Vergessener Hafer aus den Alpen kehrt in die Forschung zurück
Jahrzehntelang war die Hafersorte ?Hative des Alpes? verschollen. Nun finden seine Erbgutinformationen Eingang in den ersten Gen-Atlas über Hafer – und tragen dazu bei, dereinst neue Hafersorten zu züchten.?
In Kürze
Ein Forschungskonsortium hat das Erbgut von über 30 Hafersorten entschlüsselt und die Gene in einer Datenbank zusammengeführt.
Forschende der ETH Zürich trugen das Genom der alten, seit Jahrzehnten verschollenen Schweizer Sorte ?Hative des Alpes? zum Atlas bei.
Der Gen-Atlas zeigt, welche Gene in Hafer universell sind und welche nur bei einzelnen Sorten vorkommen. Dieses Wissen erleichtert die Züchtung neuer Sorten.
Hafer erlebt derzeit eine Renaissance und wird auf dem Teller (oder in der Müslischale) immer wichtiger. Kein Wunder: Hafer ist eine gute pflanzliche Proteinquelle. Er enth?lt viele Ballaststoffe, die den Blutzucker stabilisieren und den Cholesterinspiegel senken sowie lebenswichtige N?hrstoffe wie verschiedene B-Vitamine. Haferdrink ist ein zunehmend beliebter Ersatz für Kuhmilch – sogar in Baristaqualit?t zum Aufsch?umen.
Um die vielen Vorzüge von Hafer besser einsch?tzen und nutzen zu k?nnen, hat jetzt ein internationales Forschungsteam die Erbgutinformationen und alle Gene von 30 verschiedenen Hafersorten in einer einzigen Datenbank zusammengefasst. Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature erschienen.
Die Forschung nennt einen solchen Gen-Atlas ?Pangenom?. Die Projektleitung beim Erstellen des Hafer-Gen-Atlasses hatte das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, Deutschland. Diese Institution hat bereits von der Gerste ein Pangenom aufgebaut.
Genom einer alten Hafersorte eingeflossen
Am Hafer-Pangenom beteiligt sind auch Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung der ETH Zürich, und seine Gruppe. Sie haben das Genom der Sorte ?Hative des Alpes? Baustein für Baustein analysiert und in den Atlas eingespeist.
?Hative des Alpes? ist eine vergessene Sorte aus den Schweizer Alpen, die zwischen 1910 und 1930 hierzulande weit verbreitet angebaut wurde. 1925 wurde Saatgut an das Vavilov-Institut in St. Petersburg zur Aufbewahrung übergeben. Zwar bauten Schweizer Bauern diesen Hafer noch bis Anfang des Zweiten Weltkrieg in den Voralpen an. Doch dann verschwand die Sorte vollst?ndig und spurlos von den ?ckern.
Bis 2012. Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, erhielt vom Vavilov-Institut Saatgut zurück. Agroscope prüfte die Keimf?higkeit und begann, ?Hative des Alpes? zu vermehren. Von dieser ?Nachzucht? hat Studer Saatgut für weitere Untersuchungen erhalten.
Unter standardisierten Bedingungen zogen die Forschenden die Pflanzen an und isolierten aus ihnen die DNA- und RNA-Moleküle. Schliesslich entschlüsselten sie alle Gene und analysierten, welche davon in welchen Pflanzenteilen – Wurzeln, Bl?tter oder Blüten – aktiv waren.
Vergleichen und ausw?hlen
Das Pangenom umfasst zum einen die Kern-Gene eines Organismus, also jene Gene, die unabh?ngig von der Sorte oder Herkunft bei allen untersuchten Pflanzen gleich sind. Zum anderen enth?lt ein solcher Gen-Atlas auch einen Satz von Genen, die spezifisch sind für nur eine oder wenige Sorten und Variet?ten.
?Die spezifischen Gene k?nnen für die Züchtung interessant sein?, erkl?rt Studer. So verfüge die Sorte ?Hative des Alpes? über Gene, die den Pflanzen Resistenz gegen bestimmte Krankheiten verleihen oder sie besonders für den Anbau im Alpenraum geeignet machen. ?Kennt man diese Gene und weiss, was sie bewirken, kann man sie gezielt in eine andere Sorte einkreuzen?, erkl?rt der ETH-Professor. ?Pangenome sind daher nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die Züchtung von neuen Sorten nützlich.?
Studer ist eigentlich spezialisiert auf Futtergr?ser, also Viehfutter. Warum arbeitet er pl?tzlich mit Hafer? ?Auch Hafer ist ein Gras, allerdings eines, das für die menschliche Ern?hrung interessant ist. Das und die alte vergessene Sorte haben mich gereizt, an dem Projekt mitzuarbeiten. Man k?nnte auch sagen, der Hafer habe mich gestochen?, erz?hlt er schmunzelnd.
Mit Hafer Landwirtschaft diversifizieren
Auch wenn Hafer immer wichtiger wird, spielt er in der heutigen Landwirtschaft noch eine untergeordnete Rolle. Denn er ist weniger ertragreich als Weizen. In den wichtigen Weizenanbaugebieten auf Hafer umzustellen, ist daher kaum eine Option. ?Hafer k?nnte aber bei der Diversifikation von Landwirtschaftsbetrieben in den kühlen und eher regnerischen Voralpen künftig wieder eine gr?ssere Rolle spielen?, sagt Studer. Im Gegensatz zu Weizen gedeiht Hafer dort. Heute ist dort typisches Grasland, das überwiegend für Milch- und Fleischproduktion genutzt wird. Ausserdem ist Hafer gegen gewisse Pilze resistent, die dem Weizen schaden.
Studer sieht grosses Potenzial, das Pangenom-Konzept auch auf andere, züchterisch bislang weniger bearbeitete Pflanzenarten zu übertragen. ?Gerade dort lassen sich mit solchen Methoden der modernen Pflanzenzüchtung in kurzer Zeit grosse Zuchtfortschritte erzielen und diese an einen wirtschaftlichen Anbau in der Schweiz heranführen. Das erh?ht die Agrobiodiversit?t und bereichert unseren Menüplan.?
Literaturhinweis
Avni R et al.: A pangenome and pantranscriptome of hexaploid oat. Nature 2025, doi: externe Seite 10.1038/s41586-025-09676-7