Das Hotel Schatzalp mit den neuen Balkongeländen

Neuste Technologie für das historische Hotel Schatzalp

Die Aussengel?nder des 125-j?hrigen Davoser Hotels Schatzalp waren in einem schlechten Zustand. Zusammen mit einem lokalen Holzbauunternehmen und einem Spin-off haben Forschende der ETH Zürich für Ersatz gesorgt – mit Hilfe modernster Technologie.

In Kürze

  • Die Holzbalustraden der überdachten Balkone des Berghotels Schatzalp waren morsch und für heutige Standards zu niedrig. 
  • Architekturforschende der ETH Zürich entwarfen in digitalem Verfahren neue Gel?nderelemente, die sich einfach montieren und reparieren lassen.
  • Hergestellt wurden die einzelnen Teile von einer Davoser Holzbaufirma – mit Hilfe von Augmented-Reality-Technologie. Soeben wurde das letzte Balustradenstück in der Hotelfassade eingebaut.

Die überdachten Balkone des Jugendstilgeb?udes auf der Schatzalp haben schon viel erlebt. Wo einst reiche Patientinnen und Patienten ihre Tuberkulose an der frischen Luft auskurierten, geniessen heute Hotelg?ste ein Sonnenbad oder die Aussicht in die Davoser Bergwelt. Viele Holzgel?nder der Loggien – wie solche auf der Seite begrenzten und überdachten Balkone heissen – sind so alt wie das ehemalige Sanatorium selbst: 125-j?hrig. All die Jahre in Schnee, Wind, Regen und Sonne hinterliessen Spuren im Holz. 

?Die Balustraden waren in einem schlechten Zustand, vor allem im ersten Geschoss, wo sie auskragen und extrem der Witterung ausgesetzt sind?, sagt Silke Langenberg, Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an der ETH Zürich. Zudem entsprach die Gel?nderh?he nicht den heutigen Sicherheitsanforderungen. 

Fassade mehrfach ver?ndert

Zusammen mit den ETH-Architekturprofessoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler suchte Langenberg nach L?sungen für einen ad?quaten Ersatz. Bei der Bestandsaufnahme zeigte sich, dass die Gel?nder – weil sie zu verschiedenen Zeiten gebaut wurden – nicht einheitlich konstruiert waren und es unterschiedliche Verbindungen und Anschlüsse gab. ?Das typische Bild der Schatzalp, wie wir es heute kennen – mit ihren über die ganze Südfassade durchgehenden Loggien – gibt es erst seit Ende der 1940er Jahre?, sagt Langenberg. ?Wenn man vor dem Geb?ude steht, kann man die viele Ver?nderungen, die in all den Jahren an der Fassade vorgenommen wurden, noch ablesen.? Diese waren, zusammen mit den Sch?den und der erforderlichen Erh?hung, Gründe für den Entwurf der neuen Gel?nder.

Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Balustraden habe man schnell verworfen, sagt die Professorin. Einerseits stehe eine Rekonstruktion im Widerspruch zu den Prinzipien der Denkmalpflege. Andererseits sei das Design der alten Gel?nder auf einem Quadratraster aufgebaut. ?Dieses Muster h?tte sich mit der vorgeschriebenen Erh?hung ver?ndert oder w?re nur mit einem zus?tzlichen, erh?hten Handlauf zu l?sen gewesen. Da jedoch alle Balustraden ersetzt werden mussten, suchten wir gemeinsam nach einem Entwurf, der trotz der Erh?hung funktioniert, die Sicherheitsanforderungen und Bedürfnisse des Hotelbetriebs erfüllt und sich dennoch harmonisch in den Bestand einfügt?.

Das neue Geländer mit einem Stuhl davor, fotografiert aus einem Zimmer, ein Berg ist im Hintergrund
So sehen die neuen Gel?nder von innen aus. (Bild: Lais Hotz / ETH Zürich)
Die neue Struktur der Geländer als Nahaufnahme
Detailaufnahme des Gel?nders. (Bild: Lais Hotz / ETH Zürich)

?Basierend auf der Entwurfslogik des Alten haben wir die Balustraden neu interpretiert?, erg?nzt Fabio Gramazio. Für die Architekturprofessur Gramazio Kohler Research, die vorwiegend mit digitalen Entwurfstechnologien arbeitet, war die Arbeit an einem geschützten Objekt neu – und entsprechend spannend. 

Unz?hlige Versionen geprüft

Wie lassen sich die Balustraden ersetzen, ohne den einzigartigen und reizvollen Charakter des historischen Geb?udes zu beeintr?chtigen? Und wie lassen sich digitale Technologien in ein bestehendes Handwerk und in Betriebsabl?ufe integrieren? Diese Fragen stellten sich die Forschenden. 

Wie beim digitalen Entwurf üblich entwickelten sie ein parametrisches Modell. Ein solcher Entwurf passt sich st?ndig an unterschiedliche Masse oder Verl?ufe an. ?Wir testeten verschiedene Versionen virtuell und besprachen sie immer wieder mit allen Beteiligten?, sagt Matthias Kohler. ?So kamen wir zum Entscheid, wie das neue Gel?nder aussehen soll und wie es sich m?glichst einfach herstellen l?sst. 

Augmented Reality in der Alpengemeinde

Den Projektbeteiligten war es wichtig, dass ein lokaler Betrieb die Holzbalustraden fertigt. Die Zimmerleute des Holzbauunternehmens Künzli Davos AG erhielten dabei Unterstützung vom ETH Spin-off Incon.ai. Mit dessen Augmented-Reality-Technologie konnten sie die einzelnen Elemente einfacher herstellen: An der Decke der Werkstatt in Davos hing ein Beamer, der das 3D-Modell der einzelnen Gel?nderelemente auf die Werkfl?che darunter projizierte. Dies zeigte den Handwerker:innen an, wo welches Teil hinkommt und wie sie sie zusammensetzen sollen. 

?Das ist eine grundlegende Ver?nderung der Art und Weise, wie man baut?, sagt Matthias Kohler. ?Die visuellen Techniken ersetzen quasi den Doppelmeter. Beim klassischen Konstruieren pendelt man st?ndig zwischen dem an einer Wand aufgeh?ngten Plan und dem Werk hin und her und misst und überprüft. Mit Augmented Reality liegt die Planung dreidimensional vor einem auf dem Tisch.?

Diese Art zu Arbeiten wirke sich auch stark auf den Entwurf aus, erkl?rt Kohler. ?Da stellen sich einem andere Fragen. Wann muss man welche Daten wie sehen, damit man mit digitalen Hilfsmitteln bauen kann? Was kann der Mensch dazu beitragen und welche Informationen braucht es in dem Plan?? 

Bei der Ausführung unterstützen sich Mensch und Technologie gegenseitig. Das Digitalmodell zeige dem Handwerker oder der Handwerkerin, welche Holzleiste wohin kommt und auf welcher Ebene sie liegen muss. Der Mensch hingegen bringe seine Fingerfertigkeiten und Intuition in den Prozess ein. Der Professor betont, dass das Digitale den Menschen nicht dominiere. ?Im Gegenteil: Der Mensch hat die Kontrolle über den ganzen Prozess.?

Subtiles Muster

Auf den ersten Blick sehen die neu gefertigten Balustraden identisch aus, sagt Gramazio, doch gebe es kleinste Abweichungen, die sich einem erst auf den zweiten Blick er?ffnen. Die neue Balustrade spielt damit, dass sich die einzelnen Holzlatten an manchen Stellen etwas mehr ?ffnen und an anderen Orten dichter eingewebt sind. Dies erzeugt ein reizvolles Muster. 

Es geht aber nicht allein um die Optik, sondern hat auch praktische Gründe: Früher lagen die Sanatoriumsg?ste zur Liegekur in ihren Loggien. Sie konnten durch die luftigen Balustraden hindurchschauen, von unten hingegen konnte man sie, weil sie lagen, nicht sehen. Das ?nderte sich mit der Nutzung als Hotel: Die Balkone waren von unten gut einsehbar. Die neuen Gel?nder sind nun unten dichter als oben und bieten dadurch mehr Privatsph?re. Darüber hinaus ist ?berklettern jetzt nicht mehr m?glich. Damit wird eine weitere Sicherheitsanforderung erfüllt.

Unterstützung des Bündner Denkmalpflegers

Auch wenn einige Hotelg?ste gar nicht bemerkten, dass die Balustraden ersetzt wurden: Es ist ein deutlicher Eingriff in die Gestaltung eines wichtigen Baudenkmals, das ist den Forschenden bewusst. Deshalb bezogen sie von Anfang an den Denkmalpfleger des Kantons Graubünden mit ein. Dieser unterstützte die Idee mit den neuen Gel?ndern – auch deshalb, weil in den zwei seitlichen Liegehallen, die nur für das Personal zug?nglich sind, die Originalgel?nder erhalten bleiben. Die Ver?nderungsgeschichte bleibt somit ablesbar.

Dieses Bild zeigt die neuen Balkongeländer, einer wird gerade von zwei Männern installiert. Nebenan ist noch ein älterer, dieser ist viel kleiner
Einbau der neuen Balustraden beim Hotel Schatzalp. Rechts im Bild ist noch ein altes Holzgel?nder zu sehen. (Bild: Girts Apskalns / ETH Zürich)

Die Neuinterpretation werde für Diskussionen sorgen, da sind sich alle einig. ?Aber das sind sehr gesunde Diskussionen, sagt Gramazio. ?Wir sehen das Projekt als wichtigen Beitrag zum Thema Weiterbauen. Es handelt sich um einen subtilen Eingriff, der gleichzeitig respektvoll ist, aber auch ganz klar zeigt, dass es weitergeht.?

Einfach zu warten und zu reparieren

Im Gegensatz zu den alten Balustraden werden sich die neuen einfach warten und reparieren lassen. Sowohl die Balustraden selbst als auch die einzelnen Elemente k?nnen abgebaut, repariert oder ausgetauscht werden, ohne dass andere Teile ersetzt werden müssen. M?glich machen dies Schraubverbindungen und die Vermeidung von Klebemitteln.

?Die Schatzalp war von Anfang an ihrer Zeit voraus?, betont Langenberg. Das 1900 als Luxus-Sanatorium er?ffnete Geb?ude verfügte schon immer über neuste Technik und war von der ersten Stunde an elektrifiziert. So gab es zum Beispiel W?rmetische in den Speiseaufzügen, Badewannen mit beheizbarem Rand oder damals schon Anschluss an das schweizerische Telefon- und Telegrafennetz. Auch vor diesem Hintergrund passen die neuen Balustraden zum Haus, sagt Langenberg. ?Die neuen Balustraden fügen sich sehr selbstverst?ndlich in den Bestand ein. Sie nehmen Bezug zur ursprünglichen Gestaltung und Geschichte des Hauses, erz?hlen sie aber weiter.?

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