
ERC Starting Grants: ETH-Forschende sehr erfolgreich
Neun Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich wurden soeben mit Starting Grants des Europ?ischen Forschungsrats ERC ausgezeichnet. Das ist ein gutes Zeichen für den Forschungsstandort Zürich.
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In Kürze
- Der Europ?ische Forschungsrat f?rdert mit Starting Grants Forschende am Anfang ihrer Karriere.
- Nun fliessen insgesamt 13,5 Millionen Franken dieser EU-F?rdermittel an neun ETH-Forschende.
- 18,4 Prozent aller ETH-Antr?ge für diese Grants hatten Erfolg – mehr als im europ?ischen Schnitt.
Die ETH Zürich darf sich freuen: Neun Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen wurden soeben mit einem Starting Grant des Europ?ischen Forschungsrats ERC ausgezeichnet. Diese prestigetr?chtigen F?rdermittel erm?glichen es Forschenden am Anfang ihrer Karrieren, eine Forschungsgruppe aufzubauen und neue Ideen umzusetzen.
Die Projekte sind in verschiedensten Disziplinen angesiedelt, von den Materialwissenschaften über die Physik bis hin zu den Geisteswissenschaften. Dadurch fliessen rund 13,5 Millionen Franken an die ETH. Eines der Projekte (Serina Robinson) wird federführend an der Eawag durchgeführt.
18 Prozent der ETH-Antr?ge erfolgreich
Die ETH-Forschenden waren auch im gesamteurop?ischen Vergleich überdurchschnittlich erfolgreich. Von 49 eingereichten ETH-Antr?gen erreichten 16 (32 Prozent) die zweite Evaluationsstufe, neun davon kommen nun in den Genuss der F?rdermittel. Zwei Projekte sind auf der Reserveliste gelandet und k?nnten noch finanziert werden. Damit liegt die Erfolgsquote der ETH-Antr?ge bei 18,4 Prozent. Der europ?ische Durchschnitt betr?gt in der Regel zwischen 10 und 15 Prozent.
Die Auszeichnung ist nicht nur ein pers?nlicher Erfolg für die Forscher:innen, sondern auch ein Beleg dafür, dass ETH-Forschende nach wie vor auf europ?ischem Parkett wettbewerbsf?hig sind. In den vergangenen Jahren waren Forschende an Schweizer Hochschulen aufgrund des gescheiterten Rahmenabkommens mit der EU von den meisten ERC-Ausschreibungen ausgeschlossen. Sie konnten sich nur für nationale personenbezogene Grants des Schweizerischen Nationalfonds bewerben, die ?hnlich hoch dotiert waren. Doch das wissenschaftliche Kr?ftemessen mit anderen europ?ischen Forscher:innen fehlte.
Dank einer ?bergangsregelung gelten Forschende an Schweizer Hochschulen seit Anfang 2025 als Begünstigte und k?nnen wieder direkt bei der EU F?rdermittel beantragen. Die durch den ERC begutachteten Starting Grant-Projekte werden aus dem gemeinsamen EU-F?rdertopf finanziert.
Ein Appell an die Politik
?Ich freue mich sehr, dass unsere Nachwuchsforscherinnen und -forscher so erfolgreich sind?, sagt Annette Oxenius, Vizepr?sidentin Forschung der ETH Zürich. Dies dürfe aber nicht darüber hinwegt?uschen, dass die europ?ische Forschungsf?rderung für in der Schweiz t?tige Akademiker:innen weiterhin wackelig sei.
?Die aktuelle ?bergangsregelung ist ein Fortschritt, aber kein Ersatz für eine vollst?ndige Assoziierung am europ?ischen Forschungsprogramm Horizon Europe?, betont Oxenius. Die Schweiz müsse daher wieder ein vollwertiger Partner im europ?ischen Forschungsraum werden. ?Nur so k?nnen unsere Hochschulen langfristig konkurrenzf?hig bleiben.?
Sie fordert die Schweizer Politik deshalb auf, die bilateralen Beziehungen zur EU zu stabilisieren und den Weg für eine dauerhafte Teilnahme an Horizon Europe zu ebnen. ?Exzellente Wissenschaft kennt keine Grenzen?, sagt die Vizepr?sidentin für Forschung.
Die Projekte im ?berblick:

Die Teilchenphysikerin Thea Klaeboe Aarrestad forscht am Cern in Genf und dort am grossen Teilchenbeschleuniger LHC und dessen Teilchendetektor CMS – jenem Ger?t, mit dem das Higgs-Teilchen entdeckt wurde. Pro Sekunde kollidieren dort 40 Millionen Teilchenpaare. Es entstehen in dieser Zeit rund 40 Terabyte an Rohdaten. Weil diese Datenmenge viel zu gross ist, um sie speichern und auswerten zu k?nnen, sortieren Algorithmen innerhalb von Millionstelsekunden aus, was vermeintlich als physikalisch uninteressant gilt. 99 Prozent der Rohdaten werden dabei sofort gel?scht. In ihrem ERC-Projekt entwickelt Aarrestad Methoden, um diese Daten auszuwerten, bevor sie verworfen werden. Sie setzt dabei auf ultraschnelle künstliche Intelligenz, die jede Kollision in Echtzeit analysiert. Diese Systeme sind nicht auf voreingestellte Filter angewiesen und k?nnen auch unerwartete Muster erkennen, die mit herk?mmlichen Methoden übersehen werden. Der Ansatz k?nnte helfen, die Suche nach neuer, bisher unbekannter Physik stark zu verbessern – und das volle Potenzial des CMS-Detektors auszusch?pfen.

Hedan Bai, Professorin für Robotik-Materialien, m?chte in ihrem ERC-Projekt neuartige Materialien entwickeln, die zahlreiche, einzeln ansteuerbare Antriebselemente enthalten. Die Materialien ?hneln in ihrer Struktur und Funktion der menschlichen Muskulatur. Um die dicht gepackten Antriebselemente im künstlichen Muskel individuell anzusteuern, setzt Bai auf die grosse Bandbreite des Lichts. Damit stimuliert sie die ?Muskeln?, was zu einer überragenden Antriebskapazit?t führt. Dieses Robotermaterial l?sst sich vielseitig einsetzen, etwa als Bauelement von neuartigen, physisch intelligenten Maschinen oder für die Entwicklung von Robotern, die gef?hrliche Umgebungen erkunden oder in der Chirurgie eingesetzt werden k?nnen.

Der Physiker Alexander Dikopoltsev arbeitet auf dem Gebiet der Photonik und untersucht, wie Licht und Materie miteinander wechselwirken. Er erforscht neuartige Formen von sogenannten Laser-Frequenzk?mmen. Deren Licht besteht aus vielen – von zehn bis zu mehreren Millionen – einzelnen, pr?zise abgestimmten Wellenl?ngen. Es unterscheidet sich grundlegend von Sonnenlicht, das ein Kontinuum von Farben und Wellenl?ngen enth?lt. Um solche Frequenzk?mme zu erzeugen, sind derzeit grosse und komplexe Ger?te n?tig. In seinem ERC-Projekt will Dikopoltsev sie auf winzigen Chips erzeugen. Dazu wird er etwas verwenden, das flüssigkeits?hnliches Licht genannt wird. Mit Hilfe von Radiowellen kann er steuern, welche Wellenl?ngen das erzeugte Licht enth?lt. Zu den Anwendungsbereichen geh?ren die optische Datenübertragung, die Lidar-Kartierung sowie Spektroskopieverfahren für die medizinische Diagnostik, die Materialprüfung und Umweltanalysen.

Der Polit?konom Lukas Fesenfeld ist Senior Researcher und Dozent für Klima- und Technologiepolitik. Er untersucht, wie sich politische, wirtschaftliche und technologische Ver?nderungen gegenseitig beeinflussen und sich auf die Gestaltung klimapolitischer Massnahmen und Innovationen auswirken. In seinem ERC-Projekt erforscht Fesenfeld, weshalb bestimmte klimafreundliche Innovationen wie Elektroautos oder Windkraftanlagen heftige politische Debatten ausl?sen, w?hrend andere Technologien kaum im Fokus stehen. Dazu vergleicht er 20 emissionsarme Technologien in Industrie- und Schwellenl?ndern. Mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens, Experimenten, statistischen Datenanalysen und Fallstudien analysiert er, welche technologischen Merkmale in unterschiedlichen politischen Systemen zu st?rkeren oder geringeren Konflikten führen. Ziel ist es, besser zu verstehen, wie sich diese Unterschiede auf die Klimapolitik, die Verbreitung neuer Technologien und die Entwicklung von Industriesektoren auswirken. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen Entscheidungstragenden fundierte Grundlagen bieten, um politische Risiken frühzeitig zu erkennen und kontextspezifische Strategien zu entwickeln, um klimafreundliche Technologien rascher zu verbreiten und Emissionen wirksam zu reduzieren.

Der Geophysiker Thomas Hudson verknüpft in seinem ERC-Projekt Seismologie und Gletscherforschung, um besser zu verstehen, wie schnell Gletscher schmelzen und wie stark sie zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen. Moderne Computermodelle und Satelliten liefern bereits zahlreiche Daten über die Oberfl?che von Gletschern. Doch was unter dem Eis passiert, ist weitgehend unbekannt. Mit neuartigen seismischen Messger?ten – darunter Glasfasersensoren und kleine Messstationen – sollen Bewegungen und Brüche im Inneren der Gletscher erfasst werden. Ziel ist es, herauszufinden, wie fest das Eis mit dem Untergrund verbunden ist und wie stark ganze Gletscher in ihrem Innern gesch?digt sind. Weiter m?chte Hudson anhand von seismischen Signalen Rückschlüsse auf andere geologische Prozesse ziehen. Die Erkenntnisse sollen helfen, Vorhersagen zum Anstieg des Meeresspiegels zu verbessern. Darüber hinaus k?nnten die neuen Methoden auch bei der geothermischen Energiegewinnung oder der ?berwachung von CO?-Speichern eingesetzt werden.

Serina Robinson, derzeit Gruppenleiterin an der Eawag und Dozentin an der ETH Zürich, erforscht, wie Mikroben chemische Schadstoffe in der Umwelt abbauen und wie man die Aktivit?t mikrobieller Enzyme vorhersagen kann. In ihrem ERC-Projekt, das sie an der Eawag und der ETH Zürich durchführen wird, will sie mittels Laborexperimenten und Modellierungen untersuchen, wie mikrobielle Enzyme an per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) binden. Eine solche Bindung ist zentral für neue Ans?tze, um diese langlebigen Schadstoffe – auch als ?Ewigkeitschemikalien? bekannt – nachzuweisen und teilweise umzuwandeln. Das Bewusstsein für PFAS w?chst weltweit und damit auch der Bedarf, sie zu überwachen. Dafür will Robinson praktische Analysewerkzeuge entwickeln sowie biotechnologische Methoden, um diese toxischen Substanzen unsch?dlich zu machen und Mensch und Umwelt zu schützen.

Outi Supponen ist Assistenzprofessorin am Institut für Fluiddynamik und besch?ftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich die Grenzfl?che von winzigen mit Gas gefüllten Bl?schen bewegt. In ihrem ERC-Projekt m?chte sie untersuchen, wie sogenannte Kavitationsblasen entstehen und wie diese auf ihre Umgebung wirken. Dabei handelt es sich um Gasbl?schen, die sich in Flüssigkeiten bei starken Schallwellen heftig zusammenziehen und schlagartig ausdehnen. Solche Bl?schen k?nnen Zellen kurzzeitig ?ffnen, um Medikamente einzuschleusen, oder Gewebe und feste Strukturen wie Nierensteine zerst?ren. Um diese Prozesse sichtbar zu machen, nutzt Supponen ultraschnelle Video- und Fluoreszenzmikroskopie, R?ntgenbildgebung und Schallmessungen. Die gewonnenen Erkenntnisse k?nnten dazu beitragen, Schallwellenbehandlungen gezielter, sicherer und wirksamer zu machen – etwa bei Hirnerkrankungen, Tumoren, Blutgerinnseln, Infektionen oder Nierensteinen.

Der Physiker Konrad Viebahn will in seinem ERC-Projekt einen Quantencomputer entwickeln, der auf ultrakalten Atomen beruht. Ultrakalt bedeutet: Er kühlt die Atome auf extrem tiefe Temperaturen, nur wenige Millionstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt. Viebahn bewegt die Atome mithilfe von sogenannten optischen Gittern – das sind mit Laserlicht erzeugte bewegliche Muster. Rechenoperationen kann er durchführen, indem er zwei Atome an genau denselben Ort bringt und sie quantenmechanisch miteinander wechselwirken l?sst. Gegenüber anderen Quantencomputer-Ans?tzen hat Viebahns Ansatz den Vorteil, dass er sich einfach skalieren l?sst: Es k?nnte dereinst m?glich sein, damit auch Millionen von ultrakalten Atomen zum Rechnen zu verwenden.

Die ETH-Professorin Siyu Tang erforscht und entwickelt neuartige Computer-Vision-Modelle. Diese erm?glichen es Maschinen, menschliche Bewegungen und Aktivit?ten visuell und dreidimensional wahrzunehmen und zu verstehen.
Ihr ERC-Projekt fokussiert darauf, die algorithmischen Grundlagen für ein einheitliches, multimodales Visionsmodell zu schaffen, das dynamische Szenen und menschliche Interaktionen in 3D versteht. Es integriert visuelle und multimodale Daten, um ein umfassendes Bild von Situationen und Interaktionen zu erhalten. Das Modell soll zu neuen KI-Systemen in den Bereichen Fahren, Robotik, Gesundheitswesen und erweiterter Realit?t beitragen und die Interaktion zwischen Mensch und KI verbessern.