenden Universit?ten. ?hnlich verh?lt es sich mit der Forschung zu solaren Treibstoffen?, sagt Aldo Steinfeld, der seit Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere an der Herstellung von Treibstoff und energieintensiver Materialien wie Metalle und Zement mittels konzentrierter Solarenergie geforscht hat. Bereits als junger Assistenzprofessor verfasste er Artikel zu diesen Themen und erkannte schon damals deren grosse Bedeutung und Zukunftspotenzial. ?Solche Forschungsprojekte waren ein grosses Wagnis, weil sie nicht dem Mainstream entsprachen. Jetzt bin ich froh, dass ich dieses Risiko eingegangen bin.?
Seine Ziele hat Steinfeld beharrlich verfolgt und sich auf das konzentriert, was wirkungsvoll und weitreichend war. Mit Climeworks und Synhelion sind zwei der zuletzt meistbeachteten ETH-Spin-offs aus seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeit hervorgegangen. Climeworks vermarktet die Technologie zur CO2-Abscheidung aus der Luft und Synhelion die Technologie zur Herstellung von Solartreibstoffen. Am meisten freut den leidenschaftlichen Motorradfahrer, dass er vor seiner Pensionierung noch die weltweite Jungfernfahrt mit Solarbenzin auf der eigenen Harley-Davidson erleben durfte. Und natürlich freut er sich riesig, dass seine Vision Wirklichkeit wird – dass alle Verkehrsmittel, vom Flugzeug über das Schiff bis zum LKW, mit CO2-neutralen Solartreibstoffen angetrieben werden k?nnen.
Treibstoffe aus Sonnenlicht und Luft
Begonnen hat für Steinfeld alles mit der Synthese von Wasserstoff. Wird er mithilfe von Sonnenenergie aus Wasser hergestellt, kann er als nachhaltiger Kraftstoff angesehen werden. Allerdings ist seine Speicherung aufw?ndig. Zudem fehlt eine massentaugliche Infrastruktur für den Einsatz von Wasserstoff im globalen Verkehrssektor. Für Steinfeld war klar, dass synthetische Flüssigtreibstoffe wie Kerosin, Diesel und Benzin – sogenannte Drop-in-Treibstoffe - ben?tigt werden. Sie sind vollst?ndig kompatibel mit der vorhandenen Infrastruktur zur Speicherung, Lieferung und dem Endverbrauch. Die grosse Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass diese synthetischen Treibstoffe CO2-neutral sind. ?Die Produktion von Drop-in-Treibstoffen mit Sonnenenergie war der wichtigste Teil meiner Forschung. Die Sonneneinstrahlung auf die Erde ist zwar unbegrenzt vorhanden und ihre Nutzung ?kologisch unbedenklich, aber sie tritt nur schwach, intermittierend und ungleich verteilt auf. Entscheidend war, herauszufinden, wie man sie am effektivsten speichert und nutzt. Die Vorstellung von Flugzeugen, die mit Solarkerosin fliegen, war meine gr?sste Motivation, um nach Verfahren zu suchen, Sonnenenergie in Drop-in-Treibstoffe umzuwandeln.?
Die Solar-Raffinerie besteht aus drei hintereinander geschalteten thermochemischen Umwandlungsprozessen. Im ersten Schritt, der in der Direct Air Capture Einheit (DAC) stattfindet, wird CO2 und H2O aus der Umgebungsluft entnommen. Im zweiten Schritt, der in der Solar-Redox Einheit (SR) stattfindet, wird mit konzentrierter Sonnenenergie das CO2 und H2O in ein Gemisch aus CO und H2 (Synthesegas) aufgespalten. Im dritten Schritt, der in der Gas-to-Liquid-Einheit (GTL) stattfindet, erfolgt die Umwandlung von Synthesegas in flüssige Kohlenwasserstoffprodukte wie Kerosin, Benzin, Diesel oder Methanol. Diese synthetischen Treibstoffe sind mit bestehenden Verbrennungsmotoren und Flugzeugtriebwerke kompatibel.
Dass nicht immer alles nach Plan l?uft, wenn man Pionierarbeit leistet, ist selbsterkl?rend. ?Die vielen Misserfolge, die wir auf diesem Weg erlebten, konnten wir durch gute Ingenieurarbeit und Ausdauer überwinden. Die Freude über den Erfolg war dann umso gr?sser, weil wir wussten, dass wir tats?chlich etwas bewirken k?nnen?, sagt Steinfeld, und erinnert sich an einen der glücklichsten Momente seiner Karriere, als er 2019 zusammen mit seinem Team die Inbetriebnahme der weltweit ersten Solar-Mini-Raffinerie auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums (ML-Geb?ude) miterlebte und die ersten Tropfen Methanol beobachtete, die ausschliesslich aus Sonnenlicht und Luft hergestellt wurden. ?Diese einzigartige Demonstrationsanlage war das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung in mehreren Grundlagenthemen. Zahlreiche Doktor- und Masterarbeiten wurden im Bereich der chemischen Ingenieurwissenschaften verfasst. Sie setzten sich unter anderem auseinander mit Thermodynamik und Kinetik, W?rmeübertragung und Stofftransport bei hohen Temperaturen, konzentrierter Strahlungsoptik sowie funktionalen Materialien und Keramikstrukturen. Die Grundlagenforschung erm?glichte uns die Entwicklung effizienter Solarreaktoren und der dazugeh?rigen Prozesstechnik?, sagt Steinfeld zufrieden mit all diesen Errungenschaften.
Der Weg zu einem Lebenswerk
Im Laufe der Jahre haben sich die Forschungsthemen von Steinfeld zu einigen der wichtigsten Herausforderungen im Bereich Energie und Umwelt gewandelt. Deswegen wurde er 2024 auch mit dem Lifetime Achievement Award der SolarPACES der Internationalen Energieagentur ausgezeichnet. ?Von solchen Auszeichnungen fühle ich mich natürlich sehr geehrt. Auch wenn mein Name auf diesen Auszeichnungen steht, gebührt der Verdienst allen Mitgliedern meiner Gruppe. Ich hatte das Privileg, mit einem unglaublichen Team von Doktoranden, Masterstudenten und Postdocs zusammenzuarbeiten. Sie alle waren ?usserst talentiert und fleissig und wollten zu einer Zukunft mit erneuerbaren Energien beitragen. Ich bin ihnen allen zutiefst dankbar.?
Geboren wurde Steinfeld 1960 in Montevideo, Uruguay. Den deutsch klingenden Namen hat er von seinen osteurop?ischen Vorfahren, die als Juden vor dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika geflohen sind. Er erhielt seinen BSc in Luft- und Raumfahrttechnik vom Technion, seinen MSc von der Tel Aviv University und seinen PhD von der University of Minnesota. 1991 kam er ans Paul-Scherrer-Institut in die Schweiz. Für ihn war das eine ?einzigartige Gelegenheit, beim Aufbau einer Forschungsgruppe im damals aufstrebenden Gebiet der Solarchemie mitzuwirken.? 1999 wurde Steinfeld zum Professor an der ETH Zürich ernannt. In den letzten 25 Jahren hat er 60 Doktorarbeiten betreut, über 360 wissenschaftliche Artikel ver?ffentlicht, und 27 Patente angemeldet. Besonderen Wert legte er auf die Ausbildung zukünftiger Ingenieure im Bereich der Energieumwandlung. So unterrichtete er im Laufe seiner Lehrt?tigkeit über 6000 Bachelor-Studenten im Fach Thermodynamik. Auf die Frage, warum es keine Option war, in die Industrie zu gehen, sagt er: ?Zum einen macht mir das Unterrichten grossen Spass. Zum anderen aber wegen der Freiheit zu forschen und unbekanntes Terrain zu betreten?. W?hrend sich die Industrie auf die Entwicklung und Vermarktung von Produkten konzentriere, k?nne man in der Wissenschaft neuartige Verfahren von Grund auf erforschen. ?Es erfordert Innovation, revolution?res Gedankengut und Mut. Die ETH ist der Ort, wo ein Professor Vision?r sein muss.?
Die Realit?t im Auge behalten
Bei allen vision?ren Gedanken ist Steinfeld aber immer auf dem Boden der Tatsachsen geblieben und nichts liegt im ferner als utopische Vorstellungen. ?Unsere Technologien tragen zwar zu einer nachhaltigen Zukunft bei. Aber den Begriff Nachhaltigkeit halte ich für ein missbrauchtes und oft missverstandenes Buzzword. Für Ingenieure ist Nachhaltigkeit ganz einfach: Man muss dafür sorgen, dass der Materialkreislauf geschlossen ist.? Genau das erfüllen die von ihm entwickelten solaren Drop-in-Treibstoffe. Bei ihrer Verbrennung wird genauso viel CO2 freigesetzt, wie bei ihrer Herstellung aus der Luft entfernt wurde. Der Kohlenstoffkreislauf ist geschlossen.
Wer sich von seinen bahnbrechenden Entwicklungen überzeugen und den begeisterten Redner erleben will, kann das bei seiner Abschiedsvorlesung tun. Der Titel lautet ?Fuels from Sunlight and Air?. Dort wird er zeigen, dass Solartreibstoffe bereits Realit?t sind, und neben den Durchbrüchen auch über Misserfolge als wesentlichen Bestandteil der Forschung reden. Danach geht es für Steinfeld mit seiner Frau auf eine ausgedehnte Europareise mit ihren Harleys. Ganz m?chte er sich allerdings noch nicht zurückziehen. Neben Lehrauftr?gen ist es sein Wunsch, aktiver an den Projekten von Synhelion und Climeworks mitzuarbeiten. Denn seine Leidenschaft für Wissenschaft und Technologie treibt ihn weiterhin an.