Voneinander lernen

Wissen w?chst im Dialog: Wer erkl?rt, lernt. Wer zuh?rt, versteht. Die ETH Zürich schafft dafür R?ume – in der Weiterbildung, in der Berufsbildung und an der Schnittstelle zur Politik.

Junge leute schauen gemeinsam auf ein grosses Whiteboard. Am Whitboard stehen und zeigen auf etwas auf dem Board
Lernen als dynamisches Miteinander – auch in der Berufsbildung. (Bild: Anouk Schuler / ETH Zürich)

Lernen geschieht nicht nur in Vorlesungss?len, Labors oder Seminarr?umen – es passiert im Dialog, in der Zusammenarbeit, im allt?glichen Miteinander. Und Lernen verl?uft selten einseitig. Wer erkl?rt, sch?rft sein eigenes Verst?ndnis. Wer beobachtet, entdeckt neue Perspektiven. Wer zuh?rt, erkennt bislang Unbekanntes. Kurz: Lernen ist ein gegenseitiger Prozess und lebt vom Austausch.

Gerade an einer Hochschule wie der ETH Zürich ist dieses Prinzip besonders fruchtbar. Hier treffen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, Erfahrungsstand und Wissen aufeinander: Forscherinnen auf Praktiker, Lernende auf Lehrende und Wissenschaftler auf Vertreterinnen aus Verwaltung und Politik. Und genau an diesen Schnittstellen entsteht wechselseitiges Lernen – auf Augenh?he, über Disziplinen und Hierarchien hinweg.

?Globe? Erfolgreich in die Zukunft

Globe 25/02 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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Von der Praxis inspiriert

Die School for Continuing Education (SCE) der ETH bietet derzeit rund achtzig Weiterbildungsprogramme an, von kurzen Workshops bis zu mehrj?hrigen Studieng?ngen. Mehr als die H?lfte der Programme basieren auf projektbasiertem Lernen. Viele Teilnehmende sind Fachkr?fte aus der Industrie oder der ?ffentlichen Verwaltung.

Für Stefano Brusoni, Prorektor Weiterbildung, liegt gerade darin der Reiz: ?Unsere Kursteilnehmenden bringen Probleme mit, die sie aus dem Berufsalltag kennen. Ihre Fragen inspirieren uns auch für die eigene Forschung.? In den Programmen entwickeln die Teilnehmenden zusammen mit den Kursleitenden L?sungen und transferieren die Erkenntnisse anschliessend wieder zurück in ihr Unternehmen. ?Der Bezug zur Praxis zwingt uns, pr?zise und relevant zu bleiben?, sagt Brusoni. Dabei entstehen nicht nur wertvolle Einblicke, sondern mitunter auch v?llig neue Denkans?tze.

Portrait Stefano Brusoni
?Die Fragen der Kursteilnehmenden inspirieren uns auch für die eigene Forschung.?
Portrait Stefano Brusoni
Stefano Brusoni, Prorektor Weiterbildung an der ETH Zürich

?Manchmal bringen Teilnehmende Fragestellungen mit, die wir aus wissenschaftlicher Sicht nie auf dem Radar gehabt h?tten?, sagt Brusoni. Besonders spannend sei die Interaktion mit Führungspersonen aus dem Non-Profit-Bereich oder der Verwaltung, deren Herausforderungen oft gesellschaftlich hochrelevant seien.

Auch auf strategischer Ebene spielt Weiterbildung eine wichtige Rolle: ?Unsere Programme unterstützen den ?bergang von der Fach- zur Führungskarriere – ein zentraler Punkt im lebenslangen Lernen?, betont Brusoni. Ein Beispiel ist der von der Informatik initiierte MAS ETH in AI and Digital Technology, der gezielt Fachkr?fte ausbildet, die den Wandel in ihren Unternehmen vorantreiben wollen. Brusoni erg?nzt: ?Die ETH bietet hier nicht nur Inhalte, sondern eine Plattform, um sich mit anderen Branchen auszutauschen.?

Doch Weiterbildung ist nicht nur Dienstleistung. ?Teilnehmende sind bei uns keine Kundinnen und Kunden, sondern Studierende?, betont Brusoni. ?Nur so entsteht ein echter Dialog.? Und dieser Dialog soll an der School for Continuing Education auch weiterentwickelt werden, zum Beispiel mit Blick auf neue Technologien oder Formate.

Um die Diskussion über neue Formate und zukünftige Weiterbildungsangebote auch institutionell zu verankern, tauscht sich die School for Continuing Education im Rahmen von Netzwerktreffen und ihrem Weiterbildungsforum seit langem regelm?ssig mit den Angeh?rigen der ETH-Weiterbildungscommunity aus. Die letztj?hrige Ausgabe des Weiterbildungsforums stand unter dem Motto ?Wie sieht die Zukunft der Weiterbildung aus?? und brachte Dozierende, Programmverantwortliche sowie externe Expertinnen und Experten zusammen. Die Veranstaltung richtet sich prim?r an ETH-Dozierende, insbesondere jene, die in der Weiterbildung engagiert sind oder Interesse daran haben, ein Weiterbildungsprogramm oder einen Kurs anzubieten.

Frische Sicht

Auch in der Berufsbildung an der ETH zeigt sich Lernen als dynamisches Miteinander. Knapp 200 Lernende in fünfzehn verschiedenen Berufen absolvieren aktuell ihre Ausbildung an der Hochschule. Nicht isoliert, sondern eingebettet in den Betrieb. Sie rotieren durch verschiedene Bereiche, arbeiten beispielsweise als Elektronikerinnen oder als Physik-, Chemie-, oder Biologielaboranten in Forschungslabors. ?Die Lernenden sind bei uns vollwertige Gruppenmitglieder mit eigenen Projekten und Verantwortung?, sagt Fabienne Jaquet, Leiterin Berufsbildung an der ETH Zürich.

Portrait Fabienne Jaquet
?Manche Lernende leisten produktive Beitr?ge zur Forschung.?
Portrait Fabienne Jaquet
Fabienne Jaquet, Leiterin Berufsbildung an der ETH Zürich

Ein eindrückliches Beispiel ist das Projekt eines Elektronikers, der in einem Forschungsteam an der Kalibrierung optischer Sensoren mitarbeitete. Ein Beitrag, der sp?ter in eine wissenschaftliche Publikation einfliessen konnte. Auch Doktorierende profitieren: ?Manche Lernende unterstützen bei Versuchsreihen oder übernehmen Teilaufgaben für Dissertationen. Sie leisten also produktive Beitr?ge zur Forschung?, führt Jaquet aus.

Gleichzeitig entwickeln auch die Ausbildenden neue F?higkeiten. ?Zum Beispiel sammeln junge Forschende durch das Anleiten von Lernenden erste Führungserfahrungen, denn ausbilden heisst auch begleiten und coachen?, sagt Jaquet.

Oft bringen Lernende auch eine überraschende Frische ins Team: ?Sie stellen Fragen, die sonst niemand mehr stellt, und regen damit neue Denkprozesse an.? Besonders gesch?tzt wird auch ihre Handlungskompetenz: Viele Lernende sind im Umgang mit Ger?ten, Software oder digitalen Tools versierter als erwartet und denken l?sungsorientiert.

An den Berufsmeisterschaften SwissSkills haben die Lernenden die M?glichkeit, ihr K?nnen unter Beweis zu stellen. 2023 erreichte ein Elektronik-Lernender der ETH den vierten Platz. ?Das war der Anfang?, sagt Jaquet. Inzwischen existiert ein Talentf?rderprogramm, das dieses Jahr implementiert wird.

Mediamatik-, KV- und IT-Lernende haben an der ETH auch die M?glichkeit, bei Young’n’Rising, einem selbstgeführten Team, interne Auftr?ge zu übernehmen. Dabei geht es nicht um ?bungen, sondern um echte Ergebnisse. Sie erstellen Websites, gestalten Pr?sentationen, betreuen IT-Projekte – interdisziplin?r und mit direktem Kontakt zu ihren Auftraggeberinnen und Auftraggebern an der ETH. Unterstützt werden sie von einem Ausbildner oder einer Ausbildnerin im Hintergrund. Doch die Verantwortung liegt bei den Lernenden.

Politik trifft Forschung

Eine andere Form des Voneinander-Lernens zeigt sich an der Schnittstelle zwischen Forschung und Politik. Hier bringt das ?Science-Policy Interface? unter Leitung von Benedikt Knüsel Fachleute aus der Politikgestaltung, insbesondere aus der ?ffentlichen Verwaltung, und Forschende miteinander ins Gespr?ch. ?Für evidenzbasierte politische Entscheidungen braucht es nicht einfach wissenschaftliches Wissen, sondern das richtige Wissen zur richtigen Zeit?, erkl?rt Knüsel. ?Und die Wissenschaft muss verstehen, wie politische Prozesse funktionieren, damit ihr Wissen wirksam wird.?

Das ETH Policy Fellowship für Angeh?rige der ?ffentlichen Verwaltung ist eines der Vernetzungsangebote, das genau dies erm?glicht. Die Teilnehmenden durchlaufen ein massgeschneidertes Programm, treffen Forschende, diskutieren aktuelle Herausforderungen und geben gleichzeitig Einblick in ihren politischen Alltag.

Portrait Benedikt Knüsel
?Für evidenzbasierte politische Entscheidungen braucht es das richtige Wissen zur richtigen Zeit.?
Portrait Benedikt Knüsel
Benedikt Knüsel, Leiter des Science-Policy Interface an der ETH Zürich

?Wir sagen den Fellows ausdrücklich: Kommt nicht nur, um zu konsumieren, sondern bringt euch ein!?, sagt Knüsel. So erhielt ein Fellow beispielsweise konkrete Impulse im Zusammenhang mit den Verhandlungen zur Personenfreizügigkeit mit der EU, als es darum ging, welche Faktoren bei der nationalen Umsetzung der Schutzklausel berücksichtigt werden k?nnten.

Ein anderer Fellow, der beim Bundesamt für Gesundheit arbeitet, hat Kontakte zu Forschenden hergestellt und gepflegt, die ihn bei der Umsetzung einer Motion zu Medizinprodukten unterstützen. Zudem konnte der Austausch mit Forschenden im Bereich der Versorgungssicherheit mit Medikamenten initiiert werden, der über das Fellowship hinaus existiert. Auf der anderen Seite zeigen interne Evaluationen des Policy Fellowship, dass Forschende ihr Verst?ndnis für Verwaltung und politische Entscheidungsprozesse deutlich vertiefen k?nnen.

Aktuell entsteht mit der ETH School of Public Policy ein neues Zentrum, das diese Schnittstelle von Naturwissenschaft, Technologie und Politikgestaltung institutionell verankert. Ziel ist es, unter anderem Co-Design-Prozesse zu f?rdern und politische Praxis frühzeitig in die Forschung einzubeziehen. ?Wir wollen, dass Forschende sich niederschwellig, effektiv und gut unterstützt einbringen k?nnen?, erkl?rt Knüsel.

Offen für Neues

Was alle drei Gespr?chspartnerinnen und -partner verbindet, ist die ?berzeugung, dass Lernen nur im Dialog gelingen kann und dafür Vertrauen, Zeit und Offenheit n?tig sind. ?Wir müssen bereit sein, uns auf andere Perspektiven einzulassen, auch wenn sie unserem eigenen Denken widersprechen?, sagt Brusoni. Für ihn bedeutet voneinander lernen nicht nur fachlichen Austausch, sondern auch Selbstreflexion und Haltung.

Jaquet betont, wie wichtig es ist, sich als Ausbildende weiterzuentwickeln: ?Die jüngere Generation bringt Sichtweisen und Fragen mit, die uns fordern, aber auch bereichern. Auf Augenh?he mit ihnen zu sein, ist essenziell für eine erfolgreiche Lernbeziehung.? Für sie geschieht Entwicklung nicht nur bei den Lernenden, sondern auch bei jenen, die sie begleiten.

Knüsel erg?nzt: ?Voneinander lernen heisst auch, kulturelle Gr?ben zu überbrücken – zwischen Politik und Wissenschaft, zwischen Verwaltung und Forschung.? Ein entscheidender Erfolgsfaktor sei die Vertrauensebene, sagt Knüsel: ?Viele dieser Dialoge entstehen informell. Vertrauen und gegenseitiges Verst?ndnis sind die Grundlage dafür.?

Diese Vielfalt an Perspektiven macht deutlich: Wer lernen will, muss auch zuh?ren k?nnen. Die ETH schafft R?ume, in denen genau das m?glich ist, sei es in der Weiterbildung, in der Berufsbildung und an der Schnittstelle zur Politik. Was dort entsteht, ist mehr als Wissenstransfer. Es ist gemeinsame Entwicklung.

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