Was ETH-Studierende so begehrt macht

ETH-Absolvent:innen sind bereit, etwas zu leisten, und sie bringen weit mehr als nur fundiertes Fachwissen mit. Das macht sie beliebt. Aber taugt das Erfolgsrezept der ETH-Lehre auch für die Zukunft?

Portrait von Günther Dissertori. Er stützt sich stehend mit einem Ellbogen auf einem Schreibtisch ab und blickt leicht lächelnd in die Kamera.
Als Rektor ist Günther Dissertori verantwortlich für die Lehre an der ETH Zürich.  (Markus Bertschi / ETH Zürich)

Was haben GetYourGuide-CEO Johannes Reck, Sulzer-CEO und Verwaltungsratspr?sidentin Suzanne Thoma, der Erfinder der Handykamera Philippe Kahn und Albert Einstein gemeinsam? Richtig. Sie alle haben ihr Studium an der ETH Zürich abgeschlossen.

J?hrlich starten rund 3000 Absolventinnen und Absolventen des Masterstudiums und rund 1000 Promovierte ihre berufliche Karriere. Manche der Promovierten verfolgen eine akademische Karriere, sei es an der ETH oder an einer anderen Universit?t. Ein paar Dutzend der Abg?ngerinnen und Abg?nger gründen ein eigenes Unternehmen, wie Johannes Reck, der mit GetYourGuide, der Buchungsplattform für Touren und Freizeitaktivit?ten, das erste Unicorn der ETH mit einer Bewertung von über 1 Milliarde Franken geschaffen hat.

?Globe? Erfolgreich in die Zukunft

Globe 25/02 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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Doch die überwiegende Mehrheit der hochqualifizierten Abg?nger:innen bringt ihre Kenntnisse und F?higkeiten als Angestellte in ein Unternehmen ein, wobei 86 Prozent von ihnen nach dem Masterstudium eine Stelle in der Schweiz annehmen. Der Schweizer Arbeitsmarkt gewinnt so zusammen mit den Promovierten j?hrlich mehr als 3000 neue Fachkr?fte.

Buhlen um Studierende

Ein Hinweis darauf, wie begehrt ETH-Studierende auf dem Arbeitsmarkt sind, gibt die Befragung des Bundes zur Besch?ftigungs- und Ausbildungssituation von Hochschulabsolventinnen und -absolventen ein Jahr nach Studienabschluss. Sie zeigt, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen bereits kurz nach dem Abschluss eine qualifizierte Stelle gefunden hat.

Ein weiteres Anzeichen ist die Polymesse des Studierendenverbands VSETH. An dieser Jobmesse pr?sentieren sich jedes Jahr über 140 nationale und internationale Firmen sowie Institutionen w?hrend dreier Tage im ETH-Hauptgeb?ude sowie in einem grossen Zelt auf der Polyterrasse. Im Vordergrund steht der pers?nliche und direkte Austausch mit den Studierenden.

?Diese Veranstaltung ist eine sehr gute M?glichkeit für einen ersten Kontakt. Daraus ergeben sich h?ufig weitere Schritte wie Praktika, Bachelor- oder Masterarbeiten?, sagt Stefan Preier, Personalleiter bei maxon, dem weltweit führenden Unternehmen in der Antriebstechnik. J?hrlich nehmen zwanzig bis dreissig Studierende dieses Angebot wahr, das ein erstes gegenseitiges Beschnuppern erm?glicht. Was macht ETH-Studierende für Arbeitgeber interessant? ?Sie bringen eine exzellente theoretische und mathematische Ausbildung mit – erg?nzt durch eine hohe Leistungsbereitschaft und starke Probleml?sungskompetenz?, schw?rmt Preier.

Vergr?sserte Ansicht: Ein Gruppenfoto, gemacht vor dem Zelt der ETH Polymesse
ETH-Rektor Günther Dissertori (m.) mit dem Organisationskomitee der Polymesse. (Bild: Emir Isman / VSETH)

Auch in der akademischen Welt geniessen ETH-Studierende einen hervorragenden Ruf, wie ETH-Pr?sident Jo?l Mesot weiss: ?Bei der Besetzung von Professuren konnten wir dank unserer Studierenden schon manche internationale Koryph?e für unsere Hochschule gewinnen?. So gelingt es der ETH, die weltweit führenden K?pfe nach Zürich zu holen.

Direkt von den weltweit Besten ihres Fachs zu lernen: Das wiederum motiviert die Studierenden zu ausserordentlichen Leistungen. Die jungen Talente und die herausragenden Forschenden ziehen sich gegenseitig an. Studierende lernen sehr nahe an der Forschungsfront und leisten oft bereits in Semester- oder Bachelorarbeiten, sp?testens aber in der Masterarbeit erste Beitr?ge zur Forschung.

Mehr Kompetenzen

Grosses Gewicht legt die ETH seit einigen Jahren auf die überfachlichen Kompetenzen. Die projektbasierte Arbeit im Team, sei es im Labor oder an Prototypen, ist mittlerweile Teil von fast allen Studieng?ngen. Studierende werden aber auch ermutigt, eigene Ideen umzusetzen, beispielsweise im Student Project House. Dort finden sie nicht nur Infrastruktur wie Makerspaces, sondern auch Unterstützung durch erfahrene Coaches.

Manche Studierende eignen sich zudem als Hilfsassistierende Kompetenzen an, indem sie Dozierende bei der Vorbereitung und Durchführung von Lehrveranstaltungen unterstützen sowie ?bungen und Praktika betreuen. ?Ein ETH-Studium vermittelt neben dem Fachwissen auch Kompetenzen wie Kreativit?t bei der Probleml?sung, schnelle Verarbeitung von umfangreichen Informationen sowie das pr?zise Arbeiten und stringente Argumentieren?, sagt Nic Cantieni, Pr?sident des Studierendenverbands VSETH. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass mit der immer umfassenderen Ausbildung auch der Druck steigt, der für manche Studierenden zu einer Belastung werden kann.

Besser verstehen

Rektor Günther Dissertori ist sich dessen bewusst. ?Die Welt beschleunigt sich, neues Fachwissen entsteht und veraltet in immer kürzeren Abst?nden. Gleichzeitig erwarten die Arbeitgeber, dass die Absolventinnen und Absolventen neue Technologien nicht nur kennen, sondern auch gleich in der Praxis anwenden k?nnen?, schildert er die Situation. Zudem k?nne die forschungsnahe Lehre dazu führen, dass Dozierende zu viel Stoff vermitteln wollten. ?Wenn wir nicht aufpassen, laufen wir Gefahr, unsere Studierenden zu überlasten?, sagt er. Viele ETH-Studierende h?tten gerade mal zwei Wochen Ferien im Jahr, weil sie für Lehrveranstaltungen, Prüfungsvorbereitung und Prüfungen 50 von 52 Wochen aufwendeten. Es brauche ein Umdenken.

Statt immer mehr Wissen anzuh?ufen, müssten Studierende vermehrt die Prinzipien ihres Fachs verstehen und die Werkzeuge anwenden k?nnen. ?Gleichzeitig müssen wir sie dazu bef?higen, sich im Laufe ihrer Karriere immer wieder selbst neues Wissen anzueignen?, sagt Dissertori. Sie müssten beurteilen k?nnen, wozu ihr Fachwissen diene und wo sie eventuell zus?tzliches erwerben müssten.

Diese Herausforderungen sind fundamentaler Art und betreffen alle Studieng?nge. Dissertori hat deshalb unter dem Namen PAKETH (Prüfungen und Akademischer Kalender an der ETH) eine grosse Lehrreform angestossen, die im Herbstsemester 2027 in Kraft treten soll. Sie schafft Entwicklungsraum, indem sie Ballast abwirft und das komplexe Prüfungssystem vereinfacht. Die Prüfungen im Sommer werden künftig früher stattfinden. So erhalten die Studierenden acht Wochen Zeit für Praktika oder andere T?tigkeiten in der Industrie – und für die Regeneration. Dazu tr?gt auch die vorlesungsfreie Woche im Herbst bei, die neu eingeführt wird.

KI in der Lehre

Ob mit oder ohne Reform: Das Lehren und Lernen werde sich bald stark ver?ndern, ist Dissertori überzeugt. Der reine Wissenstransfer werde individueller und digitaler. KI-Chatbots verst?rkten dies, weil sie Studierende erstmals vollautomatisch individuell beim Lernen unterstützen. Die ETH sei mit KI in der Lehre noch am Experimentieren, habe aber eine positive Haltung und wenig Berührungs?ngste, sagt Dissertori.

Viele Dozierende h?tten selbst die Initiative ergriffen und massgeschneiderte Bots für ihre Kurse entwickelt. Diese helfen zum Beispiel, Programmcodes besser zu verstehen oder zu korrigieren. Andere Bots dienen als Tutor zum Repetieren. Die KI-Tutoren nutzen als Basis oft ein grosses, bestehendes Sprachmodell, greifen für ihre Antworten aber auf spezifisches Kursmaterial wie Skripte, Folien, Mitschnitte von Wandtafeln und ?bungsbl?tter zu. Ein von der ETH entwickelter Bot ist sogar in der Lage, Feedback auf handgeschriebene ?bungsl?sungen zu geben.

Schliesslich ist maschinelles Lernen in der Wissenschaft kein neues Thema, und die Expertise dazu ist im Haus. ?Wir wollen, dass die Studierenden auch bei diesem Thema von der Forschung profitieren?, sagt Dissertori. In ihren Richtlinien zu KI ermutigt die Hochschule Studierende und Dozierende denn auch explizit dazu, sich mit KI auseinanderzusetzen und sie zu nutzen, solange sie Verantwortung für generierte Inhalte übernehmen und ihren Einsatz deklarieren. Bew?hren sich die KI-Tutoren, profitieren die Studierenden dadurch gleich doppelt: Sie festigen ihr Wissen, schliessen Lücken und kommen besser vorbereitet in die Lehrveranstaltung. Dort k?nnen Dozierende die Zeit nutzen, um Konzepte zu erl?utern, Wissen zu vertiefen und zu kontextualisieren.

Das pers?nliche Gespr?ch ersetzten KI-Tutoren aber nicht, sagt Dissertori. Es werde sogar noch wichtiger: ?Um zu lernen, müssen Menschen zusammenkommen und sich auch mal kritisch begegnen.? Das beherzigt Dissertori auch beim Kontakt mit den Studierenden. Ihre Stimme ist an der ETH traditionsgem?ss besonders wichtig, wenn es um die Weiterentwicklung der Lehre geht.

Der Austausch zwischen dem Studierendenverband und dem Rektorat sei sehr eng und von gegenseitigem Vertrauen und Wohlwollen gepr?gt, sagt VSETH-Pr?sident Cantieni. ?Dies erlaubt uns, schon frühzeitig auf Projekte Einfluss zu nehmen und Verbesserungen für die Studierenden zu erreichen, sei es beim Einsatz von KI in der Lehre oder bei grossen Reformvorhaben wie PAKETH.? Auf diese Weise tragen die Studierenden auch selbst dazu bei, dass die Lehre sich entwickelt und ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger auf dem Arbeitsmarkt künftig so beliebt sind wie sie heute.

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