Er hat einen klaren Plan für die Sicherheit
Der ETH-Professor Ueli Maurer hat der Kryptografie ein theoretisches Fundament gegeben. Jetzt wird er emeritiert. Sein wichtigstes Forschungsprojekt komme aber erst noch.
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Wir treffen uns an seinem 65. Geburtstag zum Interview – ein Zufall. Ueli Maurer zeigt auf einen grauen Container vor seinem Büro und sagt mit einem Grinsen: ?Es ist alles bereit.? Er meint seine Emeritierung Ende Juli.
Aber vorbei ist es nicht: Was jetzt komme, sei das Wichtigste seiner Karriere: ?Ich will eine Theorie vollenden, an der ich schon lange arbeite. Ich habe keinen Zwang oder Druck, aber einen klaren Plan.?
Maurer ist Kryptologe. Kryptologie besch?ftigt sich mit der Frage, wie sich Informationen sicher übermitteln lassen. Sie sind die Grundlage für Anwendungen wie E-Banking, E-Commerce oder digitale W?hrungen.
Mission: Sicherheit mathematisch beweisen
Maurer z?hlt in seinem Fach zu den besten weltweit. Auch weil er seine Materie theoretisch durchdringt wie kaum jemand Anderes. Einen klaren Plan zu haben, die Dinge grundlegend zu verstehen, war von Anfang an sein Anspruch.
Für das Fach begeistern liess sich Maurer in einer Vorlesung des damaligen ETH-Professors und Kryptologen Jim Massey. Sie sei herausgestochen: glasklar, strukturiert und mit einem klaren Ziel. Massey habe von sich gesagt, er k?nne nur einfache Dinge verstehen. Deshalb müsse man Komplexes abstrahieren und auf das Wesentliche reduzieren. Maurer fühlte sich angesprochen.
Im Jahr 1990 promovierte er bei ihm und stiess gleich in ein neues Feld vor. Er zeigte, dass sich die Sicherheit von kryptografischen Verfahren mathematisch definieren und beweisen l?sst, zum Beispiel, dass ein Angreifer einen Schlüssel nicht knacken kann, selbst wenn er alles mitliest.
Bedeutend ist das deshalb, weil sich Sicherheit (ein Flugzeug stürzt nicht ab, ein Schlüssel ist nicht zu knacken) im Gegensatz zu Funktionalit?t (eine Lampe leuchtet) nicht messen oder testen l?sst. Die Definition von Sicherheit sei, dass etwas nicht geschehe. Und weil es unendlich viele m?gliche Angriffe gibt, l?sst sich Sicherheit nicht abschliessend testen. Deshalb muss man sie mathematisch beweisen.
Nach einem Aufenthalt an der Princeton University kehrte Maurer 1992 als Assistenzprofessor an die ETH Zürich zurück. Kurz darauf zeigte er mit einer Publikation erstmals, wie schwer es ist, den Diffie-Hellmann-Schlüsseltausch zu knacken, ein Verfahren, mit dem zwei Personen über eine abh?rbare Leitung einen geheimen Schlüssel austauschen k?nnen.
Maurers Arbeiten ver?ndern die Kryptologie
Maurers Arbeiten erregten Aufsehen. Fortan wurde es zum Standard, kryptografische Verfahren mathematisch zu fassen und ihre Sicherheit mit gewissen Annahmen beweisen zu k?nnen. Mit seiner Forschung legte er den Grundstein für neuartige, sicherere Systeme. Manche davon entwickelte er selbst und liess sie patentieren.
So zum Beispiel ein Verschlüsselungsverfahren, welches selbst unendlich grossen Rechenleistungen standh?lt und theoretisch auch im Zeitalter von Quantencomputern bestand haben k?nnte. Bisherige Verschlüsselungssysteme beruhen darauf, dass Angreifer Jahrtausende oder l?nger rechnen müssten, um sie zu knacken. In dem neuen Verfahren nutzte Maurer zur Verschlüsselung physikalische Eigenschaften, wie zum Beispiel Signalrauschen in ?bertragungskan?len.
Maurer besch?ftigt sich seit langem auch mit der Frage, wie sich Sicherheit in verteilten Systemen und Netzwerken gew?hrleisten l?sst. Er arbeitete damit schon früh am theoretischen Fundament für Anwendungen wie die Blockchain. 2018 war er Mitgründer von Concordium, einer Blockchain-basierten Plattform für sichere Transaktionen.
Markus Püschl, ETH-Professor für Programmiersprachen und -Systeme und Weggef?hrte, sagt: ?Maurer ist ein Vollblutforscher, der sehr fundamental und in langen Zeitr?umen denkt. Mit seiner Art hat er viele jüngere Forschende gepr?gt.? Unter anderem für diese Qualit?ten wurde Maurer mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Test-of-Time-Award, der langfristig einflussreiche Arbeiten auszeichnet und der RSA Award for Excellence in Mathematics.'

?Wenn ich etwas lehren will, muss ich es vorher wirklich verstanden haben.?Ueli Maurer![]()
Lehre bringt Einsichten
Besonders am Herzen liegt Maurer auch die Lehre. Sie sei für ihn untrennbar mit der Forschung verbunden und eine Quelle für neue Einsichten. Er sagt: ?Wenn ich etwas lehren will, muss ich es vorher wirklich verstanden haben.?
Deshalb freute es ihn besonders, als ihm Studierende 2019 für seine Lehre ein externe Seite Inserat in einer Pendlerzeitung widmeten. Die Studierenden bedankten sich damit für die Art, wie er den komplexen Stoff vermittelte.
Es sei einer der sch?nsten Momente als Professor an der ETH gewesen. Die Studierenden erstanden das Inserat im Rahmen einer Jubil?umsaktion der Zeitung und widmeten es dem Informatik-Professor. Darauf zu sehen war eine Seite aus Maurers Vorlesungsskript zu diskreter Mathematik – eigentlich kein sehr beliebtes Fach.
Vom Geheimdienst kontaktiert
2020, mitten in der Pandemie, stand Maurer aus einem anderen Grund in der ?ffentlichkeit: Medien berichteten, dass die Firma Omnisec, eine Herstellerin von Verschlüsselungsger?ten, von Geheimdiensten unterwandert gewesen sei – genau wie die Firma Crypto AG. Maurer war für Omnisec lange als Berater t?tig.
Maurer war schockiert und nahm dazu in der Sendung Rundschau des Schweizer Fernsehens und in verschiedenen Zeitungen Stellung. Dort erz?hlte er, dass er 1989 tats?chlich vom amerikanischen Geheimdienst NSA kontaktiert worden sei. Er habe die versuchte Einflussnahme kategorisch abgelehnt und sich sofort distanziert. Zudem habe er den damaligen Chef der Firma informiert. Er sei danach überzeugt gewesen, dass das Thema erledigt und die Firma sauber sei.
Die umfassende Theorie
Neben Forschung und Lehre war Maurer auch als Studiendirektor und in verschiedenen Kommissionen engagiert. All dies seien wichtige Aufgaben, die er gerne erfüllt habe.
Trotzdem freue er sich, dass er sich nach seiner Emeritierung noch einmal ganz seiner Forschung widmen k?nne. Jetzt sei die Zeit für den grossen Wurf: eine konstruktive Theorie der Kryptografie – also eine wissenschaftliche Grundlage, mit der sich kryptografische Verfahren systematisch und verst?ndlich entwerfen lassen. Wie in einem Baukastensystem sollen einzelne Bausteine dann sicher miteinander kombiniert werden k?nnen, um komplexe Verschlüsselungsprotokolle zu konstruieren – und deren Sicherheit mathematisch zu garantieren.
?Wir verlassen uns heute viel zu stark auf eine Technologie, deren Sicherheit wir noch immer zu wenig systematisch verstehen.?Ueli Maurer
?Eine solche Theorie ist überf?llig?, sagt er, ?denn wir verlassen uns heute viel zu stark auf eine Technologie, deren Sicherheit wir noch immer zu wenig systematisch verstehen.?
Er bedauert und kritisiert zugleich, dass das Verstehen an sich im Forschungsbetrieb an Boden verliere. ?In der Forschung sollte es um Erkenntnisgewinn gehen, um den Intellekt. Grosse Teile des Wissenschaftsbetriebs funktionieren aber anders. Schon Doktorierende werden darauf getrimmt, m?glichst viele wissenschaftliche Artikel zu publizieren. Dabei produzieren sie leider oft Dinge, die zwar publizierbar, aber nicht wirklich relevant sind.?
Es gebe in der Wissenschaft deshalb viele grundlegende Probleme, die unbeachtet und ungel?st blieben. Diese blinden Flecken zu finden und zu beseitigen, sei oft keine dankbare Arbeit. Er weiss aus eigener Erfahrung, dass es ein dickes Fell und viel Frustrationstoleranz braucht, wenn man an etwas Neuem arbeitet. Dafür sei der Lohn und die Befriedung danach umso gr?sser.
Er l?sst deshalb nicht locker. Die Kryptografie-Theorie, die er suche, gebe es schon. Man müsse sie nur noch entdecken.
Der Plan für danach
Was aber, wenn es nicht klappt? ?Das w?re auch okay. Dann findet sie jemand Anderes?, es gehe um das Fach, nicht um ihn. Er sagt das sehr entspannt. Denn natürlich bereitet er sich schon jetzt vor für den Tag, wenn er die Forschung einmal loslassen muss, weil er die intellektuelle Leistung nicht mehr bringen kann: Maurer, der Sicherheitsforscher, der früher oft Deltasegler flog, lernt gerade Segelfliegen. ?Da kann ich mich noch eine gute Weile entwickeln?, sagt er.
Noch fliege er nicht weit, nur von Amlikon bis ins Toggenburg. Er freue sich über jeden Kilometer, den er mit Thermik gewinne, erz?hlt er. Es würde aber niemanden wundern, h?tte er im Kopf bereits Pl?ne, die über die Alpen hinweg reichen.