«Wir bilden nicht nur aus, sondern vernetzen mit der Luftfahrt-Branche»
Vor über zehn Jahren startete die Vorlesungsreihe zur Luftfahrt. Heute z?hlt das Angebot zu den gr?ssten in Europa. Dozent und Initiator Peter Wild erz?hlt, wie alles begann und wie die Lehre den Studierenden den Weg in die Praxis ebnet.
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Herr Wild, was hat Sie damals bewogen, eine Vorlesung zur Luftfahrt an der ETH zu starten?
Peter Wild: Das war 2014, auf Anregung von Professor Ulrich Weidmann, heute Vizepr?sident für Infrastruktur und Nachhaltigkeit, der meinte: Wir haben an der ETH Zürich Themen wie Strasse, Schiene, Raumplanung – aber uns fehlt die Luftfahrt. Ich war damals Linienpilot, Fluglehrer und hatte bereits an anderen Hochschulen unterrichtet. Die Idee, das Thema an der ETH strukturiert aufzubauen, hat mich sofort begeistert. Wir begannen damals am Departement Bau, Umwelt und Geomatik mit 23 Studierenden – heute sind es über 500 pro Jahr und die Vorlesung findet am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik statt.
Das Angebot ist stark gewachsen. Was macht es so attraktiv?
Wir zeigen das Luftverkehrssystem in seiner ganzen Breite: Technik, Flughafenbetrieb, Regulatorik, Nachhaltigkeit, Management. Wir holen Expertinnen und Experten von Swiss, Lufthansa, Skyguide oder dem Bundesamt für Zivilluftfahrt in den H?rsaal. Das ergibt einen realistischen, praxisnahen Zugang und genau das sch?tzen die Studierenden.

Peter Wild ist Linienpilot, Fluglehrer und Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Unter anderem hat er selber in der Luftfahrt promoviert. Er unterrichtet die Vorlesungen Aviation I und Aviation II am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik und ist im Vorstand des Dachverbands für schweizerische Luft- und Raumfahrt Aerosuisse für Bildung, Forschung und Innovation verantwortlich.
Sie bieten zwei Aviatik-Vorlesungen an. Wie sind sie aufgebaut und worin unterscheiden sie sich?
Aviation I ist die Einführungsvorlesung. Hier vermitteln wir das gesamte Spektrum der Luftfahrt: Aerodynamik, Flugzeugtypen, Flughafenbetrieb, Luftrecht, milit?rische Luftfahrt, aber auch Kleinflugzeuge, ein Bereich, der oft vergessen geht. Aviation II baut darauf auf und vertieft betriebswirtschaftliche und strategische Themen: Airline-Management, Nachhaltigkeit, CO?-Bepreisung, neue Treibstoffe. Beide Vorlesungen k?nnen unabh?ngig besucht werden, aber zusammen ergeben sie ein sehr umfassendes Bild.
Was bedeutet das konkret für die Lehre?
Wir setzen auf das Prinzip ?Real World Learning?: Theorie ist wichtig, aber genauso entscheidend ist die Erfahrung aus der Praxis. Deshalb bin ich nicht der einzige Dozent, sondern koordiniere ein Team von führenden Fachleuten der Branche. Ich versuche stets, in jedem Themenfeld die kompetentesten Stimmen an Bord zu holen – vom Senior Vice President der Lufthansa-Gruppe bis zum Luftfahrtexperten des Bundes.
Wer besucht die Vorlesungsreihe?
Das Angebot ist mittlerweile interdisziplin?r und interdepartemental ausgerichtet. Wir haben Maschinenbau-Studierende, Bau- und Raumplaner, Elektrotechnikerinnen, IT-Ingenieure, Umweltwissenschaftler, Chemikerinnen. Einige kommen sogar von der Universit?t Zürich oder der EPFL. Das ergibt spannende Diskussionen, besonders bei Gruppenarbeiten. Besonders erfreulich: Rund ein Drittel der Studierenden kommt aus dem Ausland und bringt eine weitere Perspektive auf das Thema mit.

Ihr Lehrkonzept umfasst aber nicht nur Vorlesungen.
Genau. Pro Semester führen wir eine Exkursion durch. Die führt jeweils zum Flughafen Zürich, zu Skyguide und ins Swiss Operations Center. Letztes Mal nahmen 120 Studierende teil.
Wie gelingt es Ihnen da, den ?berblick zu behalten?
Mit viel Planung! Da braucht es Busse, Sicherheitsbriefings und natürlich mussten wir uns in Gruppen aufteilen. Finanziert werden die Exkursionen übrigens oft durch unsere Industriepartner. Für die Studierenden sind diese Nachmittage echte Highlights und klingen lange nach.
Die ETH hat sich zum Netto-Null-Ziel verpflichtet. Wie bringen Sie das mit der Luftfahrt zusammen?
Indem wir das Thema ehrlich und fundiert behandeln. Ich hatte bereits 1998 die erste Nachhaltigkeitsabteilung bei Swissair aufgebaut und war Experte für die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO). Mit dem Thema besch?ftigen wir uns schon lange. So machen wir auch Forschung in dem Thema oder haben schon Hybrid-Flugzeuge entwickelt. Zudem m?chte ich auch gerne den Lehrassistierenden Michael Weinold nennen, der für seine Dissertation im Bereich Aviation Sustainability forscht und zus?tzliche wertvolle Aspekte einbringt. In Aviation II zeigen wir, was wirklich m?glich ist: alternative Treibstoffe, CO?-Bepreisung, emissionsarme Betriebsmodelle. Viele dieser Ans?tze lassen sich auch auf Strasse, Schiene oder Logistik übertragen.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Vorlesung berufliche Weichen stellt?
Absolut. Ehemalige Studierende arbeiten heute bei Swiss, Flughafen Zürich, Lufthansa oder Pilatus – viele auch als Piloten. Ich unterstütze regelm?ssig bei der Vermittlung von Praktika. Wir haben in zehn Jahren über 2000 Studierende ausgebildet und ein Teil davon wechselt nach dem Master-Abschluss direkt in die Luftfahrtindustrie.
Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial?
Wir überlegen uns derzeit, ob ein dritter Kursteil Sinn ergibt. Thematisch g?be es noch vieles. Ich würde gern mehr Forschungsarbeiten betreuen. Das Umfeld ist dafür ideal: Russell McKenna, der Professor für Energiesystemanalyse und an dessen Lehrstuhl die Vorlesung heute angesiedelt ist, forscht selbst zu Energietr?gern, inklusive nachhaltiger Mobilit?t. Das erg?nzt sich hervorragend. Ein drittes Modul w?re eine exzellente Erg?nzung zu unserer Arbeit und würde auch unsere weiteren Forschungen unterstützen. Dafür br?uchte ich pers?nlich allerdings mehr Zeit und Ressourcen.
Und ganz pers?nlich: Was fasziniert Sie an der Luftfahrt?
Ich wollte schon als Kind fliegen. Die Selektion zur staatlichen Pilotenschule war hart, aber es hat geklappt. Nun fliege ich seit über 30 Jahren bei Swissair und Swiss, habe dabei verschiedenste Flugzeugtypen gesteuert, bin auch als Fluglehrer aktiv und hatte diverse Managementfunktionen inne. An der ETH gebe ich diese Erfahrung aus der Praxis weiter – und das macht mir genauso viel Freude wie das Fliegen selbst. Schliesslich sind auch die vielen positiven Feedbacks der Studierenden eine wahre Freude. Sie sch?tzen die praxisorientierten Vorlesungen enorm.