Ursula Keller, Professorin für Physik an der ETH Zürich, h?lt am Montag, 15. Dezember 2025, ihre Abschiedsvorlesung. Ihr Vortrag mit dem Titel ?Ultraschnelle Wissenschaft: Eine 32-j?hrige Reise durch die Physik an der ETH Zürich? markiert das Ende von mehr als drei Jahrzehnten an der Spitze der ultraschnellen Laserwissenschaft – einem Gebiet, das sie von Grund auf mit aufgebaut hat.?
Als Ursula Keller 1993 die erste Frau wurde, die eine unbefristete Professur für Physik an der ETH Zürich erhielt, machte sie sich daran, die Grenzen der Lasertechnologie neu abzustecken, Lichtimpulse immer kürzer und stabiler zu machen und damit die verborgenen Dynamiken der Quantenwelt aufzudecken. Ihre bahnbrechende Erfindung der s?ttigbaren Absorberspiegel aus Halbleitermaterial (SESAMs) revolutionierte die Festk?rperlaser. Ultrakurze ?Femtosekunden?-Impulse – die nur eine Millionstel Milliardstel Sekunde dauern – avancierten bald zu Standardwerkzeugen in Laboren und in der Industrie. Ihre Gruppe kann eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz erfolgreicher ETH-Spin-Offs vorweisen. Das jüngste, K2 Photonics, schloss seine Ausgründungsphase gerade zum Zeitpunkt von Kellers Pensionierung ab.
Die Grenzen des Lichts werden neu abgesteckt
Um noch kürzere Impulse zu erreichen – mit einer Dauer von fast nur einem einzigen Lichtzyklus – stellte sich ihr Team einer der h?rtesten Herausforderungen in der Ultrakurzwellenforschung: der Steuerung des elektrischen Feldes innerhalb eines jeden Impulses. Ihr Durchbruch erm?glichte die sogenannte ?Frequenzkamm?-Revolution in der Pr?zisionsmessung und ebnete den Weg für die ersten Attosekundenimpulse, mit denen die Bewegung von Elektronen in Echtzeit erfasst werden kann.
Im Weiteren entwickelte Kellers Gruppe die Attoclock, eine Methode zur Messung der Zeit, die ein Elektron ben?tigt, um eine Potentialbarriere zu durchqueren, sowie die Attoline, die erste Anlage zur Erzeugung hoher Harmonischer in der Schweiz. Mit diesen Werkzeugen k?nnen Forscher die Bewegung von Elektronen im Attosekundenbereich – Milliardstel von Milliardstel Sekunden – beobachten. Die Attoline wird im FastLab verbleiben, einer gemeinsamen Forschungsplattform innerhalb des Departement Physik der ETH Zürich.
Die letzte Arbeit der Gruppe vor ihrer Pensionierung, die Ende Oktober von der Fachzeitschrift ?Science? angenommen wurde, zeigte auf, wie Elektronen und Atome asynchron tanzen k?nnen. Sie zeigte, dass Ladungstr?ger und Energie in neuartigen zweidimensionalen, übergangsmetallhaltigen Materialien unterschiedlich fliessen. In diesen Systemen brechen die N?herungen der effektiven Masse und der momentanen Elektron-Phonon-Kopplung zusammen, was wichtige Auswirkungen auf zukünftige optoelektronische Schaltelemente hat.
Kellers Gruppe trug dazu bei, die ETH Zürich als globales Zentrum für Ultrakurzpuls-Wissenschaft zu etablieren. Ihr 2022 erschienenes Lehrbuch ?Ultrafast Lasers? – eine 800-seitige Zusammenfassung von drei Jahrzehnten Fortschritt – hat sich bereits als massgebliches Nachschlagewerk für Studierende und Forschende weltweit etabliert.
Von der Schweiz nach Stanford und zurück
Mit einem Abschluss der ETH Zürich, einem Fulbright-Stipendium und einem Doktortitel von Stanford begann Keller ihre unabh?ngige Forschungskarriere bei AT&T Bell Labs, bevor sie in die Schweiz zurückkehrte, um die neu gegründete Gruppe für Ultrafast Laser Physics an der ETH Zürich zu leiten. ?Die ETH gibt einem akademisches Risikokapital?, wie sie einmal anmerkte – die Freiheit und die Ressourcen, um mutige Ideen schnell zu testen. Diese Denkweise half ihr dabei, 101 Doktorarbeiten und sechs Habilitationen zu betreuen, deren Autoren heute vielfach führende Positionen in der Wissenschaft und in Hightech-Unternehmen auf der ganzen Welt innehaben.
Ihre Forschungsleistung umfasst über 500 begutachtete Artikel, 21 Patente und zwei ERC Advanced Grants. Ursula Keller ist eine der meistzitierten Wissenschaftlerinnen der Schweiz und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Marcel-Benoist-Preis (2022), die IEEE Edison Medal, die OPTICA Ives Medal und den Europ?ischen Erfinderpreis für ihr Lebenswerk. Keller ist Mitglied der Royal Society in London und der US-amerikanischen National Academy of Sciences.
Wissenschaft, Governance und Inklusion
?ber ihre wissenschaftlichen Leistungen hinaus hat Keller auch die Selbstverwaltung der Schweizer Wissenschaft entscheidend mitgepr?gt. Von 2010 bis 2022 leitete sie 12 Jahre lang das NCCR MUST (National Centre of Competence in Research for Molecular Ultrafast Science and Technology), war Mitglied des Forschungsrats des SNF und Mitbegründerin des ETH Women Professors Forum, das sich für Transparenz, Exzellenz und Chancengleichheit in der Wissenschaft einsetzt.
Ihre Führungsphilosophie, die einst von den strengen Anforderungen der Bell Labs gepr?gt war, entwickelte sich, in ihren Worten, zu einem sogenannten Multiplikatorstil: Sie setzte ehrgeizige Ziele und schuf gleichzeitig ein Umfeld, das andere zu H?chstleistungen bef?higt. Dieser Ansatz hat nicht nur zu wissenschaftlichen Leistungen von Weltrang geführt, sondern auch zu einer Kultur der Zusammenarbeit und des Vertrauens.
Das Verm?chtnis des Lichts
Kolleginnen und Kollegen beschreiben Keller als vision?r, pr?zise und furchtlos, wenn es darum geht, schwierige Fragen zu stellen – Eigenschaften, die ihr geholfen haben, sowohl die Technologie als auch Institutionen voranzubringen. Ihre Kombination aus technischer Meisterschaft, strategischem Weitblick und Integrit?t hat die ETH Zürich und die gesamte Photonik-Community nachhaltig gepr?gt.
Abschiedsvorlesung
?Ultraschnelle Wissenschaft: Eine 32-j?hrige Reise durch die Physik an der ETH Zürich?
Montag, 15. Dezember 2025, 17.15 Uhr, Audi Max (HG F 30)
Vortrag in englischer Sprache, anschliessend Apéro. Offen für die ?ffentlichkeit.