Trainieren gegen das Vergessen
Spielerisches Training verbessert nicht nur die kognitive F?higkeit von Menschen mit ersten Anzeichen für die Entwicklung einer Demenz, sondern führt auch zu positiven Ver?nderungen im Gehirn. Dies zeigen zwei neue Studien von Forschenden der ETH Zürich und der Ostschweizer Fachhochschule (OST).
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In Kürze
- Rund 40 Menschen mit leichten kognitiven Beeintr?chtigungen und einem Durchschnittsalter von 73 Jahren trainierten zw?lf Wochen lang fünf Mal die Woche rund 25 Minuten.
- Dank des Trainings verbesserte sich die geistige Leistungsf?higkeit der Studienteilnehmer:innen und das Volumen von Hirnregionen, die für das Ged?chtnis verantwortlich sind, nahm zu.
- Die Forschenden konnten zeigen, dass die Ver?nderungen im Gehirn mit den Verbesserungen der allgemeinen kognitiven Leistungsf?higkeit und des Ged?chtnisses korrelieren.
In Europa ist fast jede zehnte Person über 70 von Demenz betroffen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung k?nnte sich diese Zahl bis 2050 sogar verdreifachen. Die Betroffenen verlieren mit der Zeit alles, was sie ausmacht: ihre Erinnerung, die F?higkeit ihren Alltag zu gestalten und auch k?rperlich bauen viele ab. In einem fortgeschrittenerem Stadium der Krankheit brauchen Demenzerkrankte meist umfassende Pflege.
Gegen Alzheimer – die h?ufigste unter mehreren Demenzformen – gibt es inzwischen erste Medikamente, die den Krankheitsverlauf im Frühstadium leicht verlangsamen k?nnen. Diese sind in der Schweiz aber noch nicht zugelassen und nur für eine kleine Gruppe von Patient:innen relevant. Als risikoarme Alternative oder Erg?nzung zu medikament?sen Behandlungen haben sich in den letzten Jahren sogenannte ?Exergames? erwiesen. Diese Fitnessspiele kombinieren k?rperliche Aktivit?t mit Denkaufgaben – ganz ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Eine Studie mit ETH-Beteiligung wies bereits 2021 nach, dass diese Art von Training sowohl die kognitiven als auch die physischen F?higkeiten sowie die Lebensqualit?t von stark beeintr?chtigten Demenzpatient:innen verbessert.
Zwei neue ETH-Studien zeigen nun, dass Training mit ?Exergames? auch bei ?lteren Menschen mit leichten kognitiven Beeintr?chtigungen – einem Frühstadium von Demenz – funktionieren. ?Durch das spielerische Training hat sich nicht nur die geistige Leistungsf?higkeit der Studienteilnehmer:innen verbessert, sondern wir konnten auch deutliche Ver?nderungen in ihren Gehirnen messen?, erkl?rt Patrick Manser, der mittlerweile am Karolinska Institut in Stockholm forscht. Beide Studien sind aus seiner Doktorarbeit an der ETH Zürich hervorgegangen und best?tigen die Erkenntnisse von 2021.
Training für K?rper und Geist
In seinen beiden Studien untersuchten Manser und seine Kolleg:innen rund 40 Menschen, die kognitiv leicht beeintr?chtigt und durchschnittlich 73 Jahre alt waren. Die Studienteilnehmer:innen trainierten zw?lf Wochen lang fünf Mal die Woche rund 25 Minuten zu Hause mit einem System welches einen Bildschirm inklusive Spielesoftware und eine Bodenplatte mit vier Feldern, die Schritte misst, umfasste.
Die Studienteilnehmer:innen mussten in der Regel am Bildschirm vorgegebene Aufgaben durch eine Bewegungsabfolge mit ihren Füssen l?sen. So versuchten sie sich zum Beispiel eine Einkaufsliste zu merken und entschieden dann durch einem Schritt nach rechts oder links, ob ein eingeblendetes Produkt dazugeh?rt oder nicht. ?Aufgaben wie diese trainieren gezielt kognitive F?higkeiten, die sich bei Demenz verschlechtern, etwa die Aufmerksamkeit, das Ged?chtnis oder das r?umliche Vorstellungsverm?gen?, sagt Manser.
Nach den ?bungen mussten die Studienteilnehmer:innen jeweils eine Zeit lang langsam und kontrolliert atmen. Dadurch regulierten sie ihr autonomes Nervensystem durch die Stimulation des Vagusnervs und aktivierten Gehirnregionen, welche für kognitive Prozesse relevant sind. Dies sollte die Wirksamkeit des Trainings zus?tzlich erh?hen.
Ged?chtnis verbessert sich deutlich
In ihrer ersten Studie zeigten die Forschenden, dass sich die kognitive Leistungsf?higkeit und das Erinnerungsverm?gen der Trainierenden deutlich verbesserte. Diese Verbesserungen waren nicht nur statistisch signifikant, sondern auch im Alltag spürbar – etwa beim Einkaufen, bei Gespr?chen oder im Umgang mit Stress. So berichteten die Studienteilnehmer:innen, dass sie sich fitter, klarer und selbstsicherer fühlten. Bei Studienteilnehmer:innen der Kontrollgruppe, die ihre üblichen Therapien fortsetzten, verschlechterte sich hingegen der Zustand – was dem typischen Krankheitsverlauf entspricht.
Die Ergebnisse sind vor allem für Menschen mit ersten Demenzanzeichen und deren Angeh?rige ermutigend: ?Wir hoffen, dass wir durch gezieltes Exergame-Training Demenzsymptome verz?gern und abschw?chen k?nnen?, erkl?rt Projektleiter und Mitautor Professor Eling D. de Bruin, der an der ETH Zürich und an der Ostschweizer Fachhochschule (OST) forscht.
Strukturelle Ver?nderungen im Gehirn
In einer zweiten Studie untersuchten die Forschenden, ob sich die kognitiven Verbesserungen im Gehirn widerspiegelten. Zu ihrer ?berraschung konnten sie tats?chlich nachweisen, dass sich gewisse Strukturen ver?ndert hatten. Auf Magnetresonanztomografien stellten die Forschenden fest, dass sich das Volumen des Hippocampus, einer zentralen Ged?chtnisregion, sowie des Thalamus bei den Trainierenden erh?hte. Zudem beobachteten sie sie auch Effekte im anterioren cingul?ren Cortex sowie leichte Verbesserungen im pr?frontalen Kortex. Bei den Personen in der Kontrollgruppe nahm das Volumen dieser Bereiche in der Grosshirnrinde hingegen ab.
?Diese Regionen sind bei neurodegenerativen Erkrankungen wichtig. Ein verkleinerter Hippocampus gilt sogar als frühes Merkmal für Demenz?, erkl?rt de Bruin. Dass die Forschenden bereits nach zw?lf Wochen strukturelle Verbesserungen messen konnten, beweise eindrücklich, dass das Gehirn plastisch ist – selbst bei Menschen, die erste Anzeichen für Demenz aufweisen.
Die Forschenden konnten zudem zeigen, dass die Ver?nderungen im Hippocampus und im Thalamus mit einer besseren kognitiven Leistungsf?higkeit und einem besseren Ged?chtnis zusammenh?ngen. Dies ist ein erster Hinweis auf einen potenziellen kausalen, krankheitsver?ndernden Effekt des Trainings. ?Unsere Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich. Ob das personalisierte spielerische Training das Auftreten einer Demenz tats?chlich verz?gern oder gar verhindern kann, müssen aber Studien zeigen, in denen die Teilnehmenden l?nger als drei Monate trainieren. Entsprechende Projekte sind bereits geplant?, sagt de Bruin.
Literaturhinweise
Manser P, de Bruin ED: “Brain-IT”: Exergame training with biofeedback breathing in neurocognitive disorders, Alzheimer’s & Dementia 2024, externe Seite doi: 10.1002/alz.13913
Manser P, Rosio M, Schmidt A, Michels L, de Bruin ED: Structural Brain Improvements Following Individually Tailored Serious Exergame-based Training in Mild Neurocognitive Disorders: Exploratory Randomized Controlled Trial, Alzheimer's Research & Therapy, 8. September 2025, doi: externe Seite 10.1186/s13195-025-01835-2