Woher der Strom im Jahr 2050 kommt

Die Energieversorgung der Schweiz soll bis 2050 CO₂-neutral sein. Daf¨¹r m¨¹ssen der Verkehr, die W?rmeversorgung und die Industrie elektrifiziert werden. Dadurch steigt der heutige Strombedarf von 56 Terawattstunden (TWh) pro Jahr bis 2050 auf rund 75 TWh. Gleichzeitig m¨¹ssen 23 TWh Strom aus den Schweizer Kernkraftwerken ersetzt werden.

Ein neuer Bericht des Sweet-Konsortiums externe Seite Edge untersucht nun erstmals umfassend, wie die Energiewende bis 2050 gelingen kann. Der Bericht umfasst mehrere Studien, an denen Forschende der ETH Z¨¹rich, der Universit?ten Genf und Bern, der EPFL, der WSL und der ZHAW beteiligt waren.

Deutlich mehr Strom aus Wind und Sonne

Am 9. Juni 2024 stimmten 69 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten dem Stromgesetz zu. Demnach soll die Schweiz bis 2050 rund 60 Prozent ihres Strombedarfs (45 TWh pro Jahr) mit neuen erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik, Windenergie oder Biomasse decken.

In der ersten Studie des Berichtes haben die Forschenden nachgewiesen, dass die Schweiz das 45-TWh-Ziel ¨¹ber verschiedene Wege erreichen kann. Dazu muss sie jedoch die Photovoltaik und die Windenergie massiv ausbauen. Von den 45 TWh k?men im Schnitt rund 28 TWh Strom von Photovoltaikanlagen, 13 TWh von Windanlagen und der Rest aus Biomasse.

Im Durchschnitt m¨¹sste die Kapazit?t der in der Schweiz installierten Photovoltaikanlagen von heute 6,4 Gigawatt (GW) auf rund 26,8 GW im Jahr 2050 ansteigen ¨C was einer Vervierfachung entspricht. Bei der Windenergie, die f¨¹r die Stromproduktion im Winter entscheidend ist, w?re der n?tige Ausbau deutlich gr?sser: Die Kapazit?t m¨¹sste von heute durchschnittlich 0,1 GW auf rund 8,4 GW im Jahr 2050 steigen ¨C das ist ¨¹ber 80-mal mehr als heute.

?Dieser starke Zubau an Photovoltaik und Windenergie bis 2050 ist ohne griffige Subventionen kaum vorstellbar?, sagt Giovanni Sansavini, Professor f¨¹r Reliability and Risk Engineering an der ETH Z¨¹rich und einer der Mitautoren der Studie.

Eine Beschr?nkung der Nettoimporte w?re teuer

Das Stromgesetz schreibt zudem vor, dass die Nettostromimporte im Winter f¨¹nf TWh nicht ¨¹berschreiten d¨¹rfen. Um diese Richtlinie zu erf¨¹llen, braucht es bei einer strikten Umsetzung deutlich mehr eigenen Strom.

Die Modellrechnungen der Forschenden zeigen, dass daf¨¹r 80 Prozent mehr Kapazit?t aus Windkraftanlagen, 11 Prozent mehr aus Gaskraftwerken und 10 Prozent mehr aus Solaranlagen erforderlich sind. Zudem k?nnten die Kosten der Stromversorgung, die sich vor allem aus den Investitions- und Betriebskosten zusammensetzen, um ein F¨¹nftel steigen. Der Strompreis k?nnte sich mehr als verdoppeln.

Auf den europ?ischen Strommarkt angewiesen

Die EU k?nnte in Zukunft 70 Prozent ihrer Netzkapazit?t f¨¹r den Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten reservieren. Die Forschenden modellierten deshalb auch, wie sich eine Einschr?nkung des grenz¨¹berschreitenden Stromhandelsvolumens um 70 Prozent auf den Strommix und die Kosten der Stromversorgung in der Schweiz auswirken w¨¹rde.

Sie kommen zum Schluss, dass die Kapazit?t der in der Schweiz installierten Windanlagen um weitere 20 Prozent steigen m¨¹sste, um eine Reduktion des Stromhandelsvolumens um 70 Prozent zu verkraften. Ausserdem w¨¹rden die Kosten der Stromversorgung in so einem Szenario um acht Prozent steigen.

?Unsere Ergebnisse belegen eindr¨¹cklich, wie wichtig es ist, dass die Schweiz einen reibungslosen Zugang zum europ?ischen Strommarkt hat. Ohne Integration wird sowohl die Stromversorgung insgesamt als auch der Strom selbst teurer. Zudem brauchen wir auch mehr Windkraftanlagen?, erkl?rt Ambra Van Liedekerke, Doktorandin in Sansavinis Gruppe und eine der Mitautorinnen.

Gem?ss einer repr?sentativen Umfrage des Forschungskonsortiums Edge bef¨¹rworten rund 60 Prozent der Schweizer Bev?lkerung eine engere Zusammenarbeit mit der EU, um die Energieversorgung sicherzustellen. Gleichzeitig geben aber rund 70 Prozent der rund 2000 Befragten an, die Schweiz solle in Energiefragen unabh?ngig sein, und Stromimporte sind im Vergleich zu einheimischen Energiequellen unbeliebt.

Schweizer Investitionen fliessen ins Ausland

Wie eng das Schweizer Energiesystem finanziell mit Europa vernetzt ist, machen die Ergebnisse einer weiteren Studie im Bericht deutlich: Mehr als die H?lfte aller j?hrlichen Investitionen von Schweizer Stromversorgern und Finanzinvestoren in erneuerbare Energie-Grossprojekte fliessen heute nach Europa. Es handelt sich dabei um Anlagen von ¨¹ber einem Megawatt. Nur ein Prozent dieser Investitionen bleiben in der Schweiz.

Das meiste Geld fliesst nach Deutschland (im Schnitt 177 Mio. US-Dollar j?hrlich), Frankreich (im Schnitt 112 Mio. US-Dollar j?hrlich) und Italien (im Schnitt 43 Mio. US-Dollar j?hrlich). Schweizer Geldgeber investieren zus?tzlich 644 Mio. US-Dollar ausserhalb Europas. Auffallend ist, dass fast 60 Prozent dieser Schweizer Gelder in Windenergieprojekte fliessen. ?Investor:innen scheinen vor allem erneuerbare Energieprojekte im Ausland zu finanzieren, die sie in der Schweiz in diesem Umfang nicht realisieren k?nnen. Damit tr?gt die Schweiz zur Energiewende im Ausland bei?, erkl?rt Bjarne Steffen, Leiter der Gruppe f¨¹r Klimafinanzierung an der ETH Z¨¹rich und einer der Mitautoren des Berichts.

Was Netto-Null die Schweiz kostet

Eine dritte Studie des EDGE-Berichts modelliert, wie teuer es f¨¹r die Schweiz Bev?lkerung werden k?nnte, das Netto-Null-Ziel im Pariser Klimaabkommen zu erreichen. Die Forschenden gehen davon aus, dass bis 2050 durch CO₂-Steuern und den Emissionshandel die Preise f¨¹r fossile Energietr?ger und die Produktionskosten vieler G¨¹ter steigen w¨¹rden. Dies w¨¹rde viele Produkte und Dienstleistungen des t?glichen Lebens wie etwa Wohnen, Energie, aber auch Nahrungsmittel und Mobilit?t verteuern.

Schweizer Haushalte w?ren zwischen 2020 und 2050 von einem geringeren Einkommen und h?heren Preisen betroffen und k?nnten dadurch weniger konsumieren. Wie stark dieser Verlust ausf?llt, h?ngt von den Klimaschutzbem¨¹hungen im Ausland ab. Wenn nur Europa bis 2050 klimaneutral wird, k?nnte die Umstellung einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt j?hrlich 0,63?Prozent seines Konsums kosten. Erreichen hingegen alle OECD-L?nder Netto-Null bis 2050, China bis 2060 und der Rest der Welt bis 2070, k?nnten die Kosten auf Grund eines schw?cheren Wirtschaftswachstums jedes Jahr auf 0,75 Prozent des j?hrlichen Konsums eines Schweizer Haushalts steigen.

Ob diese Kosten h?her ausfallen, h?ngt davon ab, ob die Schweiz ihre Emissionen im Ausland kompensieren kann. Ist dies nicht m?glich, steigen die Kosten pro Jahr und Haushalt um rund 1 Prozent. ?Bei der Interpretation dieser Kosten muss immer auch ber¨¹cksichtigt werden, dass die Kosten eines ungebremsten CO₂-Ausstosses wohl deutlich h?her w?ren?, sagt Philippe Thalmann, Professor f¨¹r ?konomie an der EPFL und einer der Mitautoren des Berichts.