Gibt es in Zellen eine Instanz, die darüber entscheidet, welchen Weg eine Zelle einschl?gt? Ja, und zwar in Form von Zusammenballungen von Molekülen innerhalb einer Zelle. Dies zeigen Forschende der ETH Zürich in einer neuen Studie.?
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare

In Kürze
Alle Zellen – von der S?ugetierzelle bis zur Mikrobe – k?nnen verschiedene Wege einschlagen: Wachstum, Teilung, Spezialisierung oder Alterung und Tod.
Die Entscheidung, in welche Richtung es geht, h?ngt von bestimmten Molekülansammlungen innerhalb der Zellen ab.
Neue Erkenntnisse von Forschenden der ETH Zürich k?nnten helfen, Zellentscheidungen bei Krankheiten wie Krebs gezielt zu beeinflussen.
Eine Zelle kann erstaunlich komplex handeln und muss dazu die entsprechenden Entscheidungen treffen: Die Zelle kann wachsen und sich vermehren, eine Zeit lang ruhen, sich spezialisieren oder altern und sterben. Dies gilt nicht nur für die Zellen von S?ugetieren, sondern auch für scheinbar einfach gestrickte Mikroben.
Die Zellen treffen ihre Entscheidungen nicht nur aufgrund von Signalen von aussen, sondern auch nach Hinweisen aus ihrem Innern – etwa wie alt sie sind oder wie viel Energie ihnen zur Verfügung steht. Damit den Zellen alle internen Informationen vorliegen, kommen Moleküle aus der gesamten Zelle an einem Ort zusammen und bilden Ansammlungen, die unterschiedliche Konsistenzen haben k?nnen. Sie k?nnen flüssig, gelartig oder fest sein. Kondensate nennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese zellul?ren Versammlungsorte der Informationsmoleküle.
Klümpchen für Entscheidungsfindung
Wie sich diese Kondensate genau bilden und wie der zellul?re Informationsaustausch genau funktioniert, war bislang unklar. Forschende der ETH Zürich um den Biologieprofessor Yves Barral haben nun genau das bei Hefezellen herausgefunden. Ihre Studie ist soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Molecular Cell erschienen.
Um zu verstehen, wie diese Molekülansammlungen die Entscheidungen der Hefezellen beeinflussen, konzentrierten sich die Forschenden auf die Zellalterung. ?Das Altern von Zellen kann unabh?ngig von ihrer Umgebung stattfinden, daher eignet es sich gut für diese Untersuchung?, erkl?rt Tom Peskett, Postdoc in Barrals Gruppe und Erstautor der Studie.
Zwei Kondensate müssen wechselwirken
Mit Methoden der Mikrofluidik, bei der kleinste Mengen Flüssigkeit untersucht werden, fingen er und seine Kolleg:innen einzelne Hefezellen ein. Mit einem Lichtmikroskop beobachteten sie dann, wie sich die Zellen teilten und mit jeder Teilung ?lter wurden, bis sie nach drei bis vier Tagen starben. Dabei bemerkten die Forschenden, dass sich mit zunehmendem Alter bestimmte Proteinkondensate – sogenannte P-Bodies und Whi3-Kondensate – im Inneren der Zellen bildeten.
Um bei den Zellen den Alterungsprozess zu starten, wirken die beiden Kondensate zusammen, wie die Forschenden zeigen konnten. Die Kondensate binden RNA-Moleküle und unterdrücken die Produktion von Proteinen, die am Zellteilungszyklus beteiligt sind. ?Wenn wir aber die Bildung eines der beiden Kondensate verhindern, altern die Zellen nicht mehr. Dadurch leben sie l?nger und durchlaufen mehr Teilungen?, erkl?rt Peskett.
Um die Bedeutung der Wechselwirkung der Kondensate zu untersuchen, l?sten die ETH-Biolog:innen die Bildung von Whi3-Kondensaten künstlich aus. Dies führte dazu, dass die Zellen früher als üblich zu altern begannen. ?Das zeigt deutlich: Die Proteinaggregate beeinflussen die Entscheidung der Zelle, in Rente zu gehen und sich ihrem Lebensende zu n?hern?, sagt ETH-Professor Yves Barral. Dieser Trick funktionierte jedoch nur in Zellen, die beide Kondensate, also Whi3-Kondensate und P-Bodies, enthielten. ?Die Wechselwirkung zwischen den beiden Kondensaten ist also entscheidend?, folgert Barral.
Aktiver Entscheid gegen Paarung
Die Kondensate führten auch zur Entscheidung, Paarungsversuche abzubrechen. Junge Hefezellen paaren sich, indem sie einander mit bestimmten Lockstoffen (Pheromonen) Signale senden. Sobald sie einander wahrnehmen, beschliessen sie, sich nicht mehr zu teilen, sondern Paarungsforts?tze auszubilden, um mit einer anderen Hefezelle zu verschmelzen. Bisher nahm die Forschung an, dass alte Hefezellen steril sind und nicht auf Pheromone m?glicher Paarungspartner reagieren.
Die Forschenden der ETH haben jedoch festgestellt, dass alte Zellen sehr wohl auf Pheromone reagieren. Sie entscheiden sich jedoch sehr schnell, ihre Paarungsversuche abzubrechen. ?Diese Entscheidung ist auf die Kondensate zurückzuführen. Verhindern wir deren Bildung, reagieren auch die alten Zellen wie die jungen auf Pheromone?, betont Barral.
Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass dieses Netzwerk von Kondensaten zwei sehr unterschiedliche Entscheidungen steuert: den Zellzyklus zu beenden und die Paarung im hohen Alter zu vermeiden. ?Kondensate sind wie eine Art zellul?res ?Gehirn?, das es der Zelle erm?glicht, ihr Alter oder die Anwesenheit potenzieller Paarungspartner zu bewerten, um ihr Verhalten entsprechend anzupassen?, erkl?rt Barral.
Die Ergebnisse zeigen ausserdem, dass Kondensate und ihre Wechselwirkungen erkl?ren, wie Moleküle aus der gesamten Zelle zusammenkommen, um wichtige Informationen auszutauschen. ?Es ist, als würden sie sich zu molekularen Komitees organisieren, die die Entscheidungen der Zelle steuern?, erg?nzt Peskett.
Entscheidungen medikament?s ver?ndern
Viele Zellen treffen Entscheidungen, die für uns als Individuen nachteilig sind: Krebszellen beschliessen, sich schnell zu vermehren. Bakterien entscheiden sich, in einen Ruhezustand zu gehen, wenn sie mit Antibiotika in Kontakt kommen. Und sie wachen wieder auf, um den Menschen erneut zu infizieren. Unsere Stammzellen stellen mit zunehmendem Alter die Produktion neuer Zellen ein, sodass Verletzungen nicht mehr so schnell heilen.
?Die Erkenntnisse bieten einen neuen Ansatz, um solche Entscheidungen zu ?ndern. Es ist jedoch weitere Forschung n?tig, um beispielsweise Medikamente zu entwickeln, die speziell auf Kondensate abzielen, damit dieses Wissen dereinst klinisch anwendbar werden soll?, betont Barral.
Literaturhinweis
Peskett TR, Farcas AM, Lee SS, Barral Y: A network of P-body and Whi3 condensates adjusts cell fate decisions to cellular context, Molecular Cell 2025 Oct 2;85(19):3661-3676.e8. doi: externe Seite 10.1016/j.molcel.2025.09.001