
Patrick Rühs, sind prozessierte Lebensmittel ungesund?
Die industrielle Lebensmittelverarbeitung steht oft in der Kritik – zu Unrecht, sagt Patrick Rühs. Denn viele Verarbeitungsschritte machen Lebensmittel bek?mmlicher und gesünder.
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Prozessiert bedeutet nichts anderes als verarbeitet. Die meisten Lebensmittel sind verarbeitet – gemahlen, pasteurisiert, fermentiert. Wir m?chten keinen unverarbeiteten Weizen essen, sondern Brot. Brot, Joghurt, K?se und Rohwürste wie Salami werden ausserdem alle mit Pilz- oder Bakterienkulturen fermentiert. Die Fermentation ist eine der ?ltesten Techniken zur Lebensmittelverarbeitung und macht die Lebensmittel besser haltbar, verdaulich und aromatischer. Sauerteigbrot gilt als besonders gesundes Nahrungsmittel: Durch die Fermentation mit Milchs?urebakterien werden Mikron?hrstoffe für den K?rper besser verfügbar.
Die Verarbeitung macht Lebensmittel also nicht ungesund, sondern ganz im Gegenteil bek?mmlicher und in sehr vielen F?llen gesünder. Und noch mehr: Es ist essenziell, Lebensmittel zu verarbeiten und sie damit sicher und haltbar zu machen. Immer wieder kommt es beispielsweise zu Krankheits- und sogar Todesf?llen, weil Menschen Rohmilch getrunken haben.
Der Experte
Patrick Rühs ist Professor für Lebensmittelstruktur-Verfahrenstechnik am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich.
Dennoch glauben viele Leute leider, dass ein Lebensmittel umso ungesünder ist, je st?rker es verarbeitet wurde. In den Medien wird dazu oft eine Studie von Wissenschaftlern aus Frankreich und Brasilien aus dem Jahr 20191 zitiert. In dieser untersuchten die Forschenden das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und legten den Schluss nahe, dass jegliche Verarbeitungsschritte ungesund seien.
Doch viele Fachleute aus der Lebensmittel- und Ern?hrungswissenschaft kritisieren die Studie aus mehreren Gründen. Einer davon ist, dass die Autorinnen und Autoren die Lebensmittel auf teilweise unklare und inkonsequente Weise klassifizierten. Ern?hrungsphysiologisch identisches Brot wird in der Studie beispielsweise als stark verarbeitet klassifiziert, wenn es industriell hergestellt wurde, aber als wenig verarbeitet, wenn es zuhause gebacken wurde. Und sehr viele verarbeitete Produkte wurden zusammen mit den bekanntermassen ungesunden Süssgetr?nken in eine Kategorie eingeteilt. Dies ist ein wichtiger Grund, warum verarbeitete Produkte in der Studie schlecht wegkommen.
Ein negativer Zusammenhang zwischen dem Grad der Verarbeitung und der Gesundheit eines Lebensmittels l?sst sich mit wissenschaftlich sauber durchgeführten Studien jedenfalls nicht erh?rten. Den Begriff ?hochverarbeitete Lebensmittel? lehnen ich und viele andere Lebensmittelwissenschaftler ab, da der Begriff einen solchen Zusammenhang suggeriert und falsche Ern?hrungsanreize schafft.
Nicht die Verarbeitung macht ein Lebensmittel ungesund. Und auch bei der in der Gesellschaft verbreiteten Annahme, je mehr Zusatzstoffe ein Produkt habe, desto ungesünder sei es, muss man vorsichtig sein. Butter enth?lt zum Beispiel überhaupt keine Zusatzstoffe, ist aber alles andere als gesund. Umgekehrt ist Babynahrung – ein industriell hergestelltes Produkt mit vielen lebensnotwendigen Zusatzstoffen – essenziell für die Gesundheit vieler S?uglinge.
Food Day 2025

Verarbeitete Lebensmittel sind auch Thema am Food Day, der am 29. Oktober 2025 unter dem Motto ?Planting Healthier Nutrition? an der ETH Zürich stattfinden wird. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik diskutieren, wie Landwirtschaft, Lebensmittelbranche und Forschung gemeinsam Wege zu gesünderen und nachhaltigeren Ern?hrungssystemen finden k?nnen. Der Anlass richtet sich an Fachleute und alle, die sich für die Zukunft unserer Ern?hrung interessieren. Veranstaltungssprache ist Englisch.
Weitere Informationen und Anmeldung auf der Website des Food Day 2025
Ob eine Ern?hrung gesund ist, h?ngt prim?r von den enthaltenen N?hrstoffen ab und davon, ob sie vom K?rper aufgenommen werden k?nnen. Ausserdem sind die Menge, Vielfalt und Qualit?t von Lebensmitteln massgebend.
Lebensmittel zu verarbeiten ist nicht nur wichtig, sondern hat auch grosse Zukunft. Gerade bei pflanzenbasierten Lebensmitteln spielt die Verarbeitung eine Schlüsselrolle.2 In den Lebensmittelwissenschaften erforschen wir derzeit intensiv, wie wir die Fermentation – zum Beispiel mit Pilzkulturen – verst?rkt einsetzen k?nnen, um Hülsenfrüchte in gut verdauliche Nahrungsmittel mit gut verfügbaren N?hrstoffen zu verwandeln.
Vom ?Zukunftsblog? zu ?Perspektiven?
Der Zukunftsblog erhielt ein Fresh-up und heisst neu Perspektiven. Auf der Autor:innen-Plattform der ETH Zürich beantworten Expertinnen und Experten der Hochschule gesellschaftsrelevante Fragen und ordnen aktuelle Themen ein.
Das Redaktionsteam freut sich über Themenideen und Anregungen unter
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Referenzen
1 Srour B, Fezeu LK, Kesse-Guyot E, Allès B, Méjean C, Andrianasolo RM, Chazelas E, Deschasaux M, Hercberg S, Galan P, Monteiro CA, Julia C, Touvier M: Ultra-processed food intake and risk of cardiovascular disease: prospective cohort study (NutriNet-Santé). BMJ 2019, doi: externe Seite 10.1136/bmj.l1451
2 Germerdonk T, Bach A, Marangoni AG, Mishra K, Rühs PA: Unrefined plant raw materials are key to nutritious food, Nature Food 2025, doi: externe Seite 10.1038/s43016-025-01195-y