Führt Verdichtung zu mehr Hitzestress in Städten?

Hohe Temperaturen und h?ufigere Hitzewellen lassen viele Menschen zweifeln, ob das Verdichtungsgebot der Raumplanung noch zukunftsf?hig ist. Doch, h?lt der Bauphysiker Jan Carmeliet dagegen – auch verdichtete St?dte k?nnten kühl sein, sofern man sie richtig plane.?
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Die Schweiz schwitzt – besonders in den St?dten. Wer dieser Tage zwischen Land und Zentrum verkehrt, erf?hrt am eigenen Leib: St?dte sind wahre W?rmeinseln, in denen es noch heisser ist. Beton und Asphalt heizen sich erbarmungslos auf und strahlen die W?rme bis tief in die Nacht ab. Deshalb sind st?dtische Gebiete besonders anf?llig für Hitzestress.
Mehr Vegetation und Grünfl?chen k?nnten urbane Hitze mildern – doch die Raumplanung fordert, dass sich unsere St?dte nach innen entwickeln und verdichten, um die Zersiedelung zu stoppen. Das Dilemma weckt bei vielen Zweifel, ob das Gebot der Raumplanung noch zukunftstauglich ist.
Und das nicht ohne Grund: Verdichtung bedeutete in der Vergangenheit allzu oft mehr Wohnraum auf Kosten von Grünfl?chen, was den thermischen Komfort verringert und das Risiko von Hitzestress erh?ht. Unter Stadtplaner:innen, Beh?rden und Forschenden ist daher die Ansicht weit verbreitet, dass st?dtische Verdichtung zwangsl?ufig zu h?heren Temperaturen führt.

Ich forsche selbst zu Hitzeminderung in St?dten und erachte diese Annahme als falsch. Auch die Schlussfolgerung, dass wir nicht weiter verdichten sollten, greift in meinen Augen zu kurz. Denn das Problem ist nicht die Dichte an sich, sondern wie wir sie gestalten.
Dichte Strukturen sind nicht zwingend heisser
Im SWICE-Projekt1 des Bundesamts für Energie haben wir uns mit der aktuellen Debatte um den Sinn st?dtischer Verdichtung befasst (siehe Box). Dazu haben wir in Genf und Freiburg die Hitzebelastung von Quartieren analysiert und für Sch?nberg in Freiburg anhand von Simulationen untersucht, wie sich unterschiedliche Szenarien für die Begrünung und Verdichtung auf den thermischen Komfort der Bewohnenden auswirken.
Die Ergebnisse überraschen: Dichter bebaute Quartiere mit gut platzierter Begrünung mit vielen B?umen – wie in Teilen von Genf – k?nnen angenehmer sein als offene, aber weniger beschattete und schlecht durchlüftete Siedlungen wie Sch?nberg in Freiburg.

In einem aktuellen Positionspapier zeigen wir zudem auf, dass geschickte Verdichtung in Kombination mit Grünfl?chen das lokale Mikroklima sogar verbessern kann.2
Verdichten und Begrünen aus einem Guss
Besonders eindrücklich ist das Beispiel Sch?nberg. Drei Szenarien wurden simuliert: reine Verdichtung, reine Begrünung und eine Kombination aus beidem – sprich: die Wohnkapazit?t steigern und wo immer m?glich Grünfl?chen integrieren, einschliesslich begrünter D?cher und Fassaden, B?ume entlang von Strassen und auf Pl?tzen.
Das Resultat: Nur die Kombination bringt echte Fortschritte. Die Verbesserung ist in erster Linie auf die erh?hte Beschattung durch B?ume und Geb?ude sowie auf den kühlenden Effekt der Transpiration zus?tzlicher Vegetation zurückzuführen, was die gefühlte Temperatur um bis zu 5 Grad Celsius senken kann.
?Der lokale thermische Komfort entsteht im engen Zusammenspiel von Beschattung durch Geb?ude und B?ume, ausreichender Durchlüftung und kühlender Vegetation.?Jan Carmeliet
Mehr Schatten durch B?ume und h?here Geb?ude ist einer der wichtigsten Faktoren für thermischen Komfort – doch falsch gepflanzt oder ungünstig positioniert blockieren sie Wind oder versperren ganze Frischluftschneisen. St?dtische Lüftungskorridore m?glichst zu erhalten ist zentral, um die W?rme effizient abzuleiten.

Dass sich der thermische Komfort in bestimmten Zonen dennoch verschlechtert aufgrund fehlender Beschattung oder behinderter Zirkulation durch neue Geb?ude und B?ume, l?sst sich in der Praxis kaum vermeiden – aber minimieren.
Pr?zise Planung statt Pauschalrezepte
Thermischer Komfort entsteht im Zusammenspiel von Schatten durch Geb?ude und B?ume, ungehinderter Durchlüftung und kühlender Vegetation. Und dieses Zusammenspiel ist hochgradig lokal. Es braucht daher einen integrierten Ansatz, der die Bedürfnisse jedes Stadtviertels, das lokale Klima sowie die verfügbaren Fl?chen und Ressourcen berücksichtigt.
Allgemeine Leitlinien und generische L?sungen sind hingegen kaum zielführend. Verdichtet man nur um der Dichte willen, verschlechtert sich die Lebensqualit?t lokal. Deshalb müssen wir ?dichter? und ?grüner? konsequent zusammen denken und Windstr?me, Schattenverl?ufe und Hitzeverteilung pr?zise planen.
Dazu braucht es pr?zise Werkzeuge wie Mikroklima-Simulationen, um die Effekte auf das Wohlbefinden der Menschen zu verstehen – und zu verbessern. Ich bin überzeugt, dass sich mit sinnvoll positionierten Geb?uden von geeigneter H?he sowie mit intelligenter Bepflanzung an strategischen Stellen thermische Unorte gr?sstenteils vermeiden lassen. Die Werkzeuge dafür haben wir.
Die Stadt der Zukunft ist dicht und grün
Mein Fazit: Verdichtung ist notwendig, um knappes Land zu sparen. Aber sie darf nicht auf Kosten der Lebensqualit?t gehen. Wenn wir St?dte bauen, die nicht nur mehr Wohnraum bieten, sondern auch mehr Schatten, Luft, Grünraum und Natur, dann ist Verdichtung kein Rückschritt – sondern ein sinnvoller Schlüssel zu einer klimaresilienten Zukunft.
Aus eigener Erfahrung m?chte ich erg?nzen, dass die Stadtplanung bei diesem Prozess in hohem Masse von Living Labs profitieren kann. Diese partizipativen Reallabore beziehen alle Interessengruppen – auch die Bewohner:innen – ein, um gemeinsam L?sungen zu entwickeln, die sowohl effektiv als breit akzeptiert sind.
SWEET und SWICE
SWEET (SWiss Energy research for the Energy Transition) ist ein externe Seite F?rderprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) mit dem Ziel, Innovationen für die Schweizer Energiestrategie 2050 voranzutreiben. externe Seite SWICE ist ein von SWEET gef?rdertes Konsortium, das die Lebensqualit?t von Schweizer St?dten in der Energiewende verbessern will. Das Projekt umfasst sechs partizipative externe Seite Living Labs in der Schweiz, in denen Forschende gemeinsam mit Bewohner:innen, Beh?rden, Immobilienverwaltern und Stadtplaner:innen Strategien gegen urbane Hitze entwickeln und testen.