Daniela Zetti, wie wird das Jahr 2025 in die Geschichte eingehen?
Die Leiterin des Archivs für Zeitgeschichte?der ETH Zürich?denkt darüber nach,?wie?Ereignisse??historisch??werden?und kommt dabei für 2025 zu überraschenden Schlüssen.?
Die Frage nach den wichtigsten Ereignissen und Entwicklungen eines sich zu Ende neigenden Jahres enth?lt einen interessanten Twist: Sie ist zugleich ein Blick in die Zukunft. Wie ?die Geschichte? über das Jahr 2025 urteilen wird, l?sst sich im Dezember nur schwer absch?tzen. Zu viele Prozesse sind noch im Gang, zu viele Akteur:innen verhandeln weiter darüber, was als historisch gelten soll.
Aber es gibt ?spontane? Indizien, ob ein Geschehnis historisch genannt wird. Als Miterlebende beobachten wir manchmal sogar, wie dieses ?in real time? eingeordnet wird. ?Wo warst du, als…?? etwa ist eine Frage, die zeigt, wie wir uns den Lauf der Zeit vorstellen und wie wir versuchen, Geschehnisse dort einzuordnen. Um ein Beispiel zu nennen, das einige Jahre zurückliegt, das aber schnell als historisch erkannt wurde: Viele wissen, wann und wo sie von 9/11 h?rten. Damit werden weit entfernte Ereignisse lokal verortet und erfahren. Sie fügen sich in unseren Alltag ein.
Die Expertin
Daniela Zetti ist Historikerin und hat im November die Leitung des Archivs für Zeitgeschichte übernommen. Als Ausgleich zu ihrer Dissertation, die sie am D-GESS über die Entstehung des bundesdeutschen Fernsehens in der Nachkriegszeit geschrieben hat, stand sie im Tor des FC Blutgretchen – einem Fussballverein der alternativen Liga (FSFV) in Zürich.
Medien spielen in diesem Prozess eine zentrale Rolle. Bilder von historischen Ereignissen gehen ins kollektive Ged?chtnis ein. Man weiss, wie es aussah, als Neil Armstrong den Mond betreten hat, selbst wenn man 1969 noch nicht auf der Welt war und obwohl die Fernsehbilder verrauscht sind.
2025 nun war ein Jahr, in dem schnell von ?einzigartigen Situationen? die Rede war und sich Protagonist:innen so inszenierten, um ihre Handlungsmacht zu betonen. Die Szene, in der Elon Musk neben Donald Trump im Oval Office im Weissen Haus steht, hat zwar durchaus das Potenzial, ikonisch zu werden, aber vielleicht anders, als die zwei Beteiligten beabsichtigten. Wenn ich mich frage, ob es Ereignisse gab, die schon jetzt als ?historisch bedeutend? gehandelt werden, bleibe ich deshalb zurückhaltend. Das Besondere an 2025 ist vielleicht, dass unklar ist, wie nachhaltig diese Inszenierungen sind. Ob der Friede in Gaza oder die Zolltarife – bleibt das wirklich so?
Zwei Geschehnisse m?chte ich noch nennen, die das Potenzial haben, im Ged?chtnis zu bleiben. Der Felssturz in Blatten hat wochenlang bewegt – im Voraus, im Moment des Ereignisses und auch danach. Wie frühere Naturkatastrophen beeinflusste der Felssturz, wie wir Naturgefahren wahrnehmen. Es gelingt zwar, Natur pr?zise zu erfassen und entsprechend zu handeln, gleichzeitig ver?ndert sich diese Natur im Zuge des Klimawandels grundlegend.
Und schliesslich eine pers?nliche gef?rbte Erinnerung: Als die europ?ischen Frauennationalmannschaften in diesem Sommer in der Schweiz ?epochal? begeisternden Fussball spielten, war ich im Urlaub und konnte die Spiele nicht verfolgen. Ich bekam aber viele Nachrichten von Bekannten, die annahmen, ich w?re bestimmt ?da?. Aus der impliziten Frage ?Wo bist Du?? wurde schnell: ?Bist Du nicht da?!?. Es hat mich umso mehr gefreut, den Erfolg der Frauen-EM auf diesem Weg zu teilen.
Warten wir mal ab, was von 2025 bleibt.