Das neue Weltraumzeitalter könnte die Ozonschicht ausdünnen

Der rasante Anstieg der weltweiten Raketenstarts k?nnte die Erholung der lebenswichtigen Ozonschicht verlangsamen, sagt Sandro Vattioni. Das Problem werde untersch?tzt – dabei liesse es sich durch vorausschauendes, koordiniertes Handeln abmildern.
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In den letzten Jahren hat sich der Himmel mit immer mehr Satelliten in niedriger Erdumlaufbahn gefüllt. Dahinter steht eine boomende Raumfahrtindustrie, die spannende M?glichkeiten er?ffnet, aber auch neue Umweltprobleme mit sich bringt. Startende Raketen und verglühender Weltraumschrott setzen Schadstoffe direkt in die mittlere Atmosph?re frei – genau dort, wo sich die Ozonschicht befindet, die das Leben auf der Erde vor gef?hrlicher UV-Strahlung schützt. Welche Auswirkungen diese Emissionen auf die Ozonschicht haben, beginnt die Wissenschaft jedoch erst allm?hlich zu verstehen.
Ein lang untersch?tztes Problem
Die Forschung zu Raketenemissionen begann bereits vor über 30 Jahren. Jedoch wurden die Auswirkungen auf die Ozonschicht lange als gering eingesch?tzt.1 Mit der steigenden Anzahl an Raketenstarts ?ndert sich dieses Bild. 2019 gab es weltweit lediglich 97 Starts – 2024 waren es bereits 258. Und ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht.2
Zum Autor
Sandro Vattioni ist Postdoc in der Gruppe für Atmosph?renphysik und erforscht die mikrophysikalischen Wechselwirkungen von Feststoffpartikeln in der Stratosph?re und deren Effekt auf die Ozonschicht und das Klima.
Das Besorgniserregende: Schadstoffe aus Raketen und wiedereintretendem Weltraummüll gelangen direkt in die mittlere und obere Atmosph?re – in H?hen, in denen sie bis zu 100-mal l?nger verweilen als bodennahe Emissionen, da es dort keinen Niederschlag gibt, der sie auswaschen k?nnte. Die meisten Starts finden auf der Nordhalbkugel statt, doch die atmosph?rische Zirkulation verteilt die Schadstoffe weltweit.

Um die langfristigen Effekte der Raketenemissionen besser zu verstehen, arbeiteten wir mit einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Laura Revell von der University of Canterbury zusammen. Mithilfe eines Chemie-Klimamodells, das an der ETH Zürich und am Physikalischen Meteorologischen Observatorium Davos (PMOD/WRC) entwickelt wurde, simulierten wir, wie sich die prognostizierten Raketenemissionen bis ins Jahr 2030 auf die Ozonschicht auswirken würden.3
Geht man von einem Szenario mit 2040 j?hrlichen Raketenstarts im Jahr 2030 aus – das entspricht etwa dem Achtfachen der Starts von 2024 –, würde die globale durchschnittliche Ozonschicht um etwa 0,3 Prozent abnehmen. ?ber der Antarktis, wo sich jedes Frühjahr noch immer ein Ozonloch bildet, k?nnte es saisonal zu Reduktionen von bis zu vier Prozent kommen.
Diese Zahlen m?gen auf den ersten Blick gering erscheinen. Doch sollte man nicht vergessen, dass sich die Ozonschicht nach wie vor von den schweren Sch?den erholt, welche durch langlebige Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verursacht wurden. Diese Stoffe wurden 1989 mit dem Inkrafttreten des Montrealer Protokolls erfolgreich verboten.
Jedoch liegt die globale Dicke der Ozonschicht noch immer etwa zwei Prozent unter dem vorindustriellen Niveau4, und eine vollst?ndige Erholung wird frühestens 2066 erwartet. Unsere Ergebnisse zeigen: Unregulierte Raketenemissionen k?nnten diese Erholung um Jahre oder gar Jahrzehnte verz?gern – je nachdem, wie stark die Raumfahrtindustrie w?chst.
Die Wahl des Treibstoffs ist entscheidend
Verantwortlich für den Ozonabbau sind vor allem gasf?rmiges Chlor und Russpartikel. Chlor zerst?rt Ozonmoleküle durch katalytische Reaktionen, w?hrend Russ die Atmosph?re erw?rmt und dadurch ozonabbauende Reaktionen beschleunigt.
Die meisten Raketentreibstoffe emittieren Russ. Die Chloremissionen stammen in erster Linie von Feststoffraketenmotoren. Die einzigen Antriebssysteme mit vernachl?ssigbaren Auswirkungen auf die Ozonschicht sind gegenw?rtig jene, die kryogene Treibstoffe wie flüssigen Wasserstoff und Sauerstoff nutzen. Aufgrund ihrer technischen Komplexit?t kommen diese bislang jedoch nur bei rund 6?Prozent aller Raketenstarts zum Einsatz.5
Auswirkungen des Wiedereintritts sind noch ungewiss
Wir m?chten darauf hinweisen, dass unsere Studie nur die Emissionen berücksichtigt, die von Raketen w?hrend des Aufstiegs ins All freigesetzt werden. Dies ist jedoch nur ein Teil des Bildes. Die meisten Satelliten in niedriger Erdumlaufbahn treten am Ende ihrer Lebensdauer in die Atmosph?re ein und verglühen.
Dabei entstehen zus?tzliche Schadstoffe, wie etwa verschiedene Metallpartikel und Stickoxide. W?hrend Stickoxide in der mittleren Atmosph?re bekanntermassen katalytisch Ozon abbauen, k?nnen Metallpartikel zur Bildung polarer Stratosph?renwolken beitragen oder selbst als Reaktionsfl?chen dienen – beides kann den Ozonabbau weiter verst?rken.
Diese Wiedereintrittseffekte sind noch wenig erforscht und in den meisten Modellen noch nicht berücksichtigt. Aus unserer Sicht ist dennoch klar, dass mit der wachsenden Anzahl Satelliten auch diese Emissionen zunehmen und der Gesamteffekt auf die Ozonschicht wahrscheinlich noch h?her ist als die derzeitigen Sch?tzungen. Um diese Verst?ndnislücken rasch zu schliessen, besteht dringender Forschungsbedarf. 6
Es braucht Weitsicht und Koordination
Doch das allein genügt nicht. Die gute Nachricht: Wir glauben, dass eine Raketenindustrie, die ohne Sch?den an der Ozonschicht auskommt, durchaus m?glich ist. Entscheidend sind: ein wirksames Monitoring von Raketenemissionen, der weitgehende Verzicht auf Chlor- und Russ produzierende Treibstoffe, die F?rderung alternativer Antriebssysteme sowie die Einführung angemessener und verbindlicher Vorschriften. Nur so kann sich die Ozonschicht weiter erholen.4 Dies erfordert koordiniertes Handeln von Wissenschaft, Politik und Industrie.
Das Montrealer Protokoll hat erfolgreich gezeigt, dass selbst globale Umweltbedrohungen durch internationale Zusammenarbeit erfolgreich einged?mmt werden k?nnen. In der neuen ?ra der Raumfahrt braucht es dieselbe Weitsicht und Koordination, um unseren wichtigsten natürlichen Schutzschild – die Ozonschicht – dauerhaft zu bewahren.
Sandro Vattioni hat diesen Beitrag zusammen mit externe Seite Timofei Sukhodolov vom externe Seite Physikalisch-Meteorologischen Observatorium Davos verfasst.
1 Karol, I. L., Ozolin, Y. E., & Rozanov, E. V., Effect of space rocket launches on ozone. In Annales Geophysicae, Vol. 10, No. 10, pp. 810-814, (1992).
2 McDowell, J. externe Seite Jonathan's Space Report (2025).
3 Revell, L. E., Bannister, M. T., Brown, T. F. M., Sukhodolov, T., Vattioni, S., Dykema, J., Frame, D. J., Cater, J., Chiodo, G. & Rozanov, E., externe Seite Near-future rocket launches could slow ozone recovery. npj Clim Atmos Sci 8, 212, externe Seite doi (2025).
4 Bereits im letzten Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) wurde die wachsende Raketenindustrie als besonders besorgniserregend bezeichnet: WMO externe Seite Scientific Assessment of Ozone Depletion: 2022. Globale Ozonforschung und -überwachung. Projektberichte. Weltorganisation für Meteorologie. 278, 509 (2022).
5 Brown, T. F. M., Bannister, M. T., Revell, L. E., Sukhodolov, T., & Rozanov, E. Worldwide rocket launch emissions 2019: An inventory for use in global models. Earth and Space Science, 11, e2024EA003668. externe Seite https://doi.org/10.1029/2024EA003668 (2024)
6 Ab 2026 wird das von der EU finanzierte externe Seite SCLICE-Projekt (Space Launch Impacts on Climate and Environment) 30 Forschungsinstitutionen aus ganz Europa zusammenbringen, darunter vier Schweizer Institutionen (ETH Zürich, PMOD/WRC, EPFL und PSI), um alle Auswirkungen von Raketenstarts auf die Ozonschicht zu untersuchen.