Architektin im Einsatz für die Berge

Franziska Biner ist im Bergdorf Zermatt aufgewachsen. Die ETH-Architektin hat eine steile politische Karriere hinter sich und setzt sich heute als Staatsr?tin für die Bev?lkerung der Berggebiete ein.

Franziska Birner steht auf einem Dorfplatz.
ETH-Alumna Franziska Biner: ?Nach dem Bergsturz habe ich keine Sekunde mehr daran gezweifelt, ob ich den richtigen Job mache.? (Bild: Jürg Waldmeier)

Dreieinhalb Wochen. So lange war Franziska Biner in ihrem neuen Amt als Staatsr?tin, als das Unglaubliche geschah: Am 28. Mai 2025 wurde das Walliser Bergdorf Blatten durch eine gewaltige Schutt- und Eislawine zerst?rt. Ab diesem Zeitpunkt begann ihr ?Leben am Limit?, wie Biner von sich selbst sagt, mit Arbeitstagen von fünf Uhr morgens bis in die Nacht hinein. Man k?nne Vorkehrungen treffen, um das Risiko für solche Extremereignisse zu reduzieren, und man k?nne nun den Wiederaufbau erm?glichen, sagt die ausgebildete Architektin. ?Aber wenn Berge zerfallen, sind wir machtlos. Ein Bergsturz in diesem Ausmass l?sst sich nicht aufhalten.?

Roboter auf Mission

Titelblatt Globe 25/04

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/04 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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Dieses Ausgeliefertsein an die Natur kennt Biner schon lange. Ihr Heimatdorf Zermatt ist immer wieder von der Aussenwelt abgeschnitten, auch die Schule bleibt schon mal wegen Schnee und Lawinengefahr geschlossen. Sie war oft mit ihren Grosseltern in den Bergen unterwegs, ihr Grossvater hatte Schafe, ihr Vater Ziegen. Die Berglandwirtschaft der Familie nahm viel Zeit in Anspruch, doch es blieb genug Raum für sie, um mit anderen Kindern im Schnee zu spielen und leidenschaftlich Sport zu treiben. Biner fuhr Skirennen, machte zusammen mit ihrem Vater, einem Bergführer, Schneetouren im Winter und hochalpine Touren im Sommer. Wenn man so oft in den Bergen unterwegs sei, s?he man, wie sich diese ver?ndern, man werde achtsamer und lerne, die Natur besser zu verstehen. ?Mein Grossvater konnte das Wetter immer genau vorhersagen und mein Vater muss als Bergführer Gefahren einsch?tzen k?nnen?, sagt die heute 39-J?hrige. Dieses Wissen werde von Generation zu Generation weitergegeben. 

Als Teenager muss sie ihre geliebte Heimat Zermatt verlassen, denn bereits in der Sekundarschule werden erste schulische und berufliche Weichen gestellt. Eine Berufsberatung ergab, dass sie eine gute Architektin sein k?nnte. ?Mein Lehrer sagte mir: ?Wenn du Architektin werden willst, musst du ans Gymnasium??, erz?hlt Biner. Also ging sie nach Brig aufs Internat. Der Start war schwierig, sie hatte Heimweh, vermisste den vielen Schnee und die nahen Berge. Am Ende des Gymnasiums realisierte sie, dass ihre Interessen und F?higkeiten doch sehr breit gef?chert waren. Sollte sie besser Mathematik studieren? Oder doch lieber Soziologie oder Geografie? Die Wahl fiel ihr schwer – bis ihr eine Studienbroschüre in die H?nde fiel: ?Ich war schon immer kreativ, da sah ich, dass man im Architekturstudium Modelle bauen kann.? Die Kombination von Kreativit?t und Wissenschaft sowie die Breite der Unterrichtsf?cher reizten sie und führten dazu, dass sie 2006 ihr Architekturstudium an der ETH Zürich begann. 

Zur Person

Franziska Biner ist Staatsr?tin des Kantons Wallis und Vorsteherin des Departements Finanzen und Energie. Die Zermatterin hat an der ETH Zürich ein Masterstudium in Architektur absolviert und zw?lf Jahre in einem Architekturbüro gearbeitet. Ihre politische Karriere als Parteipr?sidentin, Suppleantin, Grossr?tin und Vizepr?sidentin der Gemeinde Zermatt gipfelte im Frühjahr 2025 in der Wahl zur Staatsr?tin.

Erst Matterhorn, dann Studium

War das nicht ein Kulturschock, von einem Bergkanton in die Grossstadt Zürich zu ziehen? Biner verneint, die Umstellung von Zermatt nach Brig sei viel gr?sser gewesen. An der ETH musste sie sich erst an das hohe Tempo und den grossen Druck gew?hnen. Dass die Architekturstudierenden so viel Zeit miteinander verbrachten, hatte aber auch Vorteile – der Zusammenhalt und der Austausch untereinander waren gross. ?Zusammen mit vier weiteren Studierenden aus Zermatt ging ich jeden Mittwoch auf dem 365体育官网_365体育备用【手机在线】 H?nggerberg Mittag essen, das war toll?, erinnert sie sich. So ganz auf Sport und Berge verzichten mochte die angehende Architektin aber auch damals nicht: Eine Woche vor Studienbeginn bestieg sie mit ihrem Vater erstmals das Matterhorn und w?hrend des Studiums arbeitete sie jeweils in den Wintermonaten als Skilehrerin in Zermatt. Neben ihrem fachlichen Wissen habe Biner durch ihr Studium auch gelernt, vernetzt zu denken, sachlich Argumente und Sichtweisen zu prüfen und fundierte Entscheide zu treffen, ohne die Meinungen anderer zu diskreditieren. Eine F?higkeit, von der sie auch heute in ihrer Funktion als Regierungsmitglied profitieren k?nne. Doch vor ihrer politischen Karriere wird sie als Architektin arbeiten. Nach dem Masterabschluss kehrt sie zurück nach Zermatt. Und muss vorerst dort bleiben – ein kaputtes Knie nach einem Skiunfall zwingt sie dazu. Sie findet einen Job in einem Architekturbüro. ?Ein Bauprojekt vom ersten Bleistiftstrich bis zur Schlüsselabgabe durchführen zu k?nnen, war sehr erfüllend?, sagt sie. Fasziniert haben sie aber die Baustellen: ?Ich bin ein Kind der Baustelle. Am liebsten w?re ich am Morgen jeweils mit den Bauarbeitern zur Arbeit gegangen?, erz?hlt sie in ihrer offenen, lebendigen Art. Die logistische und organisatorische Leistung, der Teamgeist, aber auch der L?rm, der raue Ton und die damit verbundene Direktheit h?tten ihr sehr entsprochen. So sehr, dass sie selbst als Bauleiterin t?tig war.

Etwas zurückgeben

Biner stammt aus einem politischen Umfeld und auch bei ihr zeichnet sich bald ein politischer Weg ab. Noch w?hrend ihrer T?tigkeit als Architektin wurde sie für politische ?mter angefragt, erst als Gemeinder?tin von Zermatt, sp?ter als Suppleantin, einer Ersatzperson für das Parlament. Die Anfrage l?st etwas in ihr aus: ?In der Schweiz kannst du in eine Topschule gehen und du kannst dir das als ?normaler? Bürger leisten. Mir wurde an der ETH Wissen von den Besten der Welt vermittelt, ich musste es nur aufnehmen. Das ist ein grosses Privileg.? Wenn sie schon alle Privilegien in der Schweiz haben k?nne, dann k?nne sie auch Verantwortung übernehmen, so Biner. ?Ich wollte etwas zurückgeben und sagte Ja zur Politik.?

Damit begann eine steile politische Karriere: Parteipr?sidentin der Mitte Oberwallis, Grossratssuppleantin, Grossr?tin, Vizepr?sidentin der Gemeinde Zermatt und schliesslich Staatsr?tin. Der letzte Schritt fiel ihr nicht leicht. Fünf Wochen haderte sie mit dem Entscheid zu kandidieren. Im M?rz 2025 wurde sie im ersten Wahlgang und mit dem besten Ergebnis aller Kandidierenden in die Walliser Regierung gew?hlt. Die Zweifel nach dem grossen Erfolg kamen anfangs jedoch wieder zurück. Machte sie das Richtige? Sie fühlte sich nach ihrer Zeit draussen auf der Baustelle fremd in den Sitzungszimmern des Regierungsgeb?udes in Sion – ?hnlich wie damals, als sie von Zermatt aufs Internat nach Brig kam.

Know-how von der Baustelle

Dann kam der Bergsturz. Jemand musste in dieser Ausnahme?situation Verantwortung übernehmen, jemand musste Entscheide f?llen, sich für die Betroffenen einsetzen – die Aufgabe war gewaltig. ?In dem Moment, als es passierte, habe ich keine Sekunde mehr daran gezweifelt, ob ich den richtigen Job mache?, sagt Biner. Nach dem Ereignis hat sie gemerkt, dass sie gut mit Krisensituationen umgehen kann. Sie konnte von ihren Erfahrungen als Bauleiterin profitieren, wo sie bis zu hundert Leute und deren unterschiedlichen Interessen zusammenbringen und schnell Entscheide f?llen musste. Für den Wiederaufbau des Bergdorfs Blatten leitet sie eine Strategiegruppe, die verschiedene Dienststellen des Kantons an einen Tisch bringt. Dabei kommt ihr entgegen, dass ihr als Staatsr?tin das Hochbauamt unterstellt ist und sie auch auf ihr ETH-Wissen zum St?dtebau zurückgreifen kann.

Dass sie selbst aus den Bergen kommt und weiss, dass eine solche Naturkatastrophe in jedem anderen Seitental passieren kann, macht sie glaubwürdig für die Beteiligten und verst?rkt ihr Engagement, die Krise zu bew?ltigen. Ihr ?Leben am Limit? geht aber auch mit Verzicht einher. Wieder mehr Zeit mit Sport und in den Bergen verbringen zu k?nnen, ist demnach auch ein Ziel für die kommenden Jahre. Langfristig m?chte die Zermatterin der Bev?lkerung etwas zurückgeben. Sch?n w?re es für sie, wenn die Leute im Wallis dereinst über sie sagen werden: Sie hat das Bestm?gliche getan und sich für uns eingesetzt.

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