Taras Gerya, wie lässt sich das langfristige Überleben der menschlichen Zivilisation sichern?
Für den Geodynamiker Taras Gerya ist klar: Unsere hochentwickelte Zivilisation ist die einzige in der gesamten Galaxie und deshalb umso schützenswerter. Um Ans?tze für deren Schutz zu entwickeln, hat er ein neues, interdisziplin?res Forschungsfeld mitbegründet.?
In unserer Galaxie sind wir sehr einsam: Bisher konnte niemand Hinweise darauf finden, dass es in ihr eine zweite, ?hnlich komplexe Zivilisation gibt wie auf der Erde. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf einem Planeten mit primitivem Leben eine technologische Zivilisation entsteht, ist extrem gering.
Dieses Wissen um die Einzigartigkeit unserer Zivilisation verpflichtet uns, sie für die gesamte Galaxie zu bewahren. Und das nicht nur über ein paar Jahrhunderte, sondern bis in die ferne Zukunft.
Insbesondere müssen wir verhindern, dass das von der modernen Menschheit gesammelte Wissen und technische Knowhow verloren gehen. Es muss in eine Form gebracht werden, die auch tausend Generationen sp?ter noch verwerten k?nnen. Ein solch langfristiges Denken ist für uns Menschen jedoch eine Herausforderung. Als Einzelpersonen denken wir vielleicht an das, was für unsere Kinder und Enkel wichtig ist. Aber darüber hinaus blicken wir nicht. Ganz zu schweigen von der Politik, die nur bis zur n?chsten Wahlperiode in vier Jahren denkt und handelt.
Der Experte
Taras Gerya ist Professor für Geodynamik am Departement Erd- und Planetenwissenschaften. Er modelliert am Computer Prozesse im Inneren von Planeten, die über Jahrmillionen ablaufen. Für seine Lehre erhielt er 2025 den Alumni Award for Best Teaching.
Dabei müsste uns die Geschichte der Menschheit eines Besseren belehren. Schon mehrfach stiegen Zivilisationen auf, brachen in sich zusammen und verschwanden. Für den Untergang früherer hoch entwickelter Kulturen wie der Maya gibt es mehrere Gründe: zum einen Klimaver?nderungen, Vulkanausbrüche oder Krankheiten. Zum anderen aber auch die Tatsache, dass diese Gesellschaften mehr Ressourcen brauchten, als die Erde hergab oder regenerieren konnte. Und damit beraubten sie sich ihrer Lebensgrundlage. Das k?nnte auch uns blühen.
Kollabiert unsere Zivilisation – aus denselben Gründen wie frühere komplexe Zivilisationen zusammenbrachen – , k?nnte es durchaus sein, dass kommende Generationen wieder ganz von vorne beginnen und schon einmal dagewesene Techniken von Grund auf neu entwickeln müssen. Vielleicht müssen sie das Fahrrad neu erfinden – oder sogar das Rad.
Wollen wir aber die einzige Zivilisation der gesamten Galaxie in die ferne Zukunft führen, müssen wir lernen, im Einklang mit den natürlichen Zyklen zu leben, insbesondere im Umgang mit natürlichen Ressourcen und dem Klima.
Neu ist dieses extrem langfristige Denken nicht, nur wird es selten angewandt, zum Beispiel bei der Lagerung von radioaktivem Abfall. Die Menschheit baut heute Lagerst?tten, die auch in zehntausenden von Jahren Bestand haben müssen. Die Regeln, die wir heute zur sicheren Aufbewahrung des strahlenden Abfalls aufstellen, müssen auch künftige Generationen in tausend oder zehntausend Jahren verstehen.
Um m?gliche Wege in die ferne Zukunft aufzuzeigen, habe ich deshalb zusammen mit weiteren Kolleginnen und Kollegen ein neues interdisziplin?res Forschungsfeld begründet: ?externe Seite Future Dynamics?. Diese Disziplin konzentriert sich auf die Modellierung und Quantifizierung potenzieller zukünftiger Entwicklungen des Systems Erde-Leben-Mensch über sehr lange Zeitr?ume von Hunderttausenden bis Millionen von Jahren hinweg.
Zu den Pfeilern von Future Dynamics geh?ren Klimamodelle über hunderttausende von Jahren oder die nachhaltige Nutzung von Ressourcen wie Wasser, B?den oder Mineralien – Stichwort Seltene Erden. Die neue Disziplin erforscht Strategien zur Vermeidung globaler Katastrophen wie Atomkriege oder Asteroidenabwehr und analysiert geologische Risiken wie Vulkanismus oder Plattentektonik. Sie entwickelt Ideen für widerstandsf?hige St?dte und Infrastruktur. Gleichzeitig erforscht sie gesellschaftliche Ver?nderungen, die Bildung, Gerechtigkeit und globale Zusammenarbeit st?rken.
Exakte Prognosen werden nicht das Ziel von Future Dynamics sein. Das ist schlicht nicht m?glich. Mehr Wissen über potenzielle künftige Verl?ufe wird aber neue M?glichkeiten schaffen, viel l?ngerfristiger zu denken – und entsprechend zu handeln, um diese einzigartige Zivilisation in die ferne Zukunft zu führen.