Warum der Schaum auf belgischen Bieren so lange hält
Forschende der ETH Zürich finden den heiligen Gral der Braukunst: das Rezept für stabilen Bierschaum. Die Erkenntnisse bringen aber nicht nur Brauereien weiter.
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In Kürze
- Forschende der ETH Zürich haben die Physik des Bierschaums untersucht.
- Sowohl Lagerbiere als auch belgische Ales k?nnen sehr stabilen Schaum haben.
- Die zugrunde liegende Physik kann jedoch beim Vergleich der mikroskopisch kleinen Bierfilme, welche die Blasen im Schaum voneinander trennen, sehr unterschiedlich sein.
?berarbeitete und korrigierte Fassung vom 29.08.2025 (s. Hinweis am Ende des Textes)
Sommerzeit ist Bierzeit – auch wenn der Konsum alkoholhaltiger Biere in der Schweiz rückl?ufig ist. Und nichts geht dem Bierliebhaber über eine Schaumkrone, die auf dem goldenen, perlenden Gerstensaft sitzt.
Doch bei vielen Bieren platzt dieser Traum schnell, und der Schaum f?llt in sich zusammen, bevor man den ersten Schluck nehmen kann. Allerdings gibt es auch Biersorten, bei denen die Schaumkrone lange h?lt.
Weshalb das so ist, haben Forschende der ETH Zürich um Jan Vermant, Professor für Weiche Materialien, nun herausgefunden. Ihre Studie wurde soeben in der Fachzeitschrift Physics of Fluids ver?ffentlicht. Sieben Jahre haben der Belgier und seine Mitarbeitenden daran gearbeitet. Alles begann mit einer einfachen Frage an einen belgischen Brauer: ?Wie kontrollierst du den Brauprozess?? – ?Indem ich den Schaum beobachte?, lautete die Antwort.
Heute kennen die ETH-Wissenschaftler:innen die Mechanismen hinter dem perfekten Bierschaum. Und vielleicht k?nnen Biertrinker:innen künftig die Schaumkrone im Glas etwas l?nger bewundern, ehe sie ihren Durst l?schen.
Tripel schl?gt Dubbel und Singel
In dieser Studie zeigten die Materialwissenschaftler, dass ?Tripel?-Biere unter den untersuchten belgischen Bieren den stabilsten Schaum haben, gefolgt von ?Dubbel?-Bieren. Am wenigsten stabil ist der Schaum bei ?Singel?-Bieren, die weniger intensiv vergoren werden und den geringsten Alkoholgehalt aufweisen.
Auch zwei Lagerbiere von grossen Schweizer Brauereien haben die ETH-Forschenden untersucht. Die Schaumstabilit?t dieser Biere sei vergleichbar mit jener von Belgischen Ales, obwohl die Physik hinter der Schaumstabilit?t verschieden sei. Interessanterweise habe eines der getesteten Schweizer Lagerbiere bezüglich der Schaumstabilit?t nicht so gut abgeschnitten. ?Das k?nnten wir dank unserer neuen Erkenntnisse durchaus verbessern?, sagt Jan Vermant.
Oberfl?chenspannungen statt Z?hflüssigkeit
Bisher nahmen die Forschenden an, dass die Stabilit?t des Bierschaums vor allem von proteinreichen Schichten an der Oberfl?che der Bl?schen abh?ngt (vgl. ETH?News): Die Proteine stammen aus dem Gerstenmalz und beeinflussen die Oberfl?chenviskosit?t, also deren Fliessf?higkeit, sowie die Oberfl?chenspannung.
Doch die neuen Experimente zeigen, dass der entscheidende Mechanismus komplexer ist und stark von der Biersorte abh?ngt.
Bei Lagerbieren ist ausschlaggebend, wie elastisch und gleichzeitig z?hflüssig die Oberfl?che der Bl?schen ist (Viskoelastizit?t). Sie wird beeinflusst durch die im Bier vorhandenen Proteine sowie durch deren Denaturierung: Je mehr Proteine im Bier vorhanden sind, desto starrer wird der Film um die Bl?schen und desto stabiler wird der Schaum.

Anders bei den Tripel-Bieren: Hier ist die Viskoelastizit?t der Oberfl?che minimal. Die Stabilit?t entsteht durch sogenannte Marangoni-Spannungen. Das sind Kr?fte, die durch Unterschiede in der Oberfl?chenspannung entstehen.
Beobachten l?sst sich dieser Effekt, indem man zerstossene Teebl?ttchen auf eine Wasseroberfl?che gibt. Die Bruchstücke verteilen sich zun?chst gleichm?ssig. Gibt man einen Tropfen Seife dazu, werden die Teebl?ttchen schlagartig an den Rand gezogen. Dabei treten Str?mungen auf, die auf der Oberfl?che zirkulieren. Halten solche Str?mungen lange an, stabilisieren sie die Bl?schen im Bierschaum.
Eintauchen in die Physik von Bierschaum
Verschiedene Biere, unterschiedliche Braubedingungen und darum unterschiedliche Schaumphysik: Die L?sung liegt in der Struktur und der Dynamik von proteinreichen Hüllen, die die Bl?schen umgeben. Im belgischen Singel-Bier verhalten sich diese proteinreichen Hüllen so, als würden sich kleine, kugelf?rmige Partikel dicht an der Oberfl?che der Blasen anordnen. Dies entspricht einer zweidimensionalen Suspension, das heisst einer Mischung aus einer Flüssigkeit und fein verteilten Feststoffen, die wiederum die Blasen stabilisiert.
Im Bier vom Typ Dubbel bilden Proteine eine netzartige Struktur, die wie eine Membran die Bl?schen noch stabiler macht. Bei Tripel-Bieren wird die Physik noch komplexer: Die Dynamik der Bl?schenoberfl?chen ?hnelt der von Tensiden – Molekülen, die Schaum in vielen allt?glichen Anwendungen stabilisieren.
Der genaue Grund für das unterschiedliche Verhalten ist noch unbekannt. Es scheint aber so, dass das Protein LPT1 (lipid transfer protein 1) eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Bierschaumes spielt. Das konnten die ETH-Forschenden durch Analysen der molekularen Struktur und der Menge des Proteins in den untersuchten Bieren best?tigen.
Zusammenarbeit mit Grossbrauerei
Jan Vermant betont: ?Die Stabilit?t des Schaums h?ngt nicht linear von einzelnen Faktoren ab. Man kann nicht einfach ?etwas? ?ndern und es ?richtig? einstellen.? Wird die Viskosit?t durch zus?tzliche Tenside erh?ht, k?nne das den Schaum sogar instabiler machen, weil man damit die Marangoni-Effekte zu stark verlangsame. ?Entscheidend ist, gezielt an einem Mechanismus zu arbeiten – nicht an mehreren gleichzeitig. Bier macht das offensichtlich von Natur aus gut!?, sagt Vermant.
In dieser Studie arbeitete der ETH-Professor mit einer der weltgr?ssten Brauereien zusammen. Diese tüftelt an der Schaumstabilit?t ihrer Biere. Sie wollen deshalb verstehen, was den Bierschaum wirklich stabilisiert. ?Wir kennen den physikalischen Mechanismus nun genau und k?nnen der Brauerei helfen, den Schaum ihrer Biere zu verbessern?, sagt Vermant.
Für belgische Bierkonsumenten sei der Schaum wichtig, wegen des Geschmacks und als ?Teil der Experience?, wie der Materialforscher sagt. ?Aber nicht überall, wo Bier getrunken wird, ist der Schaum so wichtig. Das ist etwas Kulturelles.?
Anwendungen in Technik und Umwelt m?glich
Die Erkenntnisse aus der Bierschaumforschung haben auch ausserhalb der Braukunst Bedeutung. In Elektrofahrzeugen etwa k?nnen Schmiermittel sch?umen – ein gef?hrliches Problem. Unter anderem mit der Firma Shell untersucht Vermants Team nun, wie sich solche Sch?ume gezielt zerst?ren lassen.
Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung nachhaltiger Tenside, die auf Fluor oder Silizium verzichten. ?Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung?, so Vermant.
In einem EU-Projekt arbeiten die Forschenden zudem an Sch?umen als Tr?ger für bakterielle Systeme. Und in Zusammenarbeit mit Lebensmittelforscher Peter Fischer von der ETH Zürich geht es um die Stabilisierung von Milchschaum durch Proteine. ?Es gibt also viele Bereiche, wo uns das mit Bier erworbene Wissen nützt?, sagt Vermant.
Hinweis: In einer früheren Version stand f?lschlicherweise, dass Tripel-Biere dreifach vergoren seien. Richtig ist, dass die Bezeichnung Tripel darauf hinweist, dass das Bier einen h?heren Alkoholgehalt hat als ein Singel- oder ein Dubbel-Bier, aber nicht drei Fermentationen durchl?uft.
Literaturhinweis
Chatzigiannakis E, Alicke A, Le Bars L, Bidoire L, Vermant J. The Hidden Subtlety of Beer Foam Stability: A Blueprint for Advanced Foam Formulations, Physics of Fluids, 26. August 2025, DOI: externe Seite 10.1063/5.0274943