«Die Quantenmechanik hat unser Denken auf den Kopf gestellt»
Am 10.?Dezember?nahmen drei Quantenforscher in Stockholm den?Nobelpreis?entgegen.?Gleichzeitig?feierte?das Forschungsgebiet der?Quantenmechanik?dieses Jahr den?hundertsten?Geburtstag. Im zweiteiligen Interview schaut ETH-Professor?Klaus Ensslin zurück auf die Anf?nge?und sagt, wohin sich die Technologie entwickeln wird.?
Der Physik-Nobelpreis wurde letzte Woche offiziell an drei Quantenwissenschaftler verliehen. Wie wichtig war ihre Arbeit für die Quantenforschung?
Klaus Ensslin: Die drei Forscher haben vor vierzig Jahren experimentell gezeigt, dass der quantenmechanische Tunneleffekt auch für makroskopische Objekte funktioniert, nicht nur für einzelne Teilchen wie Elektronen oder Protonen. Dies hat die generelle Frage aufgeworfen, wie gross ein System sein kann, damit es noch den Gesetzen der Quantenmechanik genügt. Und der Quantencomputer ist ein sehr grosses System, welches aus vielen Qubits bestehen wird, um eine sinnvolle Rechnung zu machen. Das war also eine sehr wichtige Entdeckung.
In diesem Jahr wurde nicht nur der Nobelpreis für Quantenforschung verliehen, 2025 wurde auch 100 Jahre Quantenmechanik gefeiert. Was geschah denn 1925?
Die Uno h?tte auch ein anderes Jahr w?hlen k?nnen. Aber 1925 passierte einfach besonders viel und es wurden zahlreiche wichtige Studien ver?ffentlicht. Aber es ist nicht so, dass es vorher keine Quantenmechanik gab und dass danach alles klar war. Bei der Quantenmechanik waren viele Forschende über einen l?ngeren Zeitraum involviert.
Die Prinzipien der Quantenmechanik scheinen auch nach all den Jahren Forschung immer noch vielen Menschen fremd. Woran liegt das?
Vielen Aussagen der Quantenmechanik begegnen wir im Alltag nicht. Zum Beispiel diesem Sowohl-als-auch: Wir Menschen k?nnen nicht gleichzeitig in Paris und in Zürich sein. Aber auf der mikroskopischen Ebene ist es m?glich, dass sich Objekte wie Elektronen oder Photonen an mehreren Orten gleichzeitig befinden. Auch Albert Einstein hielt dies seinerzeit übrigens für unm?glich. Seine Kritik trieb die Quantenforschung stark voran.
Dennoch dauerte es noch Jahrzehnte, bis man nachweisen konnte, dass zwei oder mehr verschr?nkte Teilchen auch über grosse Distanzen hinweg miteinander verbunden bleiben.
Ja, erst Ende der Siebziger Jahre fanden die ersten Experimente statt, die zeigten, dass es diese Nicht-Lokalit?t wirklich gibt. Mittlerweile wird das Experiment im Studierendenpraktikum gemacht. Zur Nicht-Lokalit?t gab es auch in der Schweiz wichtige Experimente. Diese führten ab den 2000er-Jahren zu ersten brauchbaren Anwendungen der Quantenkryptographie – etwa für abh?rsichere Verschlüsselungssysteme, die übrigens eine Genfer Firma erstmals auf den Markt brachte.
Der Quantencomputer soll dereinst Rechenprobleme viel schneller l?sen k?nnen als ein klassischer Computer. Wann wird dies Ihrer Ansicht nach der Fall sein?
Die Idee eines Quantencomputers ist fast 50 Jahre alt und und die prinzipiellen Ideen gehen auf den amerikanischen Physiker Richard Feynman zurück. Bereits Ende der Siebzigerjahre sagte er voraus, dass bestimmte Computer in Zukunft auf Quantenzust?nde setzen. Google hat bereits einen Quantencomputer, der Berechnungen durchführen kann, die auf herk?mmliche Weise nicht m?glich sind. Alle warten nun darauf, dass er irgendetwas rechnen kann, das für die Welt wichtig ist. Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren ein grosses Problem gel?st werden kann, welches wir im Moment nicht l?sen k?nnen.
An was für ein Problem denken Sie?
Es k?nnte zum Beispiel sein, dass die Struktur und die Energieniveaus eines komplizierten Moleküls ausgerechnet werden, welches für die Düngerherstellung wichtig ist. Die Düngerherstellung ist für mehrere Prozent des CO2-Austosses verantwortlich, und jede auch nur kleine Verbesserung würde enorme Konsequenzen haben.
Als Dateneinheit verwenden Quantencomputer Qubits. Diese k?nnen den Zustand 0 und 1 gleichzeitig annehmen. Das macht Quantencomputer für bestimmte Aufgaben extrem effizient. Qubits herzustellen ist aber sehr komplex. Wie viele sind bereits m?glich?
Forschende an Hochschulen k?nnen zurzeit zwischen 50 und 100 Qubits herstellen. Teams von gr?sseren Firmen sowie Start-ups arbeiten bereits mit etwa 1000 Qubits. Man sagt, um etwas Sinnvolles zu machen, brauche man circa eine Million Qubits. An der ETH Zürich forschen Kollegen wie Jonathan Home und Andreas Wallraff daran, wie sich mehr solcher Qubits herstellen und steuern lassen.
Wie will man es denn von hundert auf eine Million Qubits schaffen?
Es gibt zwar viele Ideen, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein anderer Ansatz ist, dass man versucht Probleme so formulieren, dass man schon mit 10'000 Qubits eine sinnvolle Antwort finden kann. Markus Reiher forscht an der ETH etwa daran, wie sich komplexe Probleme so reduzieren lassen, dass sie mit m?glichst einfachen Quantencomputern gel?st werden k?nnen. Beide Ans?tze, mehr Qubits herstellen und Probleme herunterzubrechen, machen Sinn. Und irgendwann trifft man sich dann in der Mitte.
Entscheidend ist aber auch das Tr?germaterial. Es bestimmt, wie stabil ein Qubit ist, wie leicht es sich kontrollieren l?sst, und wie gut es sich mit anderen Qubits verbinden l?sst. Wie haben sich denn die Materialien in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
Galliumarsenid, mit dem ich schon w?hrend meiner Doktorarbeit in den 80er Jahren arbeitete, galt damals als Material der Zukunft. Es ist noch heute das reinste Material, das wir kennen. Aber es ist problematisch für einen Quantencomputer, denn Gallium und Arsen haben Kernspins. Dadurch werden die Spins der Elektronen in der Hülle gest?rt und lassen sich schwer kontrollieren.
Dann kam Silizium als m?gliches Tr?germaterial auf. Silizium kann man erstens ohne Kernspins realisieren. Und zweitens weiss die Halbleiterbranche auf der ganzen Welt, wie man auf Silizium-Basis Milliarden von Transistoren herstellt. Das Material steckt ja in jedem Laptop. Es stellte sich aber heraus, dass das Ganze doch nicht so einfach ist.
Dann kam vor rund zwanzig Jahren Graphen auf. Unsere Forschungsgruppe hat frühzeitig Quantensysteme auf Graphen-Basis untersucht. Denn Graphen hat die ganzen Vorteile von Silizium, hat aber zus?tzlich eine weitere Quantenzahl, die man genau versteht und kontrollieren kann. Das ist die sogenannte Valley-Quantenzahl. Diese zeigt an, in welchem Energietal sich ein Elektron befindet. Bei Graphen k?nnen wir sie manipulieren, einschalten, ausschalten und so weiter. Bei Silizium hingegen spukt die Valley-Quantenzahl immer so rein, und man versucht sie zu umgehen und hat das nicht so im Griff. Wir versuchen nun, auf Graphen-Basis ein neuartiges Qubit zu bauen.
Wie weit sind Sie noch vom Ziel entfernt, das erste Graphen-Qubit herzustellen?
Wir sind weltweit nur ein paar wenige Gruppen, die an Qubits in Graphen forschen. Es sieht relativ einfach aus, wenn man es erkl?rt. Aber im Detail ist es dann eben doch nicht so simpel. 2017 hatte eine Doktorandin die entscheidende Idee, wie man mit einer zus?tzlichen Graphen-Elektrode einen aus- und einschaltbaren Einzel-Elektronen-Transistor realisieren kann. Erst diese aus heutiger Sicht einfache Idee brachte das Projekt zum Laufen. Seither k?nnen wir einzelne Elektronen gezielt einfangen. Wir verstehen den Spin-Zustand, den Ladungszustand und jetzt auch den Talzustand. Aber was wir noch nicht k?nnen, ist zwei wohldefinierte Zust?nde zusammenzubringen und sie koh?rent miteinander zu verschr?nken. Und das ist für ein Qubit n?tig. Die Messtechnik ist bekannt, das Messprozedere auch, und das Material haben wir im Griff. Aber die Realisierung dieser Ideen im Labor braucht l?nger als gedacht.
Was ist das Problem?
In der Experimentalphysik gibt es vieles, das schief gehen kann. Bei tiefen Temperaturen f?llt pl?tzlich ein Draht ab. Der Kryostat hat ein Leck. Oder jemand legt eine zu hohe Spannung an, die Probe geht kaputt. Das sind lauter Trivialit?ten, mit denen wir seit zwei Jahren k?mpfen. Im Prinzip wissen wir, wie es geht. Wir haben die Probe dazu, wir k?nnen das machen. Deswegen: Es kommt.
Woran arbeiten andere Quantenphysiker:innen der ETH Zürich?
Neben Kolleginnen und -kollegen wie Yiwen Chu, Jonathan Home und Andreas Wallraff, die alle mit verschiedenen Techniken Qubits weiterentwickeln, gibt es an der ETH auch Forschende wie Tilman Esslinger. Er stellt keine Qubits her, arbeitet aber an einem sogenannten Quantensimulator, der ganz andere Probleme l?sen kann. Christian Degen benutzt Quantensystem für ultra-sensitive Sensoren. Lukas Novotny untersucht echt makroskopische Objekte in ihrem quantenmechanischen Grundzustand. Renato Renner erforscht die Zusammenh?nge zwischen Relativit?tstheorie und Quantenmechanik. Marina Marinkovic wendet Quantenalgorithmen auf Probleme der Teilchenphysik an. Atac Imamoglu und Jerome Faist untersuchen die Wechselwirkung von Halbleiter-Quantensysteme mit Photonen. Es ist faszinierend, dass wir an der ETH fast die gesamte Bandbreite der Quantentechnologie abdecken: Die Breite der Forschungsthemen auf diesem Gebiet an der ETH Zürich ist weltweit einzigartig.
Wie wichtig ist denn die Zusammenarbeit in der Quantenforschung?
An der ETH erkannten wir zum Glück schon früh, dass wir beim Thema ?Quanten? zusammenspannen sollten, um weiterkommen. Bereits 2007 gründeten wir ein kleines Zentrum. Wir hatten ein sehr überschaubares Budget und konnten damit zwei, drei Doktorierende finanzieren für die rund zehn beteiligten Professuren. Aber die Zusammenarbeit, der Austausch mit anderen und eine gute Vernetzung sind essenziell, auch über die Hochschule hinaus. Das finde ich so grossartig an der modernen Physik: Früher arbeiteten meine Kolleg:innen in der Atomphysik, forschten an Ionenfallen oder besch?ftigten sich mit Halbleiter-Physik. Jetzt reden alle miteinander, weil wir eine ?hnliche physikalische Fragestellung beantworten, aber mit ganz anderen Methoden. Die Quantenforschung hat uns alle zusammengebracht.
Vor fünf Jahren nahm das Quantum Center der ETH Zürich seinen Betrieb auf – um Quantenforschende n?her zusammenbringen. Wie l?uft es?
Die Zusammenarbeit l?uft gut, und wir tauschen uns regelm?ssig aus. Neben vielen Physiker:innen sind im Quantum Center Elektrotechniker:innen und Maschinenbauer:innen vertreten. Auch in der Informatik gibt es viel Interesse an Quanten-Systemen. Die Informationswissenschaften sind bei der Arbeit am Quantencomputer essenziell. Es gibt neue Hardware, also braucht es auch neue Software. Was in der Schweiz, ja in ganz Europa fehlt, ist ausserdem ein Industriepartner, der in Quantencomputer investiert. Das machen bisher nur grosse Unternehmen aus China und den USA. Das ist schade.
Was m?chten Sie pers?nlich noch herausfinden?
Ich bin am Ende meiner Karriere. Gleichzeitig bin ich an einem grossen EU-Projekt beteiligt, das bis Mitte 2026 dauert. Bis dahin m?chte ich gerne ein Qubit auf Graphen-Basis realisieren. Ich hoffe natürlich, dass es ein sehr gutes Qubit sein wird.
Lesen Sie morgen im zweiten Teil, warum die Quantenmechanik bereits in zehn Jahren Mainstream sein soll und warum Klaus Ensslin sich insgeheim wünscht, dass mit der Quantenmechanik etwas grunds?tzlich nicht stimmt.